Spielball der Schutzmächte

23.09.25 09:45 Uhr

Der Krieg im Sudan ist verantwortlich für über zwölf Millionen Vertriebene und Hunderttausende Todesopfer. Laut Welternährungsprogramm leiden aktuell knapp 25 Millionen Menschen im Sudan an akutem Hunger. Diese Zahlen verdeutlichen das Ausmaß einer der schwersten humanitären Krisen weltweit. Doch der Konflikt ist mehr als eine Tragödie menschlichen Leids: Er ist auch ein „Kampf der Visionen“ zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) und den Rapid Support Forces (RSF). So haben die RSF zuletzt eine neue „Parallelregierung“ gebildet, die auch politisch ein Gegengewicht zu den SAF bilden soll und die Spaltung des Landes wieder festigt.Angesichts der engen Verflechtung von humanitärer Not, militärischen Machtkämpfen und politischer Fragmentierung braucht es nachhaltige internationale Friedensbemühungen. Entscheidend dafür sind die Bereitschaft der Konfliktparteien, die Waffen niederzulegen, die Wiederaufnahme eines inklusiven politischen Übergangsprozesses unter Einbeziehung ziviler Akteure sowie eine effektive Koordination externer Unterstützer wie der USA, der Afrikanischen Union (AU), der Europäischen Union und der Vereinten Nationen. Aktuell sind verstärkt internationale Bemühungen im Sudan erkennbar: Die USA haben Gespräche mit Armeechef Abdel Fattah Burhan wiederaufgenommen und traten gemeinsam mit Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten im Quad-Format auf. Die Intensivierung solcher Initiativen könnte eine humanitäre Waffenruhe vorbereiten und die Versorgungslage für Tausende Sudanesinnen und Sudanesen schnell verbessern. Eine kurzfristige Lösung zwecks humanitären Zugangs mag entlasten, ist aber ein zweischneidiges Schwert. Sudans postkoloniale Geschichte ist von diversen Kriegen und Gewaltspiralen durchzogen, darunter auch der Konflikt um Südsudans Unabhängigkeit 2011 und der Darfur-Konflikt. So prägt seit 2012 die andauernde Marginalisierung ethnischer Gruppen, etwa der Nuba im südlichen Sudan, auch die aktuellen Konfliktlinien. Wenn Verhandlungen während eines Krieges nur bewaffnete, politische und ausländische Eliten berücksichtigen, droht eine nachhaltige Friedenslösung im Sinne der Zivilbevölkerung zu scheitern. Nachhaltige Friedensbemühungen im Sudan müssen den schwierigen Balanceakt meistern, einerseits mächtige Führungsriegen bewaffneter Gruppen und externe Schutzmächte einzubinden und andererseits die Rahmenbedingungen für einen inklusiven politischen Prozess zu schaffen, der ein breites Spektrum der Zivilgesellschaft einbezieht.Zunächst müssen sich internationale Akteure auf die Beendigung der Gewalt konzentrieren.Zunächst müssen sich internationale Akteure auf die Beendigung der Gewalt konzentrieren. Die beiden größten Konfliktparteien, RSF und SAF, erhalten finanzielle und politische Unterstützung von ihren De-facto-Schutzmächten, was die Fortführung und Eskalation ihrer Gewalt begünstigt. Die RSF erhalten logistische Hilfe aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die SAF Unterstützung aus Ägypten und Saudi-Arabien. Für diese externen Akteure stehen interessensgeleitete Transaktionen mit bewaffneten Gruppen im Vordergrund. Der Konflikt findet zwar auf dem afrikanischen Kontinent statt; Regionalorganisationen wie der AU oder der ostafrikanischen Intergovernmental Authority on Development (IGAD) fehlt allerdings die Kapazität und das Gewicht, eine Konfliktlösung voranzutreiben. Die Golfstaaten sind nicht erst seit Kurzem am Roten Meer interessiert, sondern zementieren bereits seit über zehn Jahren mit finanziellen Mitteln und politischer Einmischung ihren wachsenden Machtanspruch in der Region.Der EU und der USA, als einflussreiche Akteure mit einem Interesse an Stabilität im Sudan, stehen deshalb zwei Handlungsoptionen zur Verfügung: Einerseits könnten sie den politischen Druck auf die Golfstaaten und auf Ägypten durch wirtschaftliche Sanktionen gegen Individuen und Unternehmen erhöhen. Dies muss eine ernsthafte politische Option sein, auch wenn den USA und der EU an einem guten Wirtschaftsverhältnis mit diesen Staaten gelegen ist. Andererseits könnten die USA und die EU im Sinne eines „pragmatischen Deals“ auf die wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen der Schutzmächte eingehen, etwa im Ressourcen- und Landwirtschaftssektor, und sicherstellen, dass diese in einem Post-Konflikt-Szenario im Sudan berücksichtigt werden. Da der Sudan aufgrund mangelnder internationaler Aufmerksamkeit weitgehend als „ignorierter Krieg“ gilt, erscheint dies als die wahrscheinlichere Option. Erst wenn die Schutzmächte – durch Druck oder Einbindung – politisch adressiert werden, besteht eine realistische Chance, dass den RSF und den SAF die finanziellen Mittel ausgehen und der Krieg irgendwann beendet werden kann. Doch selbst im Fall eines pragmatischen Deals dürfen die USA und Andere die Bedeutung der Waffenstillstandsbemühungen als Voraussetzung für einen nachhaltigen Frieden nicht aus den Augen verlieren.Denn was der Sudan gleichzeitig braucht, ist die Wiederaufnahme des politischen Übergangsprozesses von 2019 bis 2023. Zwar haben die AU und die IGAD seit Kriegsbeginn politische Dialogformate für zivile und bewaffnete Akteure im Sudan eingerichtet, doch Teilnehmende kritisieren die Umsetzung durch AU und IGAD. Zudem gab es seit Anfang 2025 keinen weiteren Dialogversuch vonseiten der beiden Organisationen. Allerdings braucht Dialogarbeit langfristige internationale Unterstützung mit ausreichenden finanziellen Mitteln und viel Geduld. Der aktuelle Krieg hat bislang unbekannte Dimensionen politischer, sozialer und geografischer Spaltung eröffnet. Der innerpolitische Machtkampf begann mit dem Sturz des Machthabers Omar al-Bashir 2019. Während die Demonstrierenden der Dezember-Revolution mit Slogans wie „Just Fall, That’s All“ den Rücktritt Bashirs forderten, zeigte sich nach dessen Sturz, dass dieser keineswegs einen Wendepunkt in Richtung Demokratie darstellte. Vielmehr leitete er eine Phase gesellschaftlicher Spaltung und gewaltsamer Eskalation ein.Der aktuelle Krieg hat bislang unbekannte Dimensionen politischer, sozialer und geografischer Spaltung eröffnet.Heute ringen SAF, RSF sowie zahlreiche mit ihnen verbündete und unabhängige bewaffnete Gruppen um territorialen und politischen Einfluss. Daneben  gibt es noch die Energie der Dezember-Revolution, die Demokratie einfordert, erkennbar etwa in der Mutual Aid-Arbeit der unabhängigen Emergency Response Rooms. Während diese derzeit in ihrer humanitären Tätigkeit gebunden sind, müssen internationale Unterstützer die demokratische Energie aufrechterhalten und junge Menschen, Frauen und Menschen aus marginalisierten Regionen in Dialogformate einbeziehen. Sicherlich erschweren die Zersplitterung der zivilen Akteure und ihre häufige Verbindung zu bewaffneten Gruppierungen den Aufbau eines inklusiven politischen Dialogs, der einen parallelen Prozess zu Waffenstillstandsverhandlungen darstellen könnte. Trotz dieser Hürden sollten die AU und die IGAD Dialogplattformen weiterhin aufrechterhalten und diese mit konsequenter Umsetzung und verbindlichem Engagement untermauern, gegebenenfalls mit zusätzlicher (finanzieller) Unterstützung durch die EU oder die Vereinten Nationen.  Zuletzt müssen Bemühungen für einen nachhaltigen Waffenstillstand und für politischen Dialog mit zivilen und bewaffneten Kräften parallel stattfinden und eng aufeinander abgestimmt werden. Sudans Unterstützer auf dem afrikanischen Kontinent, aber auch die USA, die EU und die Vereinten Nationen sollten eine Arbeitsteilung vereinbaren, um ihre Kompetenzen und ihre Ressourcen im Umgang mit den sudanesischen Konfliktparteien, zivilen Kräften und Schutzmächten optimal einzusetzen. Trotz divergierender Interessen, etwa hinsichtlich des Umgangs mit den SAF und den RSF, braucht es ein koordiniertes Vorgehen statt Ohnmacht, Nichtbeachtung oder Ad-hoc-Lösungen. Eine solche internationale Koordination folgt damit der Tradition vergangener Friedensprozesse im Sudan. Doch wie schon in der Vergangenheit leiden die aktuellen internationalen Bemühungen weiterhin unter politischen Abwägungen, knappen Ressourcen und mangelndem politischem Willen. Anders als damals haben internationale Akteure diesmal jedoch die Chance, aus früheren Fehlern zu lernen. Die USA sollten diplomatische Kanäle zu den Schutzmächten offenhalten, während politischer Druck von allen Seiten durch Sanktionen und Konditionalitäten bzw. durch an Bedingungen geknüpfte Hilfe aufrechterhalten werden muss. Die humanitäre Krise erfordert kontinuierliche Unterstützung für die Zivilbevölkerung vonseiten der Vereinten Nationen und der EU. Die AU und die IGAD wiederum sollten ihre selbsternannte Rolle als Dialog-Schirmherren bzw. als Koordinatoren für einen inklusiven Prozess ernsthafter wahrnehmen, wo nötig mit zusätzlicher Unterstützung. Das internationale Engagement für den Sudan muss verstärkt und koordiniert werden – zum Schutz der Bevölkerung und für die Chance auf einen nachhaltigen Frieden. Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal