Warum eigentlich nicht Staatsaktien?
Der temporäre Rettungsschirm für die hoch verschuldeten EU-Länder droht zu einer dauerhaften Transferleistung zu werden. Gastautor Jochen Felsenheimer stellt eine provokante Theorie für einen dauerhaften Weg aus der europäischen Schuldenkrise vor.
von Jochen Felsenheimer, Gastautor
Europa hat spätestens bei der Ausweitung des Rettungsschirms auf Portugal einen Weg eingeschlagen, der die ersten Schritte hin zu einer europäischen Haushalts-, Steuer- und Sozialpolitik umfasst. Damit werden jedoch nur die Symptome und nicht die wahren Ursachen der Krise bekämpft. Solange sich die ökonomische Divergenz innerhalb der Währungsunion weiter erhöht, kann eine einheitliche Wirtschaftspolitik keine national befriedigenden Ergebnisse erzielen.
Die EU hat bereits beschlossen, dass der temporäre Rettungsfonds ab 2013 in einen von den Mitgliedsländern finanzierten, dauerhaften Rettungsfonds übergehen soll. Die Krise der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion ist aber in erster Linie eine Krise der heterogenen ökonomischen Entwicklung in den Mitgliedsländern. Das wurde bereits bei der Einführung des Euro als zentrales Risiko der Währungsunion gesehen – jedoch bestand die Hoffnung, dass die Einführung des Euro zu ökonomischer Konvergenz führt. Nun zeigt sich, dass die Vereinheitlichung der Geldpolitik über die Annäherung der Refinanzierungskosten der Mitgliedsländer eine immense Fehlallokation von Kapital bedingt hat, versinnbildlicht durch Infrastrukturmaßnahmen in Griechenland oder das Aufblähen des irischen Bankensektors.
Ständiger Rettungsschirm heißt
ständige Transferleistungen
Die Errichtung eines ständigen Rettungsschirms wird dieses Problem nicht lösen, sondern es werden ständige Transferzahlungen zu leisten sein. Der politische Wille, einen gemeinsamen Währungsraum zu erhalten, kostet eben Geld. Mit der Installation eines ständigen Transfermechanismus besteht aber die Gefahr, dass dieses Ziel nicht erreicht wird, da es der elementaren Notwendigkeit ökonomischer Konvergenz diametral entgegensteht.
Die Hoffnung ist, durch einen Sanktionsmechanismus Haushaltsprobleme zu vermeiden. Man kann aber durchaus entgegnen, dass den einzelnen Mitgliedsländern somit das letzte Instrument der nationalstaatlichen Wirtschaftspolitik genommen wird. Solange die ökonomische Entwicklung innerhalb der Mitgliedsländer synchron verläuft, kann das Sinn machen. Aber genau das ist nicht der Fall. Es bestehen gewichtige Zweifel, ob aufgrund der unzureichenden politischen Integration Stabilität dadurch langfristig hergestellt werden kann.
Einführung einer Kapitalstruktur
als Rettung der Eurozone
Offensichtlich stellen die sehr beschränkten Refinanzierungsmöglichkeiten von Staaten eine besondere Herausforderung bei der Bekämpfung von Schuldenkrisen dar. Die Probleme der EU-Peripheriestaaten basieren zum großen Teil darauf, dass fast die gesamte Staatsverschuldung und eben auch die gesamten Verpflichtungen des Staats (etwa Rentenansprüche) gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Ein Staat wird also nicht nur einige seiner Anteilseigner enttäuschen – er enttäuscht in der Regel immer alle. Letztlich bleibt niemand mehr übrig, der ihm in kritischen Situationen die Refinanzierung ermöglicht. Deshalb müssen dann supranationale Autoritäten – wie der IWF oder die EU – eingreifen.
Die folgende Idee scheint auf den ersten Blick weit hergeholt – aber warum sollen sich Staaten nicht an der Refinanzierungsstrategie von Unternehmen orientieren? Unternehmen weisen eine Kapitalstruktur auf – sie refinanzieren sich über eine Vielzahl von Instrumenten, neben Aktien auch Anleihen unterschiedlicher Seniorität, also vor- und nachrangige Schuldtitel. Die Vorteile einer Kapitalstruktur umfassen flexiblere Refinanzierungsbedingungen, einen größeren Spielraum, um auf Schuldenkrisen zu reagieren, und eine stabilere Anteilseignerkonstellation angesichts der effizienteren Allokation von Risikokapital.
Das Risiko von Staatsanleihen
sollte variieren können
Es erscheint auf den ersten Blick verwirrend, dass ein Staat Aktien ausgibt. Aber zumindest die Ausgabe von Schuldtiteln unterschiedlicher Seniorität erscheint möglich. Das Problem der EU-Peripheriestaaten kann darauf reduziert werden, dass sie angesichts einer gemeinsamen Geldpolitik nicht den ihrem Risiko entsprechenden Aufschlag bezahlen mussten, um am Kapitalmarkt Geld aufzunehmen. Aufgrund der expansiven Geldpolitik der EZB war das allgemeine Zinsniveau in den vergangenen Jahren sehr niedrig, weshalb Investoren auf der Suche nach Rendite eben auch in Länder investierten, die einen Aufschlag gegenüber den „sicheren Häfen“ geboten haben, weshalb dieser Aufschlag zu gering wurde. Während also die ökonomische Entwicklung divergierte, konvergierten die Renditeniveaus – eine fatale Entwicklung.
Nun wird das Gros der externen Verschuldung durch die Emission von Staatsanleihen erreicht, wobei sich diese nur in ihrer Ausgestaltung unterscheiden. Aber alle Staatstitel sind aus Sicht der Gläubiger gleichgestellt. Ein externer oder interner Schock innerhalb einer Volkswirtschaft führt also zu einer drastischen Erhöhung der Refinanzierungskosten, denen man deshalb ausgeliefert ist, da man als einziges Instrument die Emission weiterer gleichgestellter Schuldtitel hat. Die logische Konsequenz einer Schuldenkrise besteht also darin, mehr am Kapitalmarkt für dringend benötigte Liquidität zu bezahlen. Das wiederum verstärkt die Schuldenkrise.
Die Möglichkeit von Ländern, anders besicherte Schuldtitel herauszugeben, hätte einige Vorteile. Man stelle sich vor, es gäbe vor- und nachrangige Anleihen eines Landes, die auch mit unterschiedlichen Risikoaufschlägen versehen werden. Im Falle einer Schuldenkrise können die nachrangigen Investoren als Puffer für die vorrangigen herangezogen werden, indem die Zinszahlungen reduziert oder ausgesetzt werden.
Indem man einige Investoren schlechter stellt (die dafür einen anfangs höheren Risikoaufschlag bekommen), kann man vorrangige Investoren weiter bedienen. Das wirkt sich in geringeren Risikoaufschlägen im Vergleich zu einheitlichen Schuldtiteln in Krisenzeiten aus. So kann die Refinanzierung auch in ökonomischen Extremsituationen aufrechterhalten werden. Auch wird die Konstellation der Anteilseigner stabiler, da Kapital effizienter zugeteilt werden kann – und zwar nach der individuellen Risikoneigung einzelner Investoren.
Wirtschaftswachstum gibt die
Verzinsung für Investoren vor
In letzter Konsequenz könnte man sogar daran denken, dass Länder eigenkapitalnahe Papiere emittieren (die Staatsaktie), deren Verzinsung beispielsweise an das Wirtschaftswachstum des Landes gekoppelt ist – eben genauso, wie die Dividende einer Aktie eines Unternehmens von dessen Gewinnwachstum abhängt. Im Falle einer Depression wären in erster Linie die „Aktionäre“ des Landes betroffen und nicht die vorrangigen Investoren. Dadurch wäre es leichter möglich, weiterhin zu günstigeren Konditionen neues Geld am Markt durch die Ausgabe von „Senior-Anleihen“ einzusammeln.
Die Schuldenkrise in Europa wird kein Einzelfall bleiben und sollte nicht fälschlicherweise auf adverse ökonomische Szenarien zurückgeführt werden. Schuldenkrisen in Währungsunionen sind ein inhärentes Problem, das mit herkömmlichen Mechanismen nicht nachhaltig bekämpft werden kann. Die Emission unterschiedlicher Schuldtitel stellt hier eine Alternative dar, die es zumindest wert ist, diskutiert zu werden.
Vorbild Unternehmen
Wenn Unternehmen sich Geld am Kapitalmarkt besorgen – beispielsweise über Anleihen – können sie ihren Gläubigern unterschiedliche Ränge bei der Bedienung der Schulden anbieten. Je höher das Risiko, bei Zahlungsschwierigkeiten nicht im Rahmen der geplanten Rückzahlung bedient zu werden, desto höher fällt die Rendite für die Investoren aus. Ein Modell, an dem sich auch Staaten bei der Kapitalbeschaffung orientieren könnten. Die Vor- und Nachrangigkeit ihrer Anleihen könnte die Liquidität der Länder deutlich verbessern.
Staatsanleihen: Rückzahlung nach Rang des Risikos (pdf)
zur Person:
Jochen
Felsenheimer,
Geschäftsführer
der Assenagon Credit Management
Der an der Ludwig-Maximilians-Universität München promovierte Volkswirt zählt zu den renommiertesten Kreditexperten in Europa. Bevor er 2009 zu Assenagon kam, leitete er mehrere Jahre das europäische und globale Credit Strategy Research bei der HypoVereinsbank (Unicredit Group).
Assenagon zählt zu den am schnellsten wachsenden
Asset-Managern in Europa. Seit der Gründung des
Unternehmens im Jahr 2007 haben ihm institutionelle Investoren ein Vermögen von circa sechs Milliarden Euro anvertraut.