Make America Gavin Again

16.09.25 09:30 Uhr

Donald Trump ist bekannt für seine Präsenz in den Sozialen Medien: Das Internet wimmelt nur so von Beiträgen des amerikanischen Präsidenten, in denen er über seine Kritiker herzieht oder seine eigenen Erfolge lobt. Dazu kommen KI-generierte Bilder, die Trump als Jedi oder in einer Kolosseum-ähnlichen Arena zeigen – alles auf den offiziellen Kanälen des Präsidenten und des Weißen Hauses veröffentlicht. In den letzten Monaten jedoch hat jemand Trump seine digitale Bühne streitig gemacht: der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom. Fast alle Posts des Gouverneurs, der als möglicher Präsidentschaftskandidat 2028 gesehen wird, imitieren Trumps unverwechselbaren Stil, inklusive Großbuchstaben, herablassenden Spitznamen und vielen Ausrufezeichen. So verkündet Newsom beispielsweise: MAKE AMERICA GAVIN AGAIN!!!Gleichzeitig reagiert Newsom auf republikanische Posts und verbreitet KI-Bilder, die ihn selbst in überzeichneten Szenarien zeigen. So zeigt ihn ein besonders auffälliger Post sitzend, während ihm Kid Rock, Tucker Carlson und der verstorbene Hulk Hogan – alle drei bekennende Trump-Anhänger – betend die Hände auflegen. Auf die empörte Reaktion eines Republikaners, der das Bild als Blasphemie bezeichnete, reagierte Newsoms Pressestelle mit einem weiteren Bild: Trump, verkleidet als Papst – ein Bild, das dieser zuvor selbst veröffentlicht hatte.Während Trump durch seine Social-Media-Dominanz politische Narrative bestimmt, durchbricht Newsom dessen „Beschallung“ und zwingt ihn immer wieder in die Defensive – ein taktischer Erfolg, der jedoch eine entscheidende Frage aufwirft: Kann digitale Aufmerksamkeit strukturelle politische Defizite überbrücken?Die Reaktionen auf Newsoms neue Strategie sind stark gespalten. Während sich MAGA-Unterstützer im Netz in ihrer Verachtung für Newsom überschlagen, sehen andere in ihm die Rettung der Demokratischen Partei. Innerhalb weniger Monate hat er es geschafft, sich als standhaftes Bollwerk gegen Trump zu inszenieren. Newsoms Social-Media-Taktik zeigt sich somit sehr wirksam: Aufmerksamkeit, Interaktion und Sympathie werden schnell generiert und seine Botschaft viral verbreitet. Tatsächlich hat Newsom nicht nur Millionen neuer Follower gewonnen, auch seine Umfragewerte sind in den letzten Monaten gestiegen: Laut einer Umfrage des Emerson College ist die Unterstützung für ihn in wichtigen Wählergruppen, darunter Wählern unter 30, hinaufgeschnellt.Doch Newsoms Erfolgswelle sollte kritisch betrachtet werden, nämlich vor dem Hintergrund jüngster Umfragewerte, laut denen 63 Prozent der Wählerinnen und Wähler in den USA die Demokratische Partei derzeit negativ bewerten. Damit ist die Beliebtheit der Demokraten auf den tiefsten Stand seit drei Jahrzehnten gerutscht. Trotz großer Kritik an Trump traut die Mehrheit der Befragten den Republikanern deutlich mehr Kompetenz zu, wenn es um Themen wie Wirtschaft, Inflation, Zölle und Außenpolitik geht. Statt Newsoms Social-Media-Erfolge als Ausweg aus der politischen Krise zu betrachten, sollte die Demokratische Partei sich eingestehen, dass Aufmerksamkeit im Netz nicht die tieferliegenden Probleme der Partei kompensieren kann.Newsoms Strategie konzentriert sich weniger auf die zentralen Probleme der Wählerschaft als auf Trumps Rhetorik und die Provokation seiner Anhänger.Newsoms Vorgehen ähnelt einer ganzen Reihe von Kampagnen der Demokratischen Partei, die stark auf digitale Schlagkraft setzen. So schaffte es Kamala Harris im Präsidentschaftswahlkampf mit ihrer brat-Kampagne, die auf das gleichnamige Album der britischen Sängerin Charli XCX anspielte, in kurzer Zeit, aufmerksamkeitswirksam im Wahlkampf aufzuholen. Doch trotz cleverer Vermarktung gelang es nicht, wichtige Wählergruppen zu überzeugen. Zwar erzielte Harris gute Ergebnisse bei Stammwählern, Frauen und älteren Menschen, verlor aber viele junge und männliche Wähler sowie People of Color an Trump.Mit ihrem Fokus auf polarisierende Themen, wie Abtreibung, schaffte sie es nicht, die breite Bevölkerung anzusprechen, und versäumte es zudem, die eigene Basis zu mobilisieren. Jetzt wiederholt sich dieses Muster: Newsoms Strategie konzentriert sich weniger auf die zentralen Probleme der Wählerschaft als auf Trumps Rhetorik und die Provokation seiner Anhänger. Feuer wird mit Feuer bekämpft, die Republikaner werden ins Lächerliche gezogen, die eigenen Posts polarisieren und überbieten sich in ihrer Dreistigkeit. Digitalstratege Stefan Smith steht Newsoms Strategiewechsel sehr positiv gegenüber. Für ihn ist Newsoms Herangehensweise der Beweis dafür, dass die Demokraten von ihrem hohen Ross gestiegen sind und mit neuem Elan den Kampf antreten können. Und tatsächlich zeigt Newsoms Ansatz, dass die Demokraten aus der Defensive getreten sind und sich medial behaupten können. Doch Probleme der Wählerschaft lassen sich kaum mit humoristischen Posts lösen. Statt an den eigentlichen Interessen der Bürgerinnen und Bürger anzusetzen, besteht die Gefahr, dass öffentlich ein Scheinkampf inszeniert wird, der jenseits jeglicher Realität in den Sozialen Medien geführt wird. Zudem ist es fraglich, ob die kritische Wählerschaft, die für die nächsten Wahlen entscheidend ist, überhaupt erreicht wird. Bereits jetzt werfen die Zwischenwahlen 2026 ihre Schatten voraus: Alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus und 35 Senatssitze stehen zur Wahl. Typischerweise  verliert die Präsidentenpartei bei den Midterms Sitze – in Verbindung mit Trumps Vertrauensverlusten in der Bevölkerung wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, die eigene Strategie anzupassen und Wähler zu gewinnen. Besonders hohe Vertrauensverluste erlitt Trump unter Hispanics und jungen Erwachsenen – beides Schlüsselgruppen im Wahlkampf. Genau diese Gruppen könnten bei der nächsten Wahl zu Wechselwählern werden – es wird also darauf ankommen, welche Seite sie am besten von sich überzeugen kann. Eine breitere Wählerschaft anzusprechen und besonders die Arbeiterklasse und Nichtwähler zu erreichen, ist entscheidend. Dabei gilt es, die richtigen Schlüsse aus der letzten Wahl zu ziehen: Nicht- oder Seltenwähler als konservative Trump-Wähler abzustempeln, spiegelt nicht die Realität, sondern elitäre Vorurteile der Demokraten wider. Die Demokratische Partei würde daher gut daran tun, sich mit ihren Versäumnissen bei der letzten Wahl auseinanderzusetzen und sich auf pragmatische Politik zu fokussieren, die die Bedürfnisse der Bevölkerung anspricht. Eine breitere Wählerschaft anzusprechen und besonders die Arbeiterklasse und Nichtwähler zu erreichen, ist entscheidend.Laut Pew Research Center ist Inflation das Thema, das die amerikanische Bevölkerung am meisten beschäftigt. Republikaner und Demokraten unterscheiden sich allerdings in ihrer Problemwahrnehmung: So sehen 73 Prozent der Republikaner illegale Immigration und Inflation als Hauptanliegen. Demokraten sehen Probleme hinsichtlich der Rolle von Geld in der Politik (78 Prozent), der Bezahlbarkeit der Gesundheitsversorgung (73 Prozent), hinsichtlich Waffengewalt (69 Prozent) und Klimawandel (67 Prozent). Wenn die Demokratische Partei bei den nächsten Wahlen überzeugen will, muss sie auf diese Themen eingehen. Um von der Wählerschaft ernst genommen zu werden, sollte die Partei ihr eigenes Image aufbessern und Elitismus-Vorwürfen entgegenwirken. Dabei können die Sozialen Medien zwar helfen, entscheidend ist jedoch die eigentliche Botschaft. Eine große TikTok-Anhängerschaft hilft nun mal nicht, wenn man nicht weiß, wie man Menschen aus der Arbeiterklasse überzeugen soll, erklärt der demokratische Senator Ruben Gallego.  In den kommenden Monaten gilt es für die Demokraten, zu den Republikanern aufzuschließen. Trump hat es geschafft, erfolgreich Wählergruppen zu mobilisieren, die keine Stammwähler sind. Die Demokraten boten 2024 vielen Amerikanern – und besonders der Arbeiterklasse und Nichtwählern – nichts, was sie zur Stimmabgabe bewegt hätte. Das muss sich ändern. Gavin Newsom ist das Paradebeispiel dafür, dass die Sozialen Medien ein mächtiges Werkzeug sein können, um kurzfristig Trumps digitale Dominanz zu durchbrechen und das Image der Demokratischen Partei zu stärken.Gleichzeitig macht sein Erfolg aber die Grenzen dieser Strategie sichtbar: Digitaler Populismus kann Aufmerksamkeit erzeugen, ersetzt aber keine Substanz. Die Demokraten müssen ihre politische Strategie grundlegend umstrukturieren. Humor, Provokation und Aufmerksamkeit sind nützlich und könnten dabei helfen, die Demokratische Partei wieder auf Kurs zu bringen – als alleinige Strategie führen sie jedoch in eine Sackgasse. Ein langfristiger Wahlerfolg hängt davon ab, ob die Partei es schafft, die Sorgen der Bevölkerung ernst zu nehmen, programmatisch Substanz zu bieten und Soziale Medien als Verstärkung politischer Inhalte einzusetzen. Newsoms digitale Strategie mag Trumps Medien-Präsenz kurzfristig durchbrechen können – doch ohne eine fundamentale Neuausrichtung der Demokratischen Partei auf die realen Bedürfnisse der Wähler, wird sie zur bloßen Show. Ob die Demokraten aus dieser Erkenntnis die richtigen Schlüsse ziehen oder weiterhin auf digitalen Populismus setzen, entscheidet sich 2026 – an der Wahlurne, nicht im Newsfeed. Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal