„Das ist der Preis Norwegens, nicht unserer“

14.10.25 09:36 Uhr

Der Friedensnobelpreis wird in diesem Jahr überraschend an die Oppositionspolitikerin María Corina Machado verliehen. Laut Begründung des Osloer Komitees ist sie diejenige, die in Venezuela „die Flamme der Demokratie in der wachsenden Dunkelheit“ am Leben erhält. Im Land selbst stößt die Auszeichnung jedoch auf verhaltene Resonanz, denn die Realität in Venezuela ist weitaus komplexer.Zum einen dämpft die anhaltende Repression jeden offenen Jubel unter ihren Anhängerinnen und Anhängern. Doch es ist nicht nur die Angst vor Hausbesuchen durch Sicherheitskräfte oder vor Verhaftungen, die die Freude trübt. „Das ist der Preis Norwegens, nicht unserer“, sagt eine Venezolanerin, als sie am frühen Morgen von der Nachricht erfährt. „Der Friedensnobelpreis – für jemanden, der eine militärische Invasion befürwortet und damit Menschenleben aufs Spiel setzt?“, fragt ein junger Mann auf dem Weg zur Arbeit. Selbst unter Machados Unterstützerinnen und Unterstützern gibt es Zweifel: „Sie hat sicherlich Preise verdient, aber den Friedensnobelpreis?“, meint eine Biologiestudentin.Venezuelas Präsident Nicolás Maduro äußerte sich erst am Sonntag – anlässlich des Tages des indigenen Widerstands – und beschimpfte Machado als „teuflische Hexe“, die von 90 Prozent der Bevölkerung abgelehnt werde. Auf die Preisverleihung selbst ging er nicht ein.Dagegen gratulierten die demokratischen Kräfte in der Region, im Land und im Exil parteiübergreifend und begrüßten vor allem die Aufmerksamkeit, die die Auszeichnung auf Venezuela lenkt. Auch die derzeit prominenteste venezolanische Menschenrechtsorganisation fand anerkennende Worte: Sie sieht die Vergabe des Preises als „Unterstützung im Kampf für Veränderung“. Die diplomatischen Worte, wie sie unter anderem auch Präsident Frank-Walter Steinmeier fand, treffen den Kern: Ausgezeichnet werden laut Steinmeier „persönlicher Einsatz, Mut, Hartnäckigkeit“, allerdings kein wie auch immer geartetes Dialogprojekt oder gar Verhandlungserfolge. Damit reiht sich Machado ein in eine Reihe fragwürdiger Friedensnobelpreisträger der Vergangenheit.  Damit reiht sich Machado ein in eine Reihe fragwürdiger Friedensnobelpreisträger der Vergangenheit.  Anerkannt und unbestritten ist Machados Energie, mit der sie den Sieg bei den Präsidentschaftswahlen am 28. Juli 2024 verteidigt. Gemeinsam mit dem Ex-Diplomaten Edmundo González Urrutia, der antrat, nachdem ihr die Kandidatur aberkannt worden war, errang sie einen klaren Wahlsieg. Das Besondere daran: Dank zuvor geschulter Wahlhelferinnen und Wahlhelfer in den Wahllokalen konnten die Wahlakten dokumentiert und der Sieg mit Zahlen und Prozenten konkret belegt werden – unabhängig von der staatlichen Wahlbehörde. Das war ein bislang einzigartiger Vorgang in der venezolanischen Demokratiegeschichte. Dafür findet Machado im Land breite Anerkennung.Doch das liegt inzwischen über ein Jahr zurück, und die Menschen im Land blicken nach vorn: Festhalten an etwas, das gestohlen und verloren ist – oder neue Wege suchen? Um heute in Venezuela eine tragende Rolle zu spielen, fehlen Machado zwei entscheidende Dinge: Aktionsspielraum und Dialogbereitschaft. Ihr Handlungsspielraum ist begrenzt, da sie seit über einem Jahr im Untergrund lebt. Das ist durchaus im Sinne des Regimes, das längst Gelegenheit gehabt hätte, sie zu verhaften – dies aber aus gutem Grund nicht getan hat.Anlässlich der Amtseinführung von Präsident Nicolás Maduro hatte Machado einen ihrer seltenen öffentlichen Auftritte bei einer Kundgebung ihrer Anhängerinnen und Anhänger. Anschließend wurde sie von staatlichen Sicherheitskräften gestellt. Es folgten Stunden der Ungewissheit über ihren Verbleib, ein schwer zu deutendes Video – und schließlich meldete sie sich erneut aus ihrem Versteck. Die Botschaft war eindeutig: Die Regierung ist darauf bedacht, keine Märtyrerin zu schaffen – und im Idealfall einen Exil-Deal zu vereinbaren.Doch Machado weiß genau, dass ein Exil ihrer politischen Bedeutungslosigkeit gleichkäme – und bleibt daher hartnäckig im Land. Ihr Handlungsspielraum beschränkt sich unter diesen Umständen auf ihre sozialen Kommunikationskanäle und auf internationale Netzwerke. Darüber verbreitet sie ihre Positionen und versucht, die internationale Gemeinschaft zu mobilisieren. Innerhalb Venezuelas jedoch gibt es keine erkennbaren Bemühungen, das Parteienbündnis, das sie bis zu den Präsidentschaftswahlen getragen hatte, zusammenzuhalten oder gemeinsame Strategien zu entwickeln.Mit ihrem kompromisslosen Aufruf zum Wahlboykott hat sie die wenigen im Land verbliebenen demokratischen Kräfte gespalten.Sie ist lediglich eine, nicht die Oppositionsführerin, wie sie international gerne dargestellt wird. Im Gegenteil: Mit ihrem kompromisslosen Aufruf zum Boykott der Parlaments-, Gouverneurs- und Kommunalwahlen 2025 hat sie die wenigen im Land verbliebenen demokratischen Kräfte gespalten – in jene, die ihrem Aufruf aus Loyalität folgten, und jene, die trotz aller Widrigkeiten das politische Feld nicht kampflos verlassen wollten.Auch mit den Menschenrechtsorganisationen im Land besteht kein strategisches Bündnis – obwohl angesichts der politischen Gefangenen auf allen Seiten ein starkes gemeinsames Interesse bestünde. Wer in Venezuela Menschen sucht, die „die Flamme der Demokratie“ am Leben erhalten, findet sie dort.Bündnisse mit den regionalen Nachbarn zu schmieden – etwa mit Venezuelas wirtschaftlich wichtigstem Partner Kolumbien oder der Regionalmacht Brasilien? Fehlanzeige. Machados internationale Verbündete sitzen weiter im Norden. Ihre direkte Verbindung zum US-amerikanischen Außenminister Marco Rubio ist kein Geheimnis: Beide trafen sich Anfang des Jahres digital anlässlich seiner Amtseinführung und unterstützen sich seither rege in den sozialen Medien. Selbst US-Präsident Trump äußerte sich – trotz eigener Ambitionen – anerkennend über die Preisträgerin. Machado wiederum widmete den Preis dem US-Präsidenten. Diese Verbindungen zu rechtspopulistischen internationalen Kreisen sind nicht neu – und sie sind ideologisch gefestigt. Das zeigte sich unter anderem im Februar bei Machados Auftritt vor der rechtspopulistischen Fraktion Patrioten für Europa im EU-Parlament in Brüssel.Angesichts dieser Lage ist es kaum vorstellbar, dass Machado einen wie auch immer gearteten Übergang gestalten könnte. Sie führt weder ein geeintes demokratisches Bündnis an, das Regierungsverantwortung übernehmen könnte, noch käme sie als Dialogpartnerin für das Regime infrage. Wer einen friedlichen Übergang gestalten will, muss den Machthabern Angebote machen, Brücken bauen. Für Machado bleibt jedoch die militärische Invasion das Mittel der Wahl. Ob es dazu kommt – und in welcher Form – ist offen. Die USA verstärken jedenfalls ihre militärische Präsenz im Karibischen Meer. Gut also, wenn auch die internationale Gemeinschaft darauf ein wachsames Auge wirft.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal