Schuldenkrise: Kein endgültiger Lösungsplan
Der EU-Schuldengipfel ist ohne konkreten Lösungsplan zu Ende gegangen. Diskutiert werden jetzt nur noch zwei EFSF-Varianten.
Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich bei ihren Beratungen am Sonntag in Brüssel wie erwartet nicht abschließend auf einen umfassenden Plan zur Lösung der Euro-Staatsschuldenkrise einigen können. Wie aus Äußerungen von Verhandlungsteilnehmern am Sonntagabend hervorging, gab es aber in verschiedenen Punkten eine Annäherung. So konzentrieren sich die Diskussionen über die Ausgestaltung des Euro-Rettungsfonds EFSF mittlerweile auf zwei Varianten. Der zusätzliche Kapitalbedarf der Banken wird demnach auf bis zu 108 Mrd EUR geschätzt. Allerdings gibt es noch keine Klarheit über die Höhe des anzustrebenden Schuldenschnitts für Griechenland, wovon auch die Höhe der Bankenrekapitalisierung abhängen dürfte.
Frankreichs Staatspräsident Nikolas Sarkozy sagte in einer Pressekonferenz nach dem Ende der Beratungen, Die von Frankreich favorisierte Lösung eines Zugangs des EFSF zur Refinanzierung über die Europäische Zentralbank (EZB) sei vom Tisch, weil ihr nicht alle europäischen Institutionen, darunter die EZB, zustimmen würden. Die Diskussionen hätten "Stunden um Stunden" gedauert, sagte Sarkozy und fügte hinzu: "Wir hatten noch keine abschließenden Erfolg, aber wir haben noch Zeit bis Mittwoch." Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, die für Mittwoch geplanten Beschlüsse zum EFSF, Griechenland und dem Schutz von Europas Banken würden dabei "nicht der letzte Schritt sein". Europa müsse jetzt "schmerzhaft lernen", in Zukunft anders zu wirtschaften.
Der Rettungsfonds EFSF könnte nach Angaben von Diskussionsteilnehmern zwei unterschiedliche Formen haben, die eventuell sogar miteinander kombiniert werden könnten. Zum einen könnten Mittel in einen Treuhänderfonds fließen, die alleine der "Versicherung" von Investments in Staatsanleihen dienen würden. Die andere Form würde ein direkte Hebelung des EFSF vorsehen, aus dem dann sowohl Hilfskredite als auch Mittel zur Rekapitalisierung von Banken fließen könnten.
Eine mit den Verhandlungen vertraute Person sagte, über den Internationalen Währungsfonds (IWF) seien Kontakte zu Ländern aufgenommen worden, die über hohe Devisenreserven verfügten. Diese könnten in den Treuhänderfonds investieren. Nach Angaben dieser Person gab es konkrete Interessenbekundungen, so dass Hoffnung auf "signifikante Beiträge" von dieser Seite bestehe. Allerdings hätten bestimmte Länder, wie China, Gegenleistungen gefordert, die bei bestimmten Partnern auf Widerstand stoßen könnten. Nach Angaben einer anderen Quelle wird sogar überlegt, beide Modelle parallel laufen zu lassen.
Doch die technischen Einzelheiten der komplizierten Modelle waren auch am Sonntagabend noch nicht ausgearbeitet. Dies solle "in den kommenden 24 Stunden" erfolgen, hieß es aus deutschen Delegationskreisen, wie die Agentur dapd berichtete. Wenn der Bundestag nicht spätestens am Mittwochmorgen die Varianten genehmigt, dann müsste der Euro-Gipfel ein weiteres Mal verschoben werden.
Als Grund für das lange Warten wurde einerseits angeführt, dass es sich bei der Hebelung um eine sehr komplizierte Angelegenheit handele. Zudem hieß es, dass die Staatssekretäre der Euro-Finanzminister, die die Detailarbeit leisten müssen, wegen der mannigfaltigen Baustellen der Eurozone an die Grenzen ihrer physischen Kapazitäten stießen.
Über die Höhe eines möglichen Schuldenschnitts für Griechenland bestand am Sonntagabend noch keine Einigkeit. Unterschiedliche Quellen berichteten von Gesprächen über Größenordnungen zwischen 40% und 50%. Dabei forderten angeblich der IWF und Deutschland einen "harten Schnitt" von über 50%.
Die Notwendigkeit eines weitgehenden Schuldenschnitts für Griechenland war am Freitag endgültig klar geworden: Die Troika deckte in ihrem jüngsten Bericht eine Finanzlücke von 252 Mrd EUR bis 2020 auf, mehr als doppelt so viel wie im Juli vermutet. Das würde einen Forderungsverzicht von 60% notwendig machen, um die Schulden bis 2020 auf 110% der Jahreswirtschaftsleistung zu drücken. Laut Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker herrscht Einigkeit, dass der Anteil der Banken gegenüber den im Juli vereinbarten 21% "erheblich" steigen muss. Der Chef der Banken-Lobby IIF, Charles Dallara, erklärte, die Verhandlungspositionen der Staaten und der Banken zu diesem Punkt lägen noch weit auseinander.
Frankreichs Staatspräsident Sarkozy betonte, dass ein Forderungsverzicht von privater Seite völlig freiwillig sein müsse. Bundeskanzlerin Merkel lehnte diese Festlegung auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Sarkozy jedoch demonstrativ ab. Die Verhandlungen mit den Banken hätten gerade begonnen. Es sei "völlig ausgeschlossen, dass wir irgendwelche Spekulationen über irgendwas anstellen". Sie gab lediglich das klare Ziel vor: Die Schuldentragfähigkeit Griechenlands sicherzustellen.
Nach Angaben aus Verhandlungskreisen betreffen die Gespräche über einen Forderungsverzicht derzeit nur private Gläubiger. Öffentlichen Gläubigern sollten dagegen nur niedrigere Zinsen oder längere Kreditlaufzeiten abverlangt werden.
Der zusätzliche Kapitalbedarf europäischer Banken wird nach Angaben von Gipfelteilnehmern auf bis zu 108 Mrd EUR geschätzt. Dieser Betrag soll bei Zugrundelegung einer "harten Kernkapitalquote" von 9% von rund 90 großen europäischen Banken aufgebracht werden, darunter griechischen Häusern, die Staatsanleihen ihres Landes für 45 Mrd EUR halten. Dabei sollen die Banken zunächst versuchen, die Mittel am Kapitalmarkt selbst aufzunehmen. Sollte dies nicht gelingen, müssten die Regierungen einspringen und erst danach der EFSF.
Nach Angaben eines anderen EU-Offiziellen haben sich Merkel und Sarkozy am Samstag mit dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi getroffen, um ihm ihre Sorge über die hohe italienische Staatsverschuldung mitzuteilen. Italien hat mit 120% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in der Eurozone den höchsten Schuldenstand nach Griechenland.
Gipfelteilnehmern zufolge soll vor dem nächsten EU-Gipfel am Mittwoch nicht nur ein Treffen der Eurozone-Finanzminister, sondern auch eines der Finanzminister der EU-27 stattfinden. Angeblich wurde dieses Treffen auf Druck Großbritanniens einberufen, das fürchtet, dass die Eurozone-Staaten ihre Entscheidungen zunehmend ohne Mitwirkung der EU treffen.
BRÜSSEL (Dow Jones) - (Unter Verwendung von Beiträgen von Laurence Norman, Costas Paris, William Boston, Matina Stevis)