BERLIN (Dow Jones)--Neue Kernkraftprojekte wären einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) zufolge technisch riskant und unrentabel. Daran änderten auch angeblich innovative Reaktorkonzepte nichts, die in Wirklichkeit ihren Ursprung in der Frühzeit der Atomenergie in den 1950/60er Jahren haben, so das Fazit der DIW-Studie. Erneuerbare Energien seien hingegen um ein Vielfaches günstiger als Atomenergie.
"Technisch sind bei der Atomenergie keine signifikanten Durchbrüche absehbar", sagte Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt im DIW Berlin. "Atomkraft ist zudem die mit Abstand teuerste Energie - und bei Weitem teurer als Erneuerbare."
Kernkraft könne keinen kostengünstigen und zeitnahen Beitrag zum Klimaschutz leisten oder die Stromversorgung sichern. Denn neben der Klimaneutralität brauche es auch eine Plutoniumneutralität. "Es nicht nur darum geht, CO2 zu reduzieren, sondern auch das gefährliche, langlebige Plutonium in den radioaktiven Abfällen", so das DIW.
Keines der drei Reaktorkonzepte attraktiv
Die Experten des Instituts haben für ihre Studie drei Reaktorkonzepte untersucht, die aktuell die internationale Atomdebatte bestimmten: Leichtwasserreaktoren, SMR, die auch als Small Modular Reactors bekannt sind, und schnelle Brüter.
Die Leichtwasserreaktoren, die auch Kernkraftwerke der dritten Generation genannt werden, mit einer elektrischen Leistung von 600 bis 1600 Megawatt basieren auf einer Technologie der 1980er Jahre und werden noch heute gebaut. Als problematisch erweisen sich dabei laut DIW jedoch überbordende Kosten und Bauverzögerungen, wie sie seit ihrer Entwicklung in besonders eklatanter Weise in den USA und Europa beobachtet wurden.
Die Technik der SMR-Reaktoren, wie sie etwa vom Microsoft-Gründer Bill Gates gefordert werden, hätte sich bereits in den vergangenen Jahrzehnten aus Kostennachteilen nicht gegenüber leistungsfähigeren Reaktoren durchsetzen können. Heute gebe es einige Pilotprojekte, etwa in den USA, Kanada und Großbritannien, die jedoch Modellrechnungen zufolge wesentlich teurer werden dürften als herkömmliche Reaktoren, so der DIW-Bericht. Noch dazu sei die Marktnachfrage gering. Trotz jahrzehntelanger Forschung hätte kaum ein Kernkraftwerk des Typs SMR den kommerziellen Leistungsbetrieb aufnehmen können. Insbesondere bestehe aber keine Perspektive, die erheblichen Größennachteile durch Massenproduktion wettzumachen.
"Hierfür wäre bei optimistischer Betrachtung der Bau von mehreren Tausend baugleichen Kernkraftwerken notwendig", heißt es in dem Bericht.
Auch schnelle Brüter und andere nicht leichtwassergekühlte Reaktoren seien auf absehbare Zeit nicht wettbewerbsfähig, wie die DIW-Forscher in ihrer Studie aufzeigten.
"Die Technik stammt ebenfalls aus dem vergangenen Jahrhundert, die meisten angeschobenen Projekte wurden wegen sicherheitstechnischer Mängel und fehlender wirtschaftlicher Perspektiven gestoppt", so der Bericht. Da bei schnellen Brütern viel spaltbares Material entsteht, bestünde auch das Risiko, dass das Material für Atomwaffenzwecken weitergegeben und genutzt werden könnte.
Fördergelder sollten an erneuerbare Energien gehen
Das DIW empfiehlt der Bundesregierung, staatlich geförderte Forschung künftig auf jene Bereiche zu konzentrieren, von denen substanzielle Beiträge zur Energiewende zu erwarten seien. "Dies sind etwa erneuerbare Energien oder Speichermöglichkeiten und andere Flexibilitätsoptionen, Atomkraft gehört definitiv nicht dazu", betonte Kempfert.
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March 07, 2023 08:45 ET (13:45 GMT)