SPD und Grüne gehen beim Thema Steuern auf Union zu
Im Ringen um eine Regierungsbeteiligung sind Grüne und SPD von ihren kategorischen Forderungen nach Steuererhöhungen abgerückt.
Beide Seiten kamen damit der Union entgegen, die Steuererhöhungen bislang strikt ausschließt. Wenige Tage vor dem ersten Sondierungsgespräch zwischen CDU/CSU und Grünen zeichnete sich am Montag in Berlin noch kein klares Bild über die Zusammensetzung der neuen Bundesregierung ab. Das Pendel schlug allerdings leicht in Richtung Große Koalition aus.
Nachdem bereits SPD-Chef Sigmar Gabriel am Sonntag die Forderung seiner Partei nach Steuererhöhungen relativiert hatte, ruderte auch SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles am Montag zurück. Steuererhöhungen seien kein Selbstzweck, erklärte sie nach einer Telefonkonferenz der Parteispitze. Es gebe aber mit der Union angesichts der bevorstehenden Aufgaben "Meinungsverschiedenheiten, wie wir zu einer auskömmlichen Finanzierung kommen." Und da seien Steuererhöhungen "wahrscheinlich der ehrlichste Weg." Sie warte jetzt auf Vorschläge von Kanzlerin Angela Merkel und der Union.
Ganz ähnliche Worte waren aus der Grünen-Zentrale am Platz vor dem Neuen Tor in Berlin zu hören. Die Parteivorsitzende Claudia Roth lief dort - sie wird nach zehneinhalb Jahren an der Spitze nicht mehr kandidieren - bei einer ihrer letzten Pressekonferenzen noch einmal zur Hochform auf. "Wir haben nicht gesagt: Steuern, Steuer, Steuern", wetterte sie, als hätte es entsprechende Ankündigungen des Spitzenkandidaten Jürgen Trittin im Wahlkampf nie gegeben.
Die Grünen hätten lediglich gesagt, was sie wollen, und das müsse bezahlt werden. Wenn es einen anderen Weg gebe, dann sei das okay, dann müssten CDU und CSU ihn nur nennen. Es wäre auch interessant zu erfahren, wie Kanzlerin Angela Merkel ihre Wahlversprechen bezahlen wolle, meinte Roth.
Grüne wollen nicht Ersatzbank sein
Am Donnerstag reden Grüne und Union miteinander über eine mögliche Koalition. Ihre Partei gehe "gut vorbereitet in die Gespräche hinein", sagte Roth, die sich allerdings wenig diplomatisch gleich noch ein paar Feinde machte: Den EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) beschimpfte sie als "Atom-Junkie", CSU-Chef Horst Seehofer möge sich doch bitte zurückhalten und von CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt forderte Roth wegen verbaler Entgleisungen eine Entschuldigung.
Mit acht oder neun Teilnehmern wollen die Grünen in die Sondierungsgespräche gehen, CDU und CSU sind mit jeweils sieben Gesprächspartnern vertreten. Die Öko-Partei schickt die Vorsitzenden Cem Özdemir und Claudia Roth, die ehemaligen Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin, den neuen, noch zu wählenden Fraktionsvorstand, den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, die nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann sowie die Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke.
"Wir nehmen es ernst", sagte Roth. "Wir gehen da rein am Donnerstag, und dann sehen wir weiter." Punkt für Punkt werde man sondieren und dann schauen, ob es Anknüpfungspunkte gebe. "Ich gebe zu, meine Fantasie hat da ihre Grenzen", versuchte Roth die Erwartungen niedrig zu halten. Gleichzeitig machte sie klar, dass die Grünen nicht weiter für Gespräche zur Verfügung stehen, sollte sich die Union auf die SPD einlassen. "Wir sind nicht Ersatzbank", sagte Roth.
Das Rennen ist immer noch offen
Ob es allerdings nach 2005 wieder eine schwarz-rote Regierung gibt, ist offen. Die Sozialdemokraten halten am kommenden Montag ein zweites Sondierungsgespräch mit CDU und CSU ab. Am 20. Oktober soll dann, vermutlich ab 12 Uhr mittags, der Parteikonvent in Berlin zusammentreffen, um über die mögliche Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union zu beraten.
Gut möglich, dass es dazwischen noch ein weiteres Sondierungsgespräch gibt. Unklar war zudem ein am Montag vorab von der Bild-Zeitung vermeldetes Spitzentreffen zwischen Merkel, Seehofer und Gabriel am kommenden Freitag. Die CSU bestätigte, die SPD dementierte, CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe wollte "weder bestätigen noch dementieren".
Der Vorfall zeigte, dass der Spagat zwischen dem Wunsch nach Regierungsbeteiligung und dem Festhalten an Wahlversprechen an den Nerven der Parteien zehrt. So brach in der SPD ein offener Streit über die Besetzung von Posten aus. Die Parteispitze wies den Sprecher des einflussreichen Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, mit deutlichen Worten in die Schranken, nachdem dieser für den Fall einer Großen Koalition erneut das Finanzministerium für die SPD eingefordert hatte. "Johannes Kahrs spricht nicht für die SPD. Im Zweifel spricht er nur für sich selbst", erklärte Nahles.
Etwas gelassener konnte Hermann Gröhe an die Sache herangehen. Mit den Sozialdemokraten habe es vergangenen Freitag ein "gutes, sachliches, konstruktives Gespräch" gegeben. Es hätten sich aber auch "erhebliche Meinungsverschiedenheiten" aufgezeigt, weshalb es notwendig sei, das Gespräch fortzusetzen.
Das bevorstehende Gespräch mit den Grünen nehme die Union "in gleicher Weise ernst wie das Gespräch mit der Sozialdemokratie", versicherte Gröhe, und dieses Bekenntnis hatte einen handfesten innerparteilichen Grund.
Denn wenn auch die Andeutungen und Sätze, die am Montag in Berlin zu hören waren, unterm Strich eine leichte Favorisierung von Schwarz-Rot erkennen ließen - eine schwarz-grüne Koalition ist noch nicht vom Tisch. EU-Kommissar Oettinger zeigte sich für beide Optionen offen. "Ich glaube, man sollte glaubwürdig und ernsthaft beide Optionen prüfen. Ich halte beide nicht für unmöglich", sagte der CDU-Politiker. Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sah das ähnlich: "Wir haben immer wieder gesagt, wir müssen offene Gespräche führen und am Ende des Tages schauen, mit wem wir unsere Ansprüche für eine Politik in Deutschland am besten umsetzen können."
Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier betonte die Ernsthaftigkeit, mit der die Union in die Gespräche mit den Grünen gehe, forderte aber auch Entgegenkommen. Die Union müsse "in bestimmten Bereichen kompromissfähig sein. Aber andere auch". Er lese ständig, was die Union alles machen solle. Wenn der anderen Seite an einer stabilen Regierung gelegen sie, "dann würde ich ganz gerne auch mal lesen, wo andere glauben, dass sie vielleicht mit ihren Positionen ein Stück zurückgehen müssen". Nun, zumindest beim Thema Steuern ist Bouffiers Wunsch schon erfüllt worden.
DJG/stl/smh(BERLIN) Dow Jones Newswires