Kopf der Woche

Markus Brunnermeier: „Systemrisiken viel früher erkennen"

07.09.09 19:12 Uhr

Ben Bernanke und George Soros beraten sich mit dem deutschen Princeton-Professor Markus Brunnermeier.

von Elmar Peine, €uro am Sonntag

Wie entstehen Spekulationsblasen? Und vor allem: Wie kann man sie künftig verhindern? Der deutsche Ökonom Markus Brunnermeier, Professor an der amerikanischen Elite­universität Princeton, gehört zu den profiliertesten Experten auf diesem Gebiet. Einflussreiche Persönlichkeiten wie US-Finanzminister Tim Geithner und Notenbank-Chef Ben Bernanke suchen den Rat des Nie­derbayern. In €uro am Sonntag erklärt Brunnermeier, welche Konsequenzen aus der Finanzkrise gezogen werden müssen und was sich vor allem für Banken ändern muss.

€uro am Sonntag: Professor Brunnermeier, Sie sind Experte für spekulative Blasen. Erleben wir nach der Kredit- und Immobilienblase gerade die nächste Blase auf den Aktienmärkten?
Markus Brunnermeier: Ich würde da nicht von einer Blase sprechen, sondern eher von einer Preisverzerrung. Ich würde im Aktien­bereich im Herbst eine Korrektur nicht ausschließen, erwarte aber keinen Preissturz, wie er für eine Blase üblich ist.

Ist denn 2008 eine Blase an der Börse zerplatzt?
Brunnermeier: Der Aktienmarkt wurde mit in den Strudel der Immobilienblase gerissen. Die eigentliche Blase ist auf den Häuser- und Kreditmärkten geplatzt.

Also konnten die Aktienanleger vorher nichts absehen?
Brunnermeier: Nein, allerdings hat mich gewundert, dass der Absturz der Aktienkurse erst nach der Lehman-Pleite erfolgte. Im Vergleich zu den Kreditmärkten war das sehr spät.

Zu wissen, wann eine Blase platzt, ist eine kostbare Information. Worum ging es denn, als Sie George Soros vergangenes Jahr zur Unterredung einge­laden hatte?
Brunnermeier: Er wollte mit mir über die Entwicklung der Ölpreise reden.

Von heute aus betrachtet: War der Ölpreisanstieg eine Blase?
Brunnermeier: Das ist nicht eindeutig. Spekulation wird vorwiegend an Terminmärkten durch „Indexhändler“ getrieben, und man hat in der Tat festgestellt, dass Rohstoffe, die im Index enthalten sind, nun stärker miteinander korreliert sind. Dies deutet auf eine Preisverzerrung hin. Andererseits gibt es nur sehr begrenzt Hinweise, dass tatsächlich mehr Rohöl für spekulative Zwecke angekauft und gelagert wurde.

Sie haben vor Kurzem vorgeschlagen, ein Arrangement zu finden, das die Identifizierung von Blasen erleichtert und die Koordinierung der Investoren fördert, um die Spekulation frühzeitig zu beenden. Wie kann man sich das vorstellen?
Brunnermeier: Das könnte bei den Zentralbanken aufgehängt werden. Man könnte das dann im Rahmen etwa des „Financial Stability Report“ der FED oder des „Global Stability Report“ des Internationalen Währungsfonds tun.

Harte Monetaristen oder Anhänger der Theorie rationaler Erwartungen würden vermutlich sagen, es bedürfe keines Bubbles-Berichts, weil man mit einer strikten Geldpolitik die Blase verhindert hätte.
Brunnermeier: Eine strikte Geld­politik hätte auf jeden Fall geholfen, ja. 2004 und 2005 hätte die FED die Zinsen erhöhen sollen. Das hätte von vornherein verhindert, dass sich Zweckgesellschaften ihre langfristigen Anlagen mit kurzfristigen billigen Krediten refinanziert hätten, wie das bei Immobilienfinanzierern oft der Fall war.

Sie kennen die FED gut. Deren Chef Ben Bernanke hat Sie einst nach Princeton geholt. Glauben Sie, dass die FED aus den ­Erfahrungen mit der Krise gelernt hat?
Brunnermeier: Ja, das glaube ich. Ich denke, dass das „Inflation Tar­geting“ abgewandelt und angepasst werden muss. Man sollte auch wieder stärker auf die Geldmenge und das Kreditwachstum als Zielgrößen der Politik achten.

Sollte die Geldmenge, dieser vielfach als angestaubt belächelte Indikator der Eu­ropäer, wirklich eine Wiedergeburt erleben?
Brunnermeier: Ja, das glaube ich. Wenngleich man auch da dazulernen muss.

Was denn?
Brunnermeier: Geld- und Kreditmenge müssen im Detail angesehen werden. Ein Beispiel: Die Zentralbanken haben lange keine Kreditklemme festgestellt, weil die Kreditmengen nach der Krise noch angewachsen sind. Jetzt zeigt sich, dass viele der Kredite im Rahmen längst vereinbarter Kreditlinien abgerufen wurden. Neue Kreditlinien wurden aber von den Banken nur sehr eingeschränkt eingeräumt. Der Blick auf die puren Mengen hat also die tatsächlichen Verhältnisse, die Kreditklemme, verschleiert.

Was muss noch passieren, etwa bei der Bankenaufsicht?
Brunnermeier: Da geht es zum Beispiel darum, den Zyklus stärker in die Aufsicht einzubeziehen. In Krisenzeiten wie der jetzigen wirkt der Markt so restriktiv, das die Aufsicht eigentlich überflüssig ist, womöglich stört. Dafür ist sie in Boomphasen umso wichtiger.

Sie werben auch für neue Bewertungsregeln.
Brunnermeier: Ja, wir sollten versuchen, durch neue Bewertungsregeln gewünschtes Verhalten zu belohnen. Bislang nutzen die Banken die Bewertungsspielräume aus, um je nach Krise oder Boom gut dazustehen, ohne substanziell etwas zu verbessern. Viele Banken switchen so etwa ihre Forderungen zwischen Loan­- und Trading-Book hin und her. In guten Zeiten und bei hohen Kursen ziehen sie so viel wie möglich ins ­Trading-Book, weil dort nach dem Marktwert (Mark to Market) bewertet wird und also hohe Gewinne und hohe Boni ausgewiesen werden können. Und in schlechten Zeiten bewerten sie nach dem Mark-to-Maturity-Prinzip, also vom Ende der Laufzeit und dem abgezinsten Rückzahlwert her. Zudem gelten für Versicherungsgesellschaften und Hedgefonds wieder andere Regeln.

Sie schlagen das Mark to Funding vor, also eine Bilanzierung von Vermögenswerten nach Art der Refinanzierung.
Brunnermeier: Ja, Bilanzregeln sollten nicht der Verschleierung der Risiken oder der Maximierung von Bonuszahlungen dienen, sondern Wohlverhalten fördern. Ich fände es besser, wenn Banken je nach Art der Refinanzierung bewerten müssten. Falls sie eine Anlage oder eine Kreditforderung mit kurzfristigen Gel­dern refinanziert haben, müssten sie die Forderung nach Marktpreisen bewerten. Falls sie langfristig, also risikoloser, finanziert haben, dürften sie auch nach dem Mark-to-Maturity-Prinzip bewerten. Die Einführung eines solchen Prinzips bildet die Risiken besser ab und sie setzt Anreize für eine langfristige Refinanzierung.

Viele Beobachter haben den Eindruck, dass die ­Krisenbekämpfung schon deshalb in die falsche Richtung läuft, weil einzelne Banken immer größer und nach der Krise noch systemrelevanter als vorher sein würden. Läuft da was falsch?
Brunnermeier: Jedenfalls müssen die Risiken großer Banken vollständiger berücksichtigt werden. Die Aufsicht fixiert bislang die Risiken einer Bank isoliert. Diese Sichtweise muss überwunden werden. Der Fokus sollte auf systemische Risiken und Spill-over-Effekte gelegt werden. Wie groß ist der Schaden für andere Banken, wenn diese Bank fällt?

Sind denn große Banken unter dem Strich systemisch risikoreicher?
Brunnermeier: Ja. Wir haben Simulationen gemacht und herausgefunden, dass die Risiken, die von einer Bank ausgehen, mit der Größe überproportional ansteigen.

Dann brauchen wir also eine Strafsteuer für große Banken?
Brunnermeier: Oder Bewertungsregeln oder Eigenkapitalregeln, die die Größe einer Bank, deren Finanzierungsliquidität, die Vernetzungsindikatoren und andere Indikatoren objektiv berücksichtigen.

Glauben Sie, dass das Zeitfenster für solche Reformen überhaupt noch existiert?
Brunnermeier: Zugegeben: Seitdem sich zum Thema Finanzkrise die Meinung „Das Schlimmste ist überstanden“ durchgesetzt hat, ist das bewegende öffentliche Thema etwa in den USA die Gesundheits­reform. Trotzdem wird in vielen Institutionen, im FED usw. eifrig an Reformplänen gearbeitet.

Sie sind direkt beteiligt. Was könnte denn kommen?
Brunnermeier: Die Einarbeitung von Systemrisiken in die Risikokontrolle ist schon ein entscheidender Punkt. Das betrifft übrigens nicht nur Banken, sondern auch Hedgefonds, Immobiliengesellschaften und andere, die System­risiken verursachen. Entscheidend wird es sein, objektive Kriterien einzuführen und sich nicht danach zu richten, ob sich eine Institution Bank oder Hedgefonds nennt.

Princeton-Professor Markus K. Brunnermeier ist einer der einflussreichsten deutschen Ökonomen in den USA. Vor Jahren von Ben Bernanke in die Staaten geholt, geht der mittlerweile zum Princeton-Professor avancierte Brunnermeier nicht nur in der US-Notenbank FED ein und aus. Im Finanzministerium um Tim Geithner ist er auch kein Unbekannter. Brunnermeier hat Vorschläge entwickelt, wie man die Welt nach der Finanzkrise wetterfester machen kann.