Aufbruch schmeckt anders

17.06.25 10:48 Uhr

War einfach alles gerade nochmal gut gegangen, oder ist es die verpasste historische Chance? Im TGV vom Ostfranzösischen Nancy nach Paris kauen die Reisenden schweigend ihre Sandwiches. Eben noch hatten sie dem ersten Sekretär der Parti Socialiste (PS), Olivier Faure, angespannt zugehört und auf die Botschaft der Einheit und des Miteinanders gewartet. Doch die kam nicht. Dabei sollte Nancy den Sozialisten Kraft geben für die kommenden Wahlen und den Kampf gegen die Rechtsextremen um Marine Le Pen. Stattdessen gab es rote Linien und Fingerhakeln um einen Satz. Die Rückkehrenden sind erschöpft. Ja, es wird natürlich weitergehen. Irgendwie. Aufbruch schmeckt anders.In den Umfragen steht das Rassemblement National (RN), Frankreichs Pendant zur AfD, stabil bei rund 33 Prozent. Die Sozialisten haben sich im letzten Jahr regeneriert und kommen auf rund 12 Prozent. Das politische Frankreich ist nach den vorgezogenen Parlamentswahlen im Juni 2024 heimgesucht von einer umfassenden Lähmung. Im Wahlkalender stehen für das kommende Jahr die Kommunalwahlen als letzter Stimmungstest vor den Präsidentschaftswahlen in 2027. Bei denen hat, nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit, das RN die größten Wahlchancen.„Es ist fünf vor zwölf“ lautete dann auch der meistzitierte Satz des Parteitags.„Es ist fünf vor zwölf“ lautete dann auch der meistzitierte Satz des Parteitags, der vermuten ließ, dass die Sozialisten nun alle Flügelkämpfe hinter sich lassen, um ihre Kräfte zu bündeln. Doch Olivier Faure ist es nicht gelungen, die Sozialistische Partei auf ihrem 81. Parteitag wieder zu vereinen. Er war bereits bei der parteiinternen Wahl am 5. Juni mit einem sehr knappen Votum von 51 Prozent zum dritten Mal wiedergewählt worden. Dabei hatte das gegnerische Lager um Nicolas Mayer-Rossignol, den Bürgermeister von Rouen, und zahlreiche andere PS-Prominente geworben, intrigiert, gedroht und nichts unversucht gelassen, um die Partei vom Faure-Kurs abzubringen.Doch was genau der Faure-Kurs und der Kurs seiner Parteigegner ist, was sie unterscheidet und trennt, darüber vermag am dritten Tag des Treffens kaum noch jemand klare Antworten zu geben. Um ideologische Differenzen geht es nicht, wie überhaupt Inhalte auf diesem Parteitag keine Rolle spielen. Insgesamt, so lautet eine der substantiellen Kritiken am Faure-Kurs, „denke“ die Partei nicht mehr. Die kommenden Wahlen erdrücken alle programmatischen Initiativen. So sind es vielmehr Meinungsverschiedenheiten über ihre Beziehung zur linksradikalen Partei La France insoumise (LFI), welche die Sozialisten in unversöhnliche Lager spalten.Neben Nicolas Mayer-Rossignol, der mit 49 Prozent zum zweiten Mal knapp beim Versuch unterliegt, die Partei zu übernehmen, ist auch der freundliche dritte Mann, Boris Vallaud, gescheitert. Der Fraktionschef der sozialistischen Abgeordneten in der Nationalversammlung hatte sich als Mann der Einheit und Brückenbauer angeboten, war aber mit 17 Prozent Zustimmung schnell aus dem Rennen um den Parteivorsitz katapultiert worden. Er hatte sich im zweiten Wahlgang hinter Olivier Faure gestellt und damit den Weg zu dessen Wiederwahl freigemacht. Sein im Bewerbungstext lanciertes Konzept der Démarchandisation, also der „Entkommerzialisierung“ wird oft gelobt, und dann nicht diskutiert.Immerhin, sagen die Abgeklärten – und es klingt, als sei man hineingeboren in eine dysfunktionale Familie –, habe es keine Neuauflage des Psychodramas gegeben.Immerhin, sagen die Abgeklärten – und es klingt, als sei man hineingeboren in eine dysfunktionale Familie –, habe es keine Neuauflage des Psychodramas gegeben, welches Faure und Mayer-Rossignol beim letzten Parteitag in Marseille, im Januar 2023, dargeboten hatten. Damals waren beide Männer tagelang aneinandergeraten und hatten sich gegenseitig Wahlbetrug vorgeworfen. Nancy sollte aber so viel mehr werden als nur die Abwesenheit von Egos und Streit.Die Ankündigung des Lagers um Mayer-Rossignol, dass man von Faure eine schriftliche Zusicherung verlange, dass es im Falle von vorgezogenen Parlamentswahlen „keine nationale und programmatische Übereinkunft“ mit dem LFI geben werde, besiegelt die Spaltung. Olivier Faure, dem manche den Charme einer Auster attestieren, bleibt freundlich wie stets. Doch er lehnt ab. Er hält die Forderung für absurd. In seiner Abschlussrede beklagt der Chef der Sozialisten, dass seine Gegner aus dem Kongress „ein Referendum für oder gegen La France insoumise“ machen wollten. Jean-Luc Mélenchon, der polarisierende und charismatische Führer der linksradikalen Insoumise, ist seit langem das Menetekel der Sozialisten. Mélenchon genoss es daher sichtlich, aus der Ferne einen Tweet zu schicken: „Könnt ihr euch nicht über andere Themen streiten als über LFI oder mich?“Nicolas Mayer-Rossignol fordert den vollständigen Bruch mit der Bewegung der Mélenchonisten und sagt, er würde lieber „Wahlen verlieren“ als „seine Seele“. Der Abgeordnete Jérôme Guedj, ein Mitglied seiner Strömung, und einstiger enger Freund Mélenchons, brachte es am Wochenende zu etlichen Schlagzeilen, als er Mélenchon einen „antisemitischen Drecksack“ nannte. Das LFI konterte und forderte eine öffentliche Entschuldigung von Olivier Faure.„Eine große sozialistische Partei lässt sich nicht zur ständigen Polemik mit der Linken herab, eine große sozialistische Partei spricht mit der gesamten Linken, mit allen ihren Wählern, ohne zu sortieren“, mahnte Faure in seiner Rede. Er lehne es ab, das Spiel der unversöhnlichen Lager erneut zu spielen. Natürlich – er war schließlich auch der Architekt der Linksbündnisse Nupes (2022) und Neue Volksfront (2024) mit La France insoumise, mit der die Sozialisten gemeinsam bei Wahlen gut abgeschnitten hatten. Doch Jean-Luc Mélenchon, der egomane Volkstribun, der die Hamas nach dem 7. Oktober 2023 nicht verurteilen wollte, ist für die Sozialisten ein Problem. Faure hatte schon seit Monaten stets wissen lassen, dass es bei den nächsten Kommunalwahlen „kein nationales Abkommen“ – also keine Zählgemeinschaft mit dem LFI – geben werde.Wohin steuert nun die Faure-PS? Für die Präsidentschaftswahlen fordert Faure eine einzige Kandidatur aus dem Linksspektrum von Sozialisten bis zu den Umweltschützern oder den Kommunisten. Mayer-Rossignol plädiert für die Notwendigkeit, einen sozialdemokratischen Kandidaten aufzustellen – koste es, was es wolle.Seit Wochen hatten französische Linke im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen besorgt auf das Ergebnis des Parteitags der Sozialisten gewartet. Doch Faure will nichts in Stein meißeln an diesem Parteitag – nicht einmal seinen möglichen Anspruch, selbst der Kandidat zu werden. Zu unklar ist das Spielfeld, zu viel steht auf dem Spiel. Er taktiert, rechnet, redet mit allen. Einer seiner früheren Mentoren verglich Faure einmal mit einem Krokodil am Grund des Tümpels, das regungslos auf die Sekunde wartet, in der es zuzuschnappen gilt. „Die einzige wirkliche Auswirkung, wenn ich gewinne, ist, dass der Weg, um zu einem gemeinsamen Kandidaten zu gelangen, weiter begangen wird“, hatte Olivier Faure kurz vor der Wahl in einem Interview erklärt.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal