Kampf zweier Schwergewichte

14.10.25 10:31 Uhr

Für die erneute Eskalation zwischen den USA und China genügte eine einfache Pressemitteilung. Chinas Handelsministerium teilte in der vergangenen Woche mit, dass ab November neue, umfassende Exportkontrollen für Seltene Erden und damit verbundene Technologien gelten sollen. Erstmals sind auch Produkte betroffen, die in Drittländern mit chinesischen Rohstoffen hergestellt werden.Die Bekanntgabe erfolgte – Zufall oder nicht – fast zeitgleich mit der Vergabe des Friedensnobelpreises, der nicht an Trump ging. Freundliche Grüße aus Peking. Der US-Präsident reagierte prompt mit der Ankündigung zusätzlicher Zölle von 100 Prozent auf chinesische Importe ab November. Damit bricht der zwischenzeitlich mühsam beruhigte Handelskonflikt zwischen den USA und China in voller Härte wieder auf. Die Börsenkurse rauschten in den Keller, und an den Märkten machten sich Anzeichen von Panik breit.Über das Wochenende versuchten beide Seiten, die Wogen zu glätten. Chinas Handelsministerium betonte, es handle sich keineswegs um umfassende Exportverbote, sondern um genehmigungspflichtige Exportlizenzen, die auf eine militärische Verwendung abzielen. Peking verweist darauf, seine Politik spiegle lediglich wider, was der Westen vormache – etwa bei den Exportbeschränkungen für KI-Chips und andere Dual-Use-Güter. Man müsse darauf reagieren. Auge um Auge, Zahn um Zahn – so stellt sich der Konflikt aus chinesischer Sicht dar.Auch wenn man dies in Washington naturgemäß anders sieht, beschwichtigte Trump kurz nach seiner Zollandrohung vieldeutig, Chinas Präsident Xi Jinping habe nur einen schlechten Tag gehabt und daher überreagiert. Niemand wolle eine Rezession in China, und die USA wollten doch nur helfen – alles werde gut. Also alles entspannt? Oder läuft der Konflikt der beiden Weltmächte um Handel und Rohstoffe gerade gefährlich aus dem Ruder?Anfang des Jahres war noch Harmonie angesagt. „Die Geschichte sagt uns, dass unsere beiden Länder von Kooperation profitieren und durch Konfrontation verlieren.“ Aus heutiger Sicht kaum zu glauben, aber wahr: Mit diesen Worten gratulierte Xi Jinping Trump im Januar 2025 zu dessen Amtseinführung. Die beiden kennen sich aus Trumps erster Amtszeit gut. In diese Zeit fällt auch der erste Handelskrieg, der 2018 mit US-Strafzöllen auf Importe von Stahl und Aluminium aus China begann und 2020 mit der Unterzeichnung eines Handelsabkommens vorläufig beendet wurde. In Erinnerung geblieben ist zudem Trumps Tweet über das „chinesische Virus“ während der Corona-Pandemie. So etwas vergisst man in Peking nicht.In diesem Jahr treffen die Präsidenten der zwei Weltmächte, deren Verhältnis strukturbildend für das System der internationalen Beziehungen ist, erneut aufeinander. Die chinesische Regierung hat sich vier Jahre lang gründlich auf dieses Wiedersehen vorbereitet, Trump offenbar weniger. In der Manier eines Spielers, der meint, das allerbeste Blatt am Kartentisch zu haben, hatte er am 2. April den „Liberation Day“ ausgerufen und mit der mittlerweile legendären Tafel im Rosengarten des Weißen Hauses exorbitant hohe Zölle für mehr als 180 Länder (für China damals 34 Prozent) verkündet und damit einer bereits seit Jahren angeschlagenen und in die Defensive geratenen globalen Handelsordnung liberaler Prägung einen Schlag in die Magengrube versetzt.Die USA haben sich damit aus ihrer Rolle eines verlässlichen Hegemons zurückgezogen und die von ihnen geprägten Spielregeln einer regelbasierten Ordnung durch transaktionales Handeln ersetzt.Die chinesische Staatsführung dürfte sich, von der Stärke der eigenen Wirtschaft und autoritären Regierungsform überzeugt, die Hände gerieben haben. Die USA – für eine Vielzahl demokratischer westlicher Staaten Jahrzehnte lang Garant für die Bereitstellung von Sicherheit und die Etablierung eines globalen Wirtschaftssystems – haben sich damit aus ihrer Rolle eines verlässlichen Hegemons zurückgezogen und die von ihnen geprägten Spielregeln einer regelbasierten Ordnung durch transaktionales Handeln ersetzt. Michael Froman, ehemaliger US-Handelsbeauftragter unter Obama, bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: „Die Vereinigten Staaten agieren jetzt weitgehend nach den Standards Pekings, mit einem neuen Wirtschaftsmodell, das durch Protektionismus, Beschränkungen für ausländische Investitionen, Subventionen und Industriepolitik gekennzeichnet ist – im Wesentlichen nationalistischer Staatskapitalismus.“ Willkommen im Zeitalter der Geopolitik.Auf Trumps Zoll-Show vom Liberation Day reagierte China im April mit der Einführung erster Exportbeschränkungen für Seltene Erden. Dabei handelt es sich um 17 Metalle, die für die Produktion im Bereich grüner Technologie (Elektroautos, Windräder), bei Elektronik (Smartphones, Computer) sowie von Sicherheitstechnologie (Luft- und Raumfahrt) eine unverzichtbare Rolle spielen. Weltweit werden etwa 70 Prozent Seltener Erden in China abgebaut und 90 Prozent in der Volksrepublik aufwendig weiterverarbeitet. Damit hat sich China in den letzten Jahrzehnten strategisch die absolute Marktmacht und ein Quasi-Monopol in einem vormals von den USA kontrollierten Sektor aufgebaut. Deutschland importiert laut Statistischem Bundesamt etwa zwei Drittel seines Bedarfs aus China.Auf Eskalationsspiralen mit angedrohten Zollsätzen von bis zu 145 Prozent folgte über den Sommer eine Europa-Tour entsandter Handelspolitiker zu vertraulichen Gesprächsrunden in Genf, Stockholm, London und Madrid. Dabei gelangen immer nur vorläufige Einigungen (30 Prozent auf chinesische Importe in die USA; zehn Prozent auf US-Importe in China). Den krönenden Abschluss sollte ganz nach Trumps Geschmack ein umfassender Deal der beiden Präsidenten per Handschlag bilden, etwa beim geplanten Zusammentreffen am Rande des Gipfels der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft APEC Ende Oktober in Seoul.Doch ein Happy End in Südkorea scheint derzeit mehr als ungewiss. Als die USA ihre Liste aus Gründen der nationalen Sicherheit sanktionierter Unternehmen vor Kurzem erheblich ausweiteten, fühlte sich China an die stillschweigende Übereinkunft, während der diplomatischen Verhandlungen über den Zollkonflikt keine einseitigen Maßnahmen zu verhängen, nicht mehr gebunden. Mit seinen neuen Exportkontrollen greift Peking gleich zum schärfsten Schwert. Für die US-Regierung ist das die maximale Provokation. Die sanfteren Töne vom Wochenende dürften daher keine nachhaltige Entspannung herbeiführen.Besonders gefährlich ist, dass sich beide Seiten besonders sicher zu sein scheinen, jeweils am längeren Hebel zu sitzen. Die USA suchen etwa in der Ukraine oder Pakistan verstärkt alternative Bezugsquellen für kritische Rohstoffe. Zugleich wähnt sich Washington in der Lage, dem chinesischen Technologieboom durch Exportkontrollen von High-End-Chips den Saft abzudrehen. Und wenn das noch nicht reicht, dann will man die wegen systemischer Überkapazitäten extrem exportabhängige chinesische Wirtschaft durch erschwerte Marktzugänge in die Knie zwingen.Mit China steht Europa in einem harten industriellen Wettbewerb und ist zugleich vom chinesischen Markt und von chinesischen Rohstoffen abhängig.China zeigt sich davon wenig beeindruckt. Denn mit dem Einsatz seiner globalen Dominanz bei der Förderung und Veredelung von kritischen Rohstoffen und anderen für westliche Unternehmen wichtigen Vorprodukten als Druckmittel hat es bereits gute Erfahrungen gemacht. Ohne Peking, so das Kalkül, stehen in den USA die Fließbänder früher oder später still. Das gilt nicht nur für den sensiblen Bereich der Rüstungsindustrie, sondern auch wichtige US-Unternehmen wie Apple, die nahezu existenziell mit dem Ökosystem Chinas industrieller Fertigung verwoben sind.Selbst wenn der Konflikt weiter eskaliert und zu einem Wirtschaftseinbruch in China führen sollte, hält Peking sein autoritäres Regierungs- und Gesellschaftssystem für leidensfähiger als westliche Demokratien mit ihren ständigen Wahlen und kritischen Öffentlichkeiten – zumal sich eine Auseinandersetzung mit den USA nationalistisch als Unterdrückung des chinesischen Aufstiegs beschreiben lässt. Ein Narrativ, mit dem sich weite Teile der chinesischen Gesellschaft mobilisieren lassen.Eskaliert der Konflikt weiter, gleicht die Situation einem Boxkampf zweier Schwergewichte, die sich für unbesiegbar halten und in einem Kampf ohne Regeln gegeneinander antreten. In einer solchen unkalkulierbaren Auseinandersetzung werden jedoch nicht nur die Kontrahenten, sondern auch das Publikum und die Arena in Mitleidenschaft gezogen.Auf der Zuschauertribüne sitzt auch die EU, die auf beide Akteure angewiesen ist und zugleich von beiden unter Druck gesetzt wird. Mit den USA wurde gerade erst ein unvorteilhaftes Handelsabkommen abgeschlossen, nicht nur um Marktzugänge zu sichern, sondern vor allem um die transatlantische Allianz mit ihren in Zeiten russischer Aggression unverzichtbaren Sicherheitsgarantien zu stabilisieren. Mit China steht Europa in einem harten industriellen Wettbewerb und ist zugleich vom chinesischen Markt und von chinesischen Rohstoffen abhängig. Trotz aller Beteuerungen und Bemühungen wird es Jahre dauern, bestehende Abhängigkeiten von China zu reduzieren.Eskaliert der Konflikt zwischen den USA und China, steckt Brüssel in einer Zwickmühle, aus der es auf absehbare Zeit keinen Ausweg gibt. Zugespitzt lautet die Alternative: Sicherheit (USA) oder Wohlstand (China). Ähnlich ergeht es vielen Ländern des Globalen Südens, die kein Interesse an einer weiteren Eskalation der US-China-Rivalität haben und nichts mehr fürchten, als sich eines Tages für eine der beiden Seiten entscheiden zu müssen.Die Welt hat ein Interesse daran, dass die beiden Kontrahenten einen Weg finden, ihre geopolitischen, geoökonomischen und auch ideologischen Konflikte friedlich und kontrolliert auszutragen. Dabei geht es nicht um eine große Verständigung, sondern ein pragmatisches Management der strategischen Rivalität zweier Großmächte. Interessenkonflikte und strategische Gegensätze müssen nicht aufgelöst, sondern können konstruktiv verhandelt werden. Dafür braucht es von beiden Seiten akzeptierte rote Linien und belastbare Mechanismen, die im Ernstfall eine unkontrollierte Eskalation verhindern. Darauf sollten die Präsidenten Xi und Trump ihre Energie richten. Sie wäre dort produktiver angelegt als in einem weiteren Drehen an der Eskalationsspirale.Profitieren würde davon auch die EU mit ihren Partnern in Asien, Afrika und Südamerika. Denn eine gemanagte Rivalität zwischen den USA und China ermöglicht es Dritten, ihre Abhängigkeiten von beiden Seiten ausbalancieren. Mit ihrem großen Binnenmarkt verfügt die EU dabei über einen nicht zu unterschätzenden Hebel, den sie strategisch einsetzen könnte.Um im Bild der beiden Boxer zu bleiben: Es braucht klare, zuvor vereinbarte Wettkampfregeln, damit der Kampf im Ring bleibt und niemand mutwillig verletzt wird. Und wenn es schon keinen Schiedsrichter gibt, dann sollte das Publikum lautstark auf einen fairen Kampf dringen.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal