Der inszenierte Bruch

05.06.25 13:01 Uhr

Wie sie begann, so endet sie auch. Eine herbeigeredete Migrationskrise brachte Geert Wilders’ erste Regierungsbeteiligung zustande – und nun führt eine weitere zum Kollaps der Koalition. Schon seit Wochen wurde spekuliert, dass das Regierungsbündnis kurz vor dem Aus stehe – unklar war lediglich, wann genau und unter welchem Vorwand es zerbrechen würde. Am Dienstag, dem 3. Juni, wurde schließlich Klarheit geschaffen: Geert Wilders, Anführer der rechtsextremen und islamfeindlichen Partei für die Freiheit (PVV), verkündete offiziell den Rückzug seiner Partei aus der Regierungskoalition. Er begründete den Schritt damit, dass seine Koalitionspartner nicht bereit gewesen seien, seinen sogenannten „Zehn-Punkte-Plan“ zur Asylpolitik mitzutragen – darunter ein vollständiger Stopp der Aufnahme von Asylsuchenden (was höchstwahrscheinlich EU-Recht widerspricht), der Einsatz des Militärs an den Landesgrenzen sowie die Rückführung syrischer Geflüchteter mit temporärem Schutzstatus nach Syrien.Wilders wirft seinen ehemaligen Partnern vor, Fortschritte blockiert und seine politischen Vorschläge sabotiert zu haben. Diese wiederum betonen, dass sie durchaus verhandlungsbereit gewesen seien – vielmehr sei es Wilders selbst gewesen, der die Gespräche überraschend und unverantwortlich abgebrochen habe. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass dieser Bruch weniger auf unüberbrückbare inhaltliche Differenzen zurückzuführen ist als auf wahltaktisches Kalkül. Die Koalitionsparteien – eine fragile Zweckgemeinschaft – haben vermutlich längst den Blick auf die Umfragen gerichtet und erkannt, dass der Frust in der Bevölkerung über die politische Handlungsunfähigkeit zunimmt. Für Wilders besonders heikel: Seine politische Attraktivität speiste sich über Jahrzehnte vor allem aus seiner Rolle als oppositioneller Außenseiter, der das Establishment von außen attackierte – nicht als aktiver Gestalter innerhalb einer Regierung.Nun kann Wilders in den Wahlkampfmodus umschalten – und versuchen, das Thema Migration erneut ins Zentrum der öffentlichen Debatte zu rücken.Doch genau das war er nun: Wilders war Anführer der stärksten Regierungspartei. Dieses Spannungsverhältnis – Teil des Systems und gleichzeitig dessen Kritiker sein zu wollen – wurde für ihn zunehmend unhaltbar. Die Folge: der inszenierte Bruch, die bewusst herbeigeführte Krise. Nun kann Wilders in den Wahlkampfmodus umschalten – und versuchen, das Thema Migration sowie seine rechtspopulistischen Positionen erneut ins Zentrum der öffentlichen Debatte zu rücken. Gleichzeitig wird er alles daransetzen, die legislative Blockade der Regierung anderen anzulasten. Die Generalprobe für diese Strategie fand bereits in der hitzigen Parlamentsdebatte nach dem Koalitionsende statt.Natürlich ist Wilders nicht der Einzige, der das politische Chaos für eigene Zwecke nutzt. Dilan Yeşilgöz, die neue Parteichefin der konservativen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) – die zwischen 2010 und 2024 unter Mark Rutte den Premier stellte –, positioniert sich wieder einmal als „vernünftige rechte Alternative“. Sie inszeniert ihre Partei als die Kraft, die in der Lage sei, die von Wilders geforderten Gesetze umzusetzen – allerdings in moderaterer Form. Das folgt einem altbekannten Muster: Zentrale Narrative und Forderungen der extremen Rechten werden von der Mitte übernommen, leicht abgeschwächt, aber dennoch mit ähnlicher ideologischer Stoßrichtung. Das Ergebnis: die Erosion der politischen Mitte und die Normalisierung des radikalen Rands.Dabei ist es gerade die VVD, die über Jahre hinweg mit ihrer neoliberalen Agenda entscheidend zur Schwächung des niederländischen Sozialstaats beigetragen hat. Die Austeritätspolitik der vergangenen Jahrzehnte hat tiefe Spuren hinterlassen: massive Einschnitte in die öffentliche Gesundheitsversorgung, ein zunehmender Verfall der Infrastruktur – insbesondere im öffentlichen Nahverkehr in ländlichen und ärmeren Regionen – sowie eine Verdopplung der Zahl der Obdachlosen. Politikwissenschaftliche Studien zeigen deutlich: Solche Entwicklungen sind ein zentraler Nährboden für rechtspopulistische Bewegungen.Während das Land nun bis zur nächsten Wahl von einer Übergangsregierung geführt wird, so der Politikwissenschaftler Tom van der Meer, werde in den kommenden Wochen der politische Konflikt ausgetragen, der die Wahl entscheiden dürfte. Sollte es Wilders gelingen, das Thema Migration zum dominierenden Wahlkampfthema zu machen, dürfte die PVV erneut hohe Zustimmung erfahren. Gleichzeitig wiederholen die anderen rechten Parteien – allen voran die VVD – inhaltlich viele ihrer Positionen, während sie sich als moderate und verlässliche Kraft inszenieren. Parallel dazu werfen sie der politischen Linken vor, arrogant und realitätsfern zu sein – ein klassisches Narrativ rechter Wahlkämpfe.Die Parteien des linken Spektrums – allen voran Frans Timmermans, der nach der Wahlallianz aus Grünen (GL) und Sozialdemokraten (PvdA) nun eine Fusion zu einer grün-linken Partei anstrebt – setzen derzeit vor allem auf die offensichtliche Zerstrittenheit und Handlungsunfähigkeit der rechten Koalition. Ein nachvollziehbarer Ansatz, schließlich ist das Regierungsbündnis gerade spektakulär zerbrochen. Doch wer eine echte Alternative bieten will, sollte vorsichtig sein: Die Erfolge bei der Europawahl im vergangenen Jahr – die von vielen als Beleg für eine erstarkende Linke gedeutet wurden – könnten sich als temporäre Momentaufnahme erweisen. Die Wahl fand kurz nach Wilders’ überraschendem Wahlsieg statt – entsprechend mobilisiert und kampfbereit war das linke Wählerlager.Will die niederländische Linke bei der kommenden Wahl nachhaltig punkten, sollte sie über den kurzfristigen Anti-Wilders-Reflex hinausgehen und sich strategisch neu aufstellen.Will die niederländische Linke bei der kommenden Wahl nachhaltig punkten, sollte sie über den kurzfristigen Anti-Wilders-Reflex hinausgehen und sich strategisch neu aufstellen. Andere europäische Länder könnten dabei als Vorbild dienen. In Finnland etwa hat Li Andersson im Europawahlkampf erfolgreich eine moderne linke Vision vertreten. In einem Interview sagte sie: „Wir haben eine moderne linke Alternative für möglichst viele Wählerinnen und Wähler aufgebaut. Wir kombinieren Umweltpolitik mit ambitionierter Umverteilungspolitik und vertreten eine klare Haltung in Fragen von internationalem Recht und Menschenrechten.“ Auch Spanien liefert ein positives Beispiel: Dort hat die sozialistische Regierung unter Pedro Sánchez ambitionierte wirtschaftspolitische Maßnahmen umgesetzt – darunter deutliche Mindestlohnerhöhungen, sinkende Arbeitslosigkeit, Arbeitsmarktreformen und umfangreiche Investitionen in eine klimaneutrale Wirtschaft. Trotz diverser Krisen und Skandale hat sich die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) seit 2018 an der Regierung gehalten.Im Zentrum dieser Beispiele steht der Wille, konkrete Verbesserungen der Lebensverhältnisse durchzusetzen – nicht nur symbolische Politik. Auch in Deutschland, etwa bei den jüngsten Erfolgen der Partei Die Linke in Berlin, zeigt sich: Eine entschlossene Kampagne mit Tür-zu-Tür-Mobilisierung, politischer Klarheit und aktivierter Basis kann Erfolg bringen. Eine glaubwürdige linke Alternative in den Niederlanden wird nicht allein durch Parlamentsdebatten oder Wahlkampfreden entstehen – sie braucht eine breite gesellschaftliche Bewegung, engagierte Strukturen vor Ort, kreative Kampagnen und Antworten auf die alltäglichen Sorgen eines zunehmend resignierten und wütenden Wählerlagers.Ein solcher Aufbruch verlangt auch Mut zur demokratischen Erneuerung, Offenheit für Experimente und eine inspirierende Vision für das Land. Doch gleichzeitig darf man sich nicht in banalen Appellen an „Hoffnung“ und „positive Energie“ verlieren. Die US-Demokraten liefern hierfür ein abschreckendes Beispiel: Ihr Wahlkampf gegen Donald Trump im Jahr 2024 fokussierte sich fast ausschließlich auf Anti-Trump-Rhetorik – ohne ein klares, eigenes Zukunftsversprechen. Das Center for Working Class Politics warnte früh: Solange sich Kamala Harris auf Trump konzentriere und nicht auf die konkreten Bedürfnisse der Arbeiterklasse, sei ein Wahlsieg nicht möglich. Und wir wissen, wie das ausgegangen ist.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal