Das Cash der Schmuddelkinder

09.07.25 13:38 Uhr

Im Sport kann man Saudi-Arabien nicht mehr entkommen – ob man will oder nicht. Das Königreich ist überall. Das zeigt die am Sonntag zu Ende gehende FIFA-Klub-Weltmeisterschaft in den USA wie unter einem Brennglas: In den Werbepausen während der Spiele wurde prominent für die saudische Küste am Roten Meer als attraktive Touristendestination geworben. Und auf den Werbebanden in den Stadien prangte omnipräsent das Logo des saudischen Public Investments Funds (PIF). Der PIF gilt mit mehr als einer Billion US-Dollar Einlagen als einer der finanzstärksten Staatsfonds der Welt und hat sich in den letzten Jahren als Investitionstreiber des saudischen Königreichs etabliert – insbesondere im Sport.So hat der PIF unter seinem Vorsitzenden, dem mächtigen Kronprinzen Mohammed bin Salman, nicht nur den englischen Traditionsverein Newcastle United im Oktober 2021 übernommen, sondern investiert auch massiv in den einheimischen Fußball und hält beispielsweise die Mehrheit an den vier wichtigsten saudischen Vereinen. Darunter befindet sich auch Al-Nasser, der Club, der Cristiano Ronaldo gerade einen neuen Vertrag gegeben hat – dotiert mit einem Gehalt von 550 000 US-Dollar am Tag und insgesamt 200 Millionen im Jahr.Der Deal mit der FIFA zur Klub-WM ist dabei also nur der vorläufige Höhepunkt der PIF-Investitionsoffensive. Insgesamt zahlte der Fond eine Milliarde US-Dollar an die FIFA und sicherte sich damit die weltweiten TV-Übertragungsrechte durch den Pay-TV-Sender DAZN. Der PIF investiert neben Fußball aber auch in Golf, den Motorsport, Wrestling, Boxen, Tennis oder eSports und hat sich in Windeseile zu einem Big Player im globalen Sport etabliert. Bis Ende 2024 war der PIF bei 346 direkten oder indirekten Sport-Sponsorships und Investitionen beteiligt. Insgesamt hat Saudi-Arabien zwischen 2021 und 2023 mehr als sechs Milliarden US-Dollar in über 900 Sponsorenverträge investiert. Der vorläufige Höhepunkt: Die Ausrichtung der Fußball-WM 2034.Dahinter stecken strategische Ziele: Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten wie Katar geht es darum, mithilfe des Sports „Schönheit“, „Güte“ und „Brillanz“ zu erreichen. Diese Konzepte dienen dem Politikwissenschaftler Alexander Vuving als Kategorien, um das Streben von Nationalstaaten nach internationaler Anerkennung zu definieren, was gerade im Sport deutlich wird: Mit der „Schönheit“, der Attraktivität, der Beliebtheit des Sports generieren Akteure wie Saudi-Arabien erstens internationale Strahlkraft und stärken ihre Marke als beliebte Touristenziele und Investitionsstandorte.Der Ölproduzent Saudi-Arabien möchte durch solche Partnerschaften sein Image als „grüner Champion“ stärken.Zweitens präsentieren sie sich als professionelle, „brillante“ Ausrichter von Sportgroßveranstaltungen und innovativen Wissenszentren. So nutzt Saudi-Arabien den Sport, um sich als Vorreiter in der technologischen Entwicklung zu präsentieren – insbesondere im Energiebereich: Die Ölfirma Aramco hat langfristige Vereinbarungen mit der FIFA, der Formel 1 sowie der Formel E unterzeichnet. Der Ölproduzent Saudi-Arabien möchte durch solche Partnerschaften sein Image als „grüner Champion“ stärken, der sich bei der Entwicklung von emissionsfreien Kraftstoffen und E-Mobilität einbringt, und damit das schlechte Image als Dreckschleuder ablegen, obwohl die Öleinnahmen noch immer mehr als 60 Prozent der Staatseinnahmen betragen. Drittens zielen die Golfstaaten darauf ab, durch „Güte“ verlässliche Netzwerke mit anderen Akteuren aufzubauen. Sie wollen als gute Gastgeber und vertrauenswürdige Mitglieder der Weltgemeinschaft wahrgenommen werden und mithilfe der Sportdiplomatie das Image der „Schmuddelkinder“ ablegen.Saudi-Arabien und andere Golfstaaten bestimmen weite Teile des Sports abseits des Spielfelds – auf dem Feld spielen sie bislang jedoch nur eine Nebenrolle. Das soll und muss sich ändern, wenn das Geschäftsmodell erfolgreich sein soll. Deswegen war der 4:3-Erfolg des saudischen Clubs Al-Hilal gegen die Startruppe von Manchester City im Achtelfinale der Klub-WM mehr als ein sportlicher Sieg des Underdogs gegen ein übermächtiges Team. Es war vielmehr ein Statement, dass der saudische Fußball international – zumindest phasenweise – wettbewerbsfähig ist. Videos des vor Freude weinenden Al-Hilal-Präsidenten Fahad bin Nafal und jubelnde Fans nach dem Triumph sprechen Bände und zeigen, wie sehr sich die Fußballfans und -funktionäre in Saudi-Arabien nach Erfolgen auf dem Spielfeld sehnen – und wie hoch auch der Druck ist, die massiven finanziellen Investitionen mit Siegen zu rechtfertigen.Es geht dabei um Prestige und den Wunsch, ernst genommen zu werden. Dass Al-Hilal ausgerechnet gegen Manchester City triumphierte, das durch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) finanziert wird, machte den Sieg umso süßer. Immerhin konkurrieren das Königreich und die VAE nicht nur im Sport um Markenpräsenz, Macht und Marktzugänge. Solche Siege sind daher auch ein Symbol für die wachsende Konkurrenzfähigkeit und stärken das Image von Güte, Brillanz und Schönheit. Dies zeigte bereits der Sensationserfolg der saudischen Nationalmannschaft während der Vorrunde der WM 2022 gegen den späteren Weltmeister Argentinien um Superstar Lionel Messi. Er löste im fußballbegeisterten Saudi-Arabien eine Welle der Euphorie und des Patriotismus aus. Saudi-Arabien braucht also emotionale Geschichten mit eigenen Helden, um zu zeigen, dass es nicht nur Geld und Öl sind, die den Sport dominieren, sondern auch die Athleten. Sport verkauft sich am besten über Emotionen und deswegen sind die Erfolge von Al-Hilal oder der saudischen Nationalmannschaft mehr wert als Milliardeninvestments. Sie bewirken dreierlei: Erstens generieren sie Rendite in Form von emotionaler Wucht. Zweitens schaffen sie Identifikation nach innen. Damit wird auch die Macht der Herrscher gestärkt. Drittens beweisen sie, dass es möglich ist, das Monopol des westlichen Sports zumindest zeitweise aufzubrechen.Die Golfstaaten begreifen sich als aufstrebende Mittelmächte, die sich in einer multipolaren Welt keinem Lager zuordnen lassen, sondern einen Weg des Sowohl-als-Auch gehen. Sie verstehen sich als Plattformen für Dialog, versuchen, in Kriegen und Krisen zu deeskalieren, wie Saudi-Arabien zuletzt mit seiner Annäherung an den Rivalen Iran beweist. Sie sehen sich einerseits als Partner der USA und Europas, während sie gleichzeitig enge Beziehungen zu Russland und China unterhalten.Über den Sport stärken sie solche Netzwerke: Investitionen in westliche Sportmärkte wie die USA oder Europa sind dabei wesentliche Bausteine, werden aber ergänzt durch Partnerschaften mit Asien oder Afrika. So unterstützte die Airline Qatar Airways jahrelang die nepalesische Fußballliga – immerhin stammen viele der Arbeitsmigranten im Land aus Nepal. Und die saudische Smart City NEOM, ein weiteres Megaprojekt des PIF, vereinbarte eine Partnerschaft mit der Asiatischen Fußballkonföderation, um die Netzwerke nach Asien zu stärken: Länder wie Korea oder Japan sind die wichtigsten Abnehmer saudischen Öls und China ist der größte Handelspartner.In einer sich ändernden Weltordnung ist Sport zu einem Mittel der Machtprojektion und der wirtschaftlichen Diversifizierung geworden ist.Wer also weiterhin von reinem „Sportwashing“ der Golfstaaten spricht, verkennt die Realitäten. In einer sich ändernden Weltordnung ist Sport zu einem Mittel der Machtprojektion und der wirtschaftlichen Diversifizierung geworden ist. Für uns im Westen wird dieser Prozess, oft mit Ablehnung, moralischen Vorwürfen oder Empörung begleitet. Doch eines ist klar: Die Golfstaaten sind in Zeiten der ausufernden Kommerzialisierung des Sports wichtige Geldgeber, die frische Finanzmittel in den Kreislauf des Sportbusiness pumpen. Doch auf Augenhöhe mitspielen sollen sie nicht, da sie immer noch als Exoten mit Herablassung betrachtet werden. Diese Doppelmoral ist eine vertane Chance, denn die Golfstaaten werden die Zukunft zunehmend mitgestalten. Und das nicht nur im Sport.Daher gilt es, Perspektiven zu sehen, wo momentan die Risiken überwiegen. Die Golfstaaten werden häufig als Vorbilder der wirtschaftlichen Entwicklung glorifiziert oder als menschenrechtsverachtende Repressionssysteme dämonisiert – Grautöne existieren kaum. Dies führt zu verhärteten Fronten in der Debatte: Beide Seiten reden übereinander und nicht miteinander. Klar ist aber auch: Sie sind kein Partner der Wahl mehr, sondern ein Partner der Notwendigkeit. Deswegen bietet der Sport eine Möglichkeit, zu kooperieren, anstatt zu diffamieren.Dafür bedarf es konkrete Ansätze: Im Breiten- und Frauensport ließe sich der Austausch ebenso intensivieren wie in der Gesundheitsvorsorge. Sport ist am Golf längst zu einem gesellschaftlichen Trend geworden – ein Mittel zur Förderung mentaler und physischer Resilienz in einer leistungsorientierten Umgebung. Erfolge wie der von Al-Hilal zeigen zwar, dass saudische Clubs punktuell mit dem europäischen Fußball mithalten können. Doch saudische Talente spielen kaum eine Rolle: In der Startelf, die gegen City triumphierte, standen mit Nasser Al-Dawsari, Moteb Al-Harbi und Mohamed Kanno nur drei für die saudische Nationalmannschaft spielberechtigte Akteure.Das Nationalteam schwächelte zuletzt in der Qualifikation für die WM im kommenden Jahr. Will das Land bei der Heim-WM 2034 erfolgreich sein, braucht es also lokale Helden. Hierzu könnten intensivierte Talentförderprogramme mit europäischen Verbänden beitragen. Um mehr voneinander zu wissen, sollten weiterhin verstärkt Dialog- und Austauschformate wie Studienreisen, Diskussionsforen oder multikulturelle Sportturniere organisiert werden. Deutschland und Saudi-Arabien sind fußballverrückt, könnten also ihre Erfahrungen in der Fußball- und Fankultur austauschen. Dadurch entstehen Diskursräume, in denen Probleme wie die strukturelle Ausbeutung der Arbeitsmigranten respektvoll diskutiert werden können.Doch ein solches Vorgehen erfordert langfristige Planung und Mut auf beiden Seiten. Ist beides nicht vorhanden, droht eine weitere Entfremdung, die am Ende den strategischen Zielen Deutschlands im Sport und darüber hinaus schadet. Denn eines steht fest: Die Golfstaaten sind gekommen, um zu bleiben. Wer das nicht erkennt, verkennt zugleich das Potenzial für eine vertiefte Zusammenarbeit.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal