China nach dem Kursdebakel

Achterbahnfahrt in Shanghai: Was Anleger erwartet

03.08.15 22:14 Uhr

Achterbahnfahrt in Shanghai: Was Anleger erwartet | finanzen.net

Da rauschten die Kurse nach unten. Nun ist ein veritabler Crash am chinesischen Aktienmarkt erst mal abgewendet. Doch worauf müssen sich Anleger einstellen?

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Benjardin Gärtner, Gastautor von Euro am Sonntag

Elf Monate lang ging es wie an der Schnur gezogen nach oben, dann rauschte der Shanghai Composite binnen weniger Wochen um rund 30 Prozent nach unten. Alles deutete auf einen großen Crash hin. Die Regierung in Peking reagierte mit harten Schritten. Sie stützte die Notierungen mit großvolumigen Käufen, zudem nahmen zahlreiche Aktiengesellschaften ihre Papiere aus dem Handel, um den Kursverfall zu stoppen. Die Maßnahmen wirkten, jedoch mit Folgen für die Zukunft.

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Was den meisten Investoren im Gedächtnis bleibt, ist die heftige Korrektur. Denn Verluste wiegen schwerer als Gewinne. Dabei liegen mit Blick auf die vergangenen zwölf Monate die Kurse nach wie vor vorn und viele Aktien sind immer noch recht teuer. Doch dem imposanten Absturz ging ein nicht minder spektakulärer Anstieg voraus. Seit Juli 2014 schossen die Kurse um mehr als 150 Prozent nach oben.

Die Folge waren Bewertungen, die irrationale Höhen erreicht hatten. Rechnet man die großen Banken heraus (die aus spezifischen Gründen niedrig bewertet sind, im Index aber viel Platz einnehmen), dann wies der Shanghai Composite Mitte Juni in der Spitze ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von über 50 aus. Bei kleineren und mittleren Unternehmen waren es im Schnitt mehr als 80. Zum Vergleich: Das KGV im deutschen DAX liegt bei rund 15 auf Basis der Gewinne des laufenden Jahres.

In China hatte sich die Börse
von der Wirtschaft entkoppelt

Nicht weniger erstaunlich als die Bewertungen ist die Tatsache, dass der Anstieg der Kurse in China einherging mit Nachrichten über eine konjunkturelle Ein­trübung. Die Märkte ignorierten schwache Frühindikatoren oder fallende Exportdaten geflissentlich. Üblicherweise werden an der Börse die Gewinnaussichten der gelisteten Unternehmen gehandelt - hier liegt der Nexus zwischen konjunktureller Dynamik und Aktienkurs. Geht es der Volkswirtschaft besser, profitieren davon die Unternehmen, sie steigern die Gewinne und die Kurse klettern nach oben.

In China war das anders - die Börse hatte sich von der Wirtschaft förmlich entkoppelt. Der Anstieg wurde zusätzlich befeuert von der Zentralbank, die durch ihre expansive Politik günstiges Geld für Aktieninvestments bereitstellte. Allein im Nachgang der Zinssenkung vom November 2014 wurden mehr als vier Millionen private Wertpapierdepots eröffnet. Die Börse nahm Fahrt auf.

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Zu den Treibern des Kursfeuerwerks gehörten politische und regulatorische Maßnahmen. So wurden die Hürden für ausländische Anleger in den vergangenen zwölf Monaten gesenkt. Das heißt zwar nicht, dass Investitionen in Festlandchina jetzt problemlos möglich sind - doch viele einheimische Investoren haben die Maßnahmen als Startschuss der Liberalisierung verstanden und sich mit Aktien eingedeckt. Zudem wurde es den chinesischen Privatanlegern erleichtert, an der Börse zu handeln und die Aktienkäufe über Kredite zu finanzieren. Die Zeit der Kursgewinne ging einher mit einer Versechsfachung des Kreditvolumens für Aktienkäufe von Privatinvestoren.

Die von Peking geschaffenen Möglichkeiten haben so manchen Zocker auf den Plan gerufen. Es ist sicherlich nicht ehrenrührig zu behaupten, dass in China viele Menschen Freude am Spiel haben - die Casinos in Macau machten zeitweise etwa sechsmal so viel Umsatz wie die in Las Vegas. Irgendwann hatten die Börsenkurse Höhen erreicht, die offenbar auch der Regierung nicht mehr geheuer waren: Sie straffte die Auflagen für kreditfinanzierte Aktienkäufe und veranlasste zahlreiche Anleger dazu, ihre Positionen wieder zu schließen. Das war der Beginn des Kursverfalls.

Deregulierung, Übertreibung
und Gegenreaktion

Als die Korrektur einsetzte, stieg unter den Privatinvestoren die Angst, die Kredite nicht wieder zurückzahlen zu können. Also wurde hektisch verkauft und die Notierungen brachen weiter ein. Die Regierung wiederum wartete nun mit massiven Interventionen auf wie Mindesthaltefristen für Großaktionäre und einen bankenfinanzierten Stabilisierungsfonds in Höhe von umgerechnet 200 Milliarden Dollar.

Das Muster aus Deregulierung, Übertreibung und Gegenreaktion sollte in den kommenden Jahren in China häufiger zu beobachten sein. Der Weg in die freie Marktwirtschaft ist nicht frei von Schlaglöchern, daher müssen Investoren mit erhöhten Schwankungen rechnen. Sollte der Markt irgendwann die Standards der entwickelten Volkswirtschaften erreichen, dann hätte China hinter den USA den zweitgrößten Aktienmarkt der Welt.

Die Erfolgsstory hat Kratzer,
ist aber noch nicht zu Ende

Zunächst dürfte die Unsicherheit aber ein großes Problem bleiben. Zwar hat es die Regierung in Peking geschafft, die Notierungen zu stabilisieren. Doch der Preis dafür ist hoch: Insbesondere in­ternationale Investoren haben mit Argwohn beobachtet, dass der Markt in der Korrekturphase quasi geschlossen wurde - und könnten künftig mehr Vorsicht walten lassen.
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Überdies droht weiterhin eine konjunkturelle Abflachung. Um die chinesische Wirtschaft ist es keineswegs glänzend bestellt. Die Zeit wird kommen, in der die Aktienkurse die Ertragsaussichten der gelisteten Unternehmen Chinas wiedergeben - in Abhängigkeit von der konjunkturellen Verfassung. Hier gilt es, genau hinzusehen und die Zeichen richtig zu deuten.

Die chinesische Erfolgsstory hat ­einige Kratzer abbekommen - zu Ende ist sie nicht. Wer sich mit dem Thema und der Dynamik der dortigen Aktienmärkte intensiv auseinandergesetzt hat, dürfte davon kaum auf dem falschen Fuß erwischt worden sein. ­Heftige Marktschwankungen und Übertreibungen nach oben wie nach unten werden die Anleger noch eine Weile begleiten. Das ist der Preis des Strukturwandels im Reich der Mitte.

An dessen Ende soll ein sauberer ­Aktienmarkt und eine modernisierte Marktwirtschaft stehen - mit dem Ausblick auf kräftige Kursgewinne für diejenigen Anleger, die die richtigen Adressen mit einem funktionierenden Geschäftsmodell identifizieren können. Dafür aber sind neben der Unternehmensanalyse sowohl profunde Kenntnisse der chinesischen Wirtschaft als auch Erfahrungen mit der Funktionsweise der Börse in China unabdingbare Voraussetzungen.

Kurzvita

Benjardin Gärtner, Leiter Portfolio­management
Aktien bei Union Investment

Gärtner ist seit 2015 Leiter des Aktienfondsmanagements bei Union Investment. Der gelernte Bank- und Diplomkaufmann war zuvor bei der Deutschen Bank als Co-Head des deutschen Aktienteams tätig.
Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken und mit aktuell mehr als 250 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen einer der größten deutschen Vermögensverwalter für private und institutionelle Anleger.

Bildquellen: ChinaFotoPress/Getty Images, Union Investment

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