Bei einer Anlage in AT1-Anleihen (Contingent Convertible Bonds, bedingte Pflichtwandelanleihen, auch „CoCos“ genannt) sind einige Risiken zu beachten. Auf den ersten Blick erscheinen diese von Finanzinstituten ausgegebenen Instrumente vielleicht ungewöhnlich, wenn Sie sich aber näher mit diesen Spezialanleihen befassen, werden Sie ihr einzigartiges Risiko-Ertrags-Profil besser schätzen lernen.
CoCos zeichnen sich als hybride Instrumente aus, denn sie verbinden die Eigenschaften von Anleihen und Aktien. Sie weisen eine faszinierende Dualität auf: Einerseits verhalten sie sich wie festverzinsliche Produkte und bieten Anlegern regelmäßige Zinszahlungen, andererseits können sie unter bestimmten vordefinierten Bedingungen in Eigenkapital umgewandelt oder unter bestimmten Umständen abgeschrieben werden. Aufgrund dieser einzigartigen Kombination „balancieren“ CoCos zwischen den Welten von Fremd- und Eigenkapital.
CoCos sind renditestarke Instrumente – diese hohe Rendite ergibt sich aus einer Vielzahl von Risikokompensationen. Wir konzentrieren uns in diesem Beitrag auf drei dieser Risiken: das Umwandlungsrisiko, das Verlängerungsrisiko und das Risiko am Punkt der Nicht-Überlebensfähigkeit.
Umwandlungsrisiko – die dramatische Metamorphose
Eines der Hauptrisiken im Zusammenhang mit CoCos ist das Umwandlungsrisiko bzw. das Abschreibungsrisiko. Die Instrumente haben in der Regel einen im Voraus festgelegten Auslöser für die Umwandlung, etwa einen Rückgang der Eigenkapitalquote des Emittenten (wie Common Equity Tier 1 (CET1) bzw. die harte Kernkapitalquote) oder ein bestimmtes regulatorisches Ereignis. Bei Eintritt des Auslösers durchlaufen die CoCos eine dramatische Metamorphose und werden von Schulden in Eigenkapital umgewandelt bzw. können praktisch wertlos werden. In der Wasserfallstruktur liegen sie zwischen Eigenkapital und nachrangigen Verbindlichkeiten. Das Umwandlungsrisiko ist daher größer als das Ausfallrisiko bei nachrangigen Anleihen desselben Emittenten. Das ist schon etwas!
Verlängerungsrisiko – wenn Ihre Geduld auf die Probe gestellt wird
Stellen Sie sich vor, Sie warten auf einen Bus, der immer wieder Verspätung hat, und Sie wissen nicht, wann er endlich kommt. So fühlt sich das Verlängerungsrisiko in der Welt der CoCos an, denn diese Instrumente sind mit einer Funktion ausgestattet, die es dem Emittenten ermöglicht, das Fälligkeitsdatum ohne Strafzahlung (Step-up) zu verlängern. Für Anleger kann es daher schwierig sein, den genauen Zeitpunkt von Cashflows vorherzusagen, was dem Anlagehorizont eine gewisse Unsicherheit verleiht.
Steigende Zinssätze können ein zweischneidiges Schwert sein. Einerseits sind sie in der Regel gut für den Finanzsektor und verringern daher das Umwandlungsrisiko. Andererseits können sie erhebliche negative Auswirkungen auf CoCos haben, insbesondere in Bezug auf ihre Kündigungsmerkmale. Im Gegensatz zu herkömmlichen Anleihen, die häufig mit Step-ups ausgestattet sind, die die Spreads im Laufe der Zeit schrittweise erhöhen, wenn die Anleihen nicht zu den festgelegten Terminen gekündigt werden, weisen CoCos keine solchen Bestimmungen auf. In Anbetracht des Fehlens von Step-ups ist es für den Emittenten wirtschaftlich vorteilhaft, die CoCo-Anleihe nicht vorzeitig zu kündigen, insbesondere in einem Umfeld steigender Zinssätze. Wenn der Emittent die Anleihe weiterlaufen lässt, kann er von den höheren aktuellen Zinssätzen profitieren und weiter den bestehenden Kupon zahlen, was möglicherweise Einsparungen bei den Fremdkapitalkosten bedeutet.
Aus Anlegersicht kann diese verlängerte Laufzeit jedoch Herausforderungen mit sich bringen. Bei steigenden Zinsen sinkt der Marktwert von festverzinslichen Instrumenten tendenziell. Anleger könnten CoCos mit Kupons halten, die im aktuellen Zinsumfeld vergleichsweise weniger attraktiv sind. Darüber hinaus kann die verlängerte Laufzeit die Rückzahlung von Kapital verzögern, was sich auf die Investmentliquidität auswirkt und möglicherweise Kapital für einen längeren Zeitraum als erwartet bindet. Ob eine Anleihe gekündigt wird oder nicht, ist die Entscheidung des Emittenten. Neben wirtschaftlichen Argumenten kommen auch Reputationsargumente ins Spiel. Einige Emittenten wollen ihre Anleger nicht verprellen und ziehen es aus Reputationsgründen vor, trotzdem zu kündigen, auch wenn es wirtschaftlich vernünftig wäre, dies nicht zu tun. Eine genaue Quantifizierung des Risikos ist keine exakte Wissenschaft. In letzter Zeit wurden alle Anleihen, die ihren ersten Kündigungstermin erreicht haben, gekündigt.
Regulatorisches Risiko – der Auslöser der Regulierungsbehörde am Punkt der Nicht-Überlebensfähigkeit
Dann gibt es noch ein regulatorisches Risiko bzw. den Auslöser der Regulierungsbehörde am Punkt der Nicht-Überlebensfähigkeit (Viability-Trigger). Wie wir im Fall der Credit Suisse erfahren haben, ist dies ein weiterer wichtiger Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt. Der Punkt der Nicht-Überlebensfähigkeit ist erreicht, wenn die finanzielle Gesundheit des Emittenten von der Regulierungsbehörde als gefährdet angesehen wird – selbst wenn die Kapitalquoten (etwa die CET1) deutlich über dem Auslöseniveau liegen. Auch regulatorische Eingriffe können also Auslöser für CoCos sein. Wenn der Viability-Trigger aktiviert wird, können die CoCos umgewandelt oder vollständig abgeschrieben werden.
Dabei ist zu beachten, dass die „permanente Abschreibung“ nur für Schweizer Emissionen gilt. Dieser Risikofaktor unterstreicht, wie wichtig es ist, sich über regulatorische Entwicklungen und deren mögliche Auswirkungen auf die Investition auf dem Laufenden zu halten. Wie der Fall der Credit Suisse zeigt, wurde die klassische Wasserfallstruktur nicht eingehalten, als die CoCos auf null abgeschrieben wurden, das Eigenkapital aber erhalten blieb. Die Regulierungsbehörden der EU und des Vereinigten Königreichs haben geradezu aufgeschrien, dass dies in ihrem Rahmen nicht möglich sei. In der Tat sind die EU-Befugnisse am Punkt der Nicht-Überlebensfähigkeit (Point of Non-Viability, PONV) in der Richtlinie zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (Bank Recovery and Resolution Directive, BRRD) gesetzlich verankert. Diese legt eindeutig fest, dass Instrumente nur dann auf null abgeschrieben werden können, wenn die Position der Anteilseigner bzw. Aktionäre vollständig vernichtet wurde und somit die Wasserfallstruktur im Konkursfall eingehalten wird.
Im Gegensatz zur Schweiz, wo es relativ einfach ist, sich auf das Notrecht zu berufen und innerhalb eines Wochenendes eine Verordnung zu erlassen (oder Klarstellungen vorzunehmen), wie dies bei der jüngsten Rettungsaktion der Credit Suisse der Fall war, können solche Schritte in der EU aufgrund der Komplexität – da alle EU-Länder zustimmen müssen (und zusätzlich eine Bewertung durchgeführt werden muss) – innerhalb eines Wochenendes oder kurzer Zeiträume praktisch nicht erreicht werden.
Abbildung 1: Die AT1-Anleihen der UBS haben sich seit der Übernahme der Credit Suisse schlechter entwickelt als der breite europäische CoCo-Markt
Quelle: WisdomTree, Markit, Bloomberg, Stand: 15. Juni 2023.
Es ist nicht möglich, direkt in einen Index zu investieren.
Die historische Wertentwicklung ist kein Hinweis auf die künftige Wertentwicklung, und Anlagen können im Wert sinken.
Das Dilemma der CoCo-Kupons
In Anbetracht der verschiedenen Risiken, die CoCos mit sich bringen, ist es nicht verwunderlich, dass diese ungewöhnlichen Instrumente in der Regel hohe Kupons bieten. Anleger verlangen eine Entschädigung für die Übernahme der zusätzlichen Ungewissheiten, die mit dem Umwandlungsrisiko, dem Verlängerungsrisiko und dem Regulierungsrisiko einhergehen. Diese höheren Kuponsätze können zwar verlockend sein, dennoch ist es wichtig, die zugrunde liegenden Risiken gründlich abzuschätzen und zu beurteilen, ob die potenziellen Gewinne die Berg- und Talfahrt wert sind.
CoCos bieten eine Mischung aus der Stabilität festverzinslicher Wertpapiere und dem attraktiven Potenzial aktienähnlicher Gewinne. Das Umwandlungsrisiko, das Verlängerungsrisiko und das Regulierungsrisiko sind die Hürden, die diese einzigartigen Anlagen begleiten. Wenn man diese Risiken genau kennt, sind CoCos vielleicht das ungewöhnliche Kind, das man immer mehr ins Herz schließt.
Abbildung 2: AT1-CoCos bieten eine attraktive Rendite pro Durationseinheit
Quelle: WisdomTree, Markit, Daten vom 31. März 2023.
Die Rendite ist die Yield-to-Worst (YTW, Rendite im schlechtesten Fall) und basiert auf der durationsbereinigten Marktwertgewichtung. Die effektive OA-Duration ist die effektive, optionsbereinigte Duration. AT1-CoCos werden durch den iBoxx Contingent Convertible Liquid Developed Europe AT1 Index dargestellt, USD-HY durch den iBoxx USD Liquid High Yield Index, EUR-HY durch den iBoxx EUR Liquid High Yield Index, USD-Corps (Unternehmensanleihen) durch den iBoxx USD Liquid Investment Grade Index, EUR-Corps (Unternehmensanleihen) durch den iBoxx Euro Liquid Corporates Index, EUR-IG-Financials (IG-Finanzwerte) durch den iBoxx EUR Liquid Financials Index, EUR-HY-Financials (HY-Finanzwerte) durch den iBoxx EUR Liquid High Yield Financials Index, EUR-HY-Banks (HY-Banktitel) durch den iBoxx EUR High Yield Banks Index, EM-Corps (Unternehmenstitel aus Schwellenländern) durch den iBoxx USD Liquid Asia ex-Japan Corporates Large Cap Investment Grade Index, EM-Gov (Staatstitel aus Schwellenländern) durch den iBoxx USD Liquid Emerging Markets Sovereigns Index.
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