Griechenlands Schuldenberg: Schluss mit kreativem Schönrechnen
Griechenlands Schulden werden zu einem Problem von ganz Europa. Der Steuerzahler wird wohl zur Kasse gebeten, der Anleger muss zittern.
von Martin Blümel, Euro am Sonntag
Wir werden in unseren Schulden ertrinken“, prophezeit Griechenlands Premier Giorgos Papandreou am Montagabend in einer vom Fernsehen übertragenen Rede. „Entweder wir ändern uns oder wir gehen unter.“ Das ist viel Pathos. Die Lage ist aber auch ernst. Spekulationen über einen möglichen Staatsbankrott des Landes machen die Runde. 300 Milliarden Euro Schulden muss Griechenland stemmen, das sind 125 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zum Vergleich: Deutschlands Schuldenlast liegt bei etwa 70 Prozent.
Weil Griechenland also scheinbar absäuft, fallen die Kurse hellenischer Staatsanleihen immer weiter. Durchaus zu Recht. Dass das Land jahrelang höchst kreativ Schuldenstand und Haushaltsdefizit schöngerechnet hat, nimmt man aber nicht nur an den Finanzmärkten, sondern spätestens jetzt und offiziell auch in Brüssel wahr. Tatsächlich scheinen jene Kritiker recht zu bekommen, die Griechenlands Beitritt zur Währungsunion schon immer als Fehler angesehen haben. Es sind bittere Wahrheiten, die in diesen Tagen verkündet werden. Griechenlands Haushaltsdefizit summiert sich ohne kreative Schönrechnerei auf fast 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist europäische Spitze. Aber ist es schon die ganze Wahrheit? Der Internationale Währungsfonds jedenfalls will die Staatsfinanzen Griechenlands vor Ort überprüfen. Man befürchtet, das Loch sei noch größer als von der Regierung gemeldet. Das nennt man Vertrauensverlust. Das Schlimme daran: Der Virus Vertrauensverlust verbreitet sich über die griechischen Landesgrenzen hinaus.
Athen ist jetzt überall, so scheint es. Auch andere Regierungen sind wohl in die Bredouille geraten. Sie zahlen zwar brav ihre Zinsen, doch glaubt man ihnen, dass dies so bleibt? Die Gemeinschaftswährung Euro fällt sicher nicht ohne Grund. Die stark steigenden Schulden finanzschwacher Euroländer setzen die Gemeinschaftswährung unter Druck, der Euro notiert inzwischen rund acht Cent unter dem Jahreshoch von vor zwei Wochen. Wer Griechenland anprangert, muss auch Portugal, Italien und Irland auf dieselbe Liste setzen. Sie sind suspekt, die Staaten, die wegen ihrer maroden Verfassung und ihrer Anfangsbuchstaben unschmeichelhaft mit „Pig“ abgekürzt werden.
Es muss ja nicht so weit kommen, dass die globale Finanzkrise wegen Griechenland wieder aufflammt – trotzdem sind die Finanzmärkte extrem nervös. Was, wenn die Risikoprämien so weit in die Höhe schießen, dass der griechische Staat seine Schulden nicht mehr finanzieren kann? Was, wenn die Zweifel an der Zahlungsfähigkeit anderer Eurostaaten weiter zunehmen? Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) jedenfalls warnt vor einer Verschärfung der Situation. „Die Lage in Griechenland ist sehr ernst, die Gefahr eines Staatsbankrotts ist real“, sagt IfW-Präsident Denis Snower. „Man darf diese Gefahr nicht kleinreden, auch wenn sie derzeit noch unwahrscheinlich scheint.“
Was also tun? Griechenland versucht es mit einer Art „Goodwill-Tour“ quer durch den europäischen Kontinent. „Wir werden die Märkte überzeugen, dass wir es mit unseren Bemühungen um den Abbau des Defizits sehr ernst meinen“, sagt der Premier und schickt seinen Finanzminister Giorgos Papakonstantinou auf Blitzbesuche nach Berlin, Paris und London, damit dieser um Unterstützung wirbt. Die Regierung steht unter Handlungsdruck. Am Mittwoch senkte die Ratingagentur Standard & Poor’s ihre Note für die Kreditwürdigkeit Griechenlands von A- auf BBB+ ab und warnte vor weiteren Schritten. Schon in der Vorwoche hatte die Ratingagentur Fitch das Land auf BBB+ heruntergestuft – es ist die schlechteste Bonitätsnote aller Eurostaaten.
Daher die Goodwill-Tour. Das Ergebnis der Reise: Die Europäische Kommission verlangt einen Fahrplan für den Schuldenabbau. „Athen muss im Januar konkrete Maßnahmen ergreifen, die eine schnelle Konsolidierung der öffentlichen Finanzen sicherstellen“, sagt EU-Währungskommissar Joaquín Almunia. Die bisher gemachten Versprechen der Griechen seien dabei „ein Schritt in die richtige Richtung“. So will Papandreou das Haushaltsdefizit bis 2013 wieder unter die EU-Marke von drei Prozent bringen. Um dies zu erreichen, soll es drastische Einschnitte geben: zehn Prozent weniger Regierungs- und Sozialausgaben, Kürzungen der Gehälter von Kabinettsmitgliedern, Staatssekretären sowie Managern staatlicher Unternehmen, Steuern von bis zu 90 Prozent auf Boni in der Privatwirtschaft. Ab 2012 will Griechenland zudem die Staatsschulden abbauen, die zurzeit bei 113 Prozent des BIP liegen und 2010 gut 120 Prozent erreichen werden.
Ob den Worten Taten folgen? Oder wird es doch dazu kommen, dass die finanzstärkeren Euroländer den Patienten Griechenland mit durchschleifen müssen? Auf Kosten des Steuerzahlers natürlich und auf Kosten anderer Investitionen des Staats – Griechenland geht insofern jeden EU-Bürger an. Es darf also spekuliert werden, ob Deutschland und Frankreich eher Gemeinschaftsanleihen mit den Wackelkandidaten begeben, als den Zahlungsausfall eines Eurostaats hinzunehmen. Im Falle eines – doch recht realistischen – Beistands aus Berlin und Paris, wären Griechenland-Anleihen auf dem aktuell niedrigen Preisniveau tatsächlich einen Kauf wert, so kurios das angesichts der dargebotenen Kapriolen klingen mag.
Schwere Zeiten stehen an für Staatsanleihen. Brüsseler Hilfen mögen Griechenland unterstützen, die Bonität bislang relativ solider Länder aber sicher nicht. Nach Einschätzung der Ratingagentur Moody’s wächst bei Staatspapieren generell das Risiko von Zahlungsausfällen, die Kreditqualität schwindet. Gerade die großen Industriestaaten sind gefährdet. Von Deutschland ist bei Moody’s noch nicht die Rede, jedoch sind die USA und Großbritannien in der Pflicht, überzeugende Pläne zur Reduzierung der Defizite vorzulegen. „Ansonsten könnten sie schon 2011 ihre Bonitätsbestnoten einbüßen“, so Pierre Cailleteau, bei Moody’s für die Ländereinstufung verantwortlich. „Die langfristigen Zinsen werden weltweit steigen und damit die wahren Kosten der Finanz- und Wirtschaftskrise offenbaren.“ Kein Land könne sich erlauben, mit Konsolidierungsplänen zu warten, bis sich die Wirtschaft nachhaltig erholt hat. „Investoren könnten beginnen, das Undenkbare zu denken, ob auch reiche Staaten an ihrem Schuldendienst scheitern können“, warnt Cailleteau.
Moody’s befürchtet, dass die Refinanzierung für Industrienationen im kommenden Jahr teurer wird: Nach dem Krisenjahr 2009, in dem die Anleihen von Ländern mit guten Ratings sehr gefragt und für die Staaten entsprechend günstig waren, sei 2010 bestenfalls mit einer Normalisierung und schlimmstenfalls mit einer deutlichen Verschlechterung der staatlichen Refinanzierungsbedingungen zu rechnen.
Auch für die Schwellenländer sind die Finanzierungsbedingungen schwieriger geworden. So wurde die Bonitätsnote Mexikos gerade von BBB+ auf BBB gesenkt. Und der Ukraine steht das Wasser scheinbar bis zum Hals, anders kann deren Bitte zur vorzeitigen Auszahlung einer für 2010 geplanten IWF-Kredittranche in Höhe von zwei Milliarden Dollar nicht verstanden werden. Wie teuer die Finanzierung für Länder mit schwächerer Bonität künftig tatsächlich wird, zeigt sich schon im Januar, wenn Griechenland eine neue Anleihe auf den Markt bringt. Dank der möglichen Rettungsringe aus Brüssel wird aber wohl alles gut gehen.
Griechische Kreditwürdigkeit
Fallende Kurse, steigender Zins
Nach Fitch hat auch die führende Ratingagentur S & P ihre Note für die Kreditwürdigkeit Griechenlands gesenkt. Schon im Vorfeld waren die Kurse griechischer Anleihen gefallen und die Renditen somit gestiegen. Gegenüber vergleichbaren deutschen Staatsanleihen gibt es in Griechenland 220 Basispunkte mehr Rendite.
Griechische Schulden
Größtes Defizit in Europa
Nach dem Regierungswechsel Anfang Oktober hatte sich herausgestellt, dass wegen „statistischer Fehler“ das griechische Staatsdefizit mit 12,7 Prozent des BIP in diesem Jahr doppelt so hoch ausfallen wird als bisher angenommen. Das ist der höchste Fehlbetrag aller Euroländer. Der Schuldenstand insgesamt beträgt fast 125 Prozent des BIP – ebenfalls ein Spitzenwert.
Griechische Anleihen
5,69 Prozent Rendite
Griechenland, Italien, Irland, Spanien und Portugal haben Probleme. Heiß diskutiert werden daher mögliche Unterstützungen durch die finanzstärkeren Euroländer – etwa Gemeinschaftsanleihen. Weil darauf bereits spekuliert wird, gibt es derzeit bei zehnjährigen Papieren wieder ansehnliche Renditeaufschläge. Risiko beachten!
Griechenland: GR 012 403 165 0
Irland: IE 00B 608 9D1 5
Italien: IT 000 453 694 9
Portugal: PT 0TE M0E 002 7
Spanien: ES 000 001 210 6
Quelle: Bloomberg Stand 17.12.09
Anleihefonds
Alternative: Schwellenländer
Alternativen zu Anleihen der Industriestaaten bieten Fonds mit Schwellenländerbonds. Vor allem Fonds, die auf Lokalwährungspapiere setzen, gehören zu den ertragreichsten Fonds 2009. Ganz so leicht wird es 2010 nicht mehr, da die Zinsen meist nicht mehr weiter sinken werden. Auf der anderen Seite sind Währungen rohstoffreicher Länder interessant.
ING (L) EM Debt HC: LU 004 134 575 1
Templeton EM Bond: LU 002 987 635 5
Allianz-dit EM Bond: IE 003 282 827 3
Julis Bär EM Bond: LU 008 139 440 4
ESPA Bond EM: AT 000 080 916 5
Quelle: FundAnalyzer
