Neue, linke Volkspartei

18.06.25 12:51 Uhr

Die Stimmen sind ausgezählt: Die Mitglieder der niederländischen Grünen und der Arbeiterpartei (PvdA) haben dafür votiert, sich zu einer Partei zusammenzuschließen. Die Abstimmung am 12. Juni war ein klarer Sieg für die Befürworter der Parteienfusion: Fast 90 Prozent der Mitglieder, die sich an der Abstimmung beteiligten, sprachen sich für den Zusammenschluss aus. Bei den kommenden Wahlen werden die beiden Parteien gemeinsam antreten. 2026 wird es dann eine neue Partei mit einem markanten neuen Logo, einer Satzung und einem neuen Namen geben.Frans Timmermans, derzeitiger Vorsitzender der grün-linken Allianz, wirbt für die Idee, dass aus der Fusion der beiden Parteien eine neue „breite Volkspartei“ hervorgehe, die eine zentrale Rolle für eine breite linke Bewegung spielen werde, mit der er bei den Parlamentswahlen im Oktober durchstarten möchte. Allerdings bleiben einige sehr wichtige Fragen offen. Wird die Verbindung der beiden Parteien tatsächlich glücken? Wird es mit der Parteienfusion gelingen, den Boden für eine breite linke Bewegung zu bereiten in einem Land, das in den letzten Jahren weit nach rechts gerückt ist?Weiterhin wird bezweifelt, ob die Bildung einer aus zwei Wählergruppen fusionierten Partei strategisch erfolgreich sein wird vor dem Hintergrund, dass beide Parteien ihre jeweils ureigene Identität und Geschichte mitbringen. Zwar nutzen die beiden Parteien seit Jahren gemeinsame Plattformen und arbeiten kontinuierlich eng zusammen, doch Fakt ist auch, dass sie bei Kernthemen nach wie vor unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Die soziale und ökologische Gerechtigkeit wird zweifellos im Mittelpunkt der Partei stehen, aber bei einigen Parteimitgliedern gibt es auch Widerstände – vor allem bei der früheren Parteiführung, die der Meinung ist, die Partei verleugne mit dem neuen Kurs ihre Wurzeln.In der Arbeiterpartei vertritt der Flügel „Roodvooruit“ (Rot vorwärts) den Standpunkt, die Sozialdemokratie sei im Programm der Grünen nicht zentral genug verankert, und befürchtet, der neuen Bewegung könnte ihre historisch gewachsene Verwurzelung in der Arbeiterbewegung abhandenkommen. Auf der anderen Seite sorgt sich die LinksBoven-Fraktion („Links oben“), dass durch die Fusion mit der Arbeiterpartei die Grundprinzipien ihrer Partei verwässert werden könnten. Diese beiden Gruppen machen allerdings nur eine sehr kleine Minderheit innerhalb der beiden Parteien aus, und innere Spaltungen gibt es schließlich in jeder politischen Partei. Dass konkurrierende Lager bestrebt sind, bei der Kursbestimmung ihrer jeweiligen Partei die eigenen Präferenzen durchzusetzen, gehört zur Normalität.Die Befürworter der Fusion werten die genannten Kritikpunkte jedoch als Indiz für die Unfähigkeit, sich an die heutigen Realitäten linker Politik anzupassen, und fordern eine demokratische Neuausrichtung und Verjüngung der niederländischen Linken. Diesen letzten Aspekt gilt es in den Fokus der Diskussion zu rücken: Ob die Parteien nach dem Zusammenschluss besser oder schlechter abschneiden werden, ist dabei weniger relevant als die Frage, ob diese vermeintliche neue Bewegung einen sinnvollen und überzeugenden Kurswechsel herbeiführen wird, der der politischen Linken des Landes neuen Schwung geben kann.In jüngster Zeit deutet vieles darauf hin, dass die Wählerinnen und Wähler, die sich eine ambitionierte und selbstbewusste linke Bewegung wünschen, den von Timmermans eingeschlagenen Kurs bislang noch nicht wirklich überzeugend finden. Ende vergangenen Jahres kündigte Timmermans zum Beispiel einen migrationspolitischen „Kurswechsel“ der Partei an. Seiner Ankündigung vorausgegangen war der Bericht eines staatlichen Ausschusses, der zu dem Befund kam, das Land brauche strengere Grenzkontrollen, damit die hohe Lebensqualität und der soziale Zusammenhalt gewahrt bleiben.Die Stammwählerschaft der Mitte-Links-Partei sieht in der vorgeschlagenen Kursänderung eine Abkehr von ihren Grundprinzipien und die Kapitulation vor dem einwanderungspolitischen Diskurs der Rechten. Auf potenzielle Wählerinnen und Wähler, die nicht der Partei angehören, wirkt dieser Schritt unredlich, nachdem Timmermanns den Migrationsdiskurs der niederländischen Rechten bislang stets abgelehnt hat. Ein weiteres Beispiel ist eine neulich online gestellte Podcast-Folge mit Timmermans, in der er die Vorstellung, die grün-linke Allianz sei eine linksradikale Partei, als „reines Imageproblem“ abtat. Timmermanns erweckt den Anschein, als stehe er nicht fest zu den historisch gewachsenen Grundwerten und Kernprinzipien seiner Stammwählerschaft, sondern rücke die Partei nach rechts.Diese Strategie ist für Mitte-Links-Parteien noch nie aufgegangen, weil sie zum einen die rechtsextreme Wählerschaft nicht auf ihre Seite ziehen kann und zum anderen die gewachsene Wählerbasis der Partei demoralisiert. Untersuchungen belegen schon seit Jahren: Wenn Mitte-Links-Parteien sich von klassisch linken Themen – Fragen des alltäglichen Lebens, die unmittelbar mit wirtschaftlicher Unsicherheit zusammenhängen – abwenden, verlieren sie Wahlen. Die gleichen Studien zeigen, dass die Strategie, den Diskurs der Rechtspopulisten kopieren zu wollen, gerade nicht zum Erfolg führt. Davon abgesehen ist schwer auszumachen, was Timmermanns mit der neuen Partei konkret vorschwebt.Die wohl ausführlichste Beschreibung dessen, was die breite linke Bewegung plant und vorhat, lieferte Timmermans kürzlich in einem Dokument mit dem Titel „Ein neues Kapitel für die Niederlande“. In dem Dokument werden zwar einige konkrete politische Vorschläge wie die Senkung der Krankenkassenbeiträge oder die „Entkommerzialisierung“ des Schulsystems genannt und einige Pläne für Infrastrukturinvestitionen thematisiert, doch über weite Strecken wird darin nur vage auf Ideale wie Solidarität, Zusammenhalt und den Kampf gegen die Polarisierung Bezug genommen. Wie sich jedoch gezeigt hat, kann in der heutigen Zeit des zunehmenden Rechtspopulismus die politische Linke nur dann erfolgreich sein, wenn sie klare und ambitionierte politische Vorschläge formuliert, die konkrete und substanzielle Veränderungen zum Wohle der Bevölkerung bewirken. Die Vision, die diese neue Bewegung am Ende vertreten wird, sollte klar und inspirierend sein – nicht nebulös und inhaltslos.Und noch eine Schlussbemerkung: Eine breite politische Bewegung, die langfristig auf eine politische Neuausrichtung abzielt, entsteht nicht spontan durch die Fusion zweier Parteien. Sie wird nur dann Wirklichkeit, wenn die Linke ihre Basis mobilisiert und der Wählerschaft vor Ort und darüber hinaus mit einer ganz konkreten Alternativvision für das Land aufwartet. Diese Bewegung wird nur dann zu Kräften kommen, wenn die Organisationsarbeit vor Ort ernstgenommen wird: öffentliche Veranstaltungen, Kampagnen zur Gewinnung von Freiwilligen, Teilnahme an Demonstrationen auf lokaler Ebene, Zusammenarbeit mit Gewerkschaften, Besuche am Arbeitsplatz, organisierte Diskussionen über politische Schwerpunktthemen, öffentliche Debatten und niederschwellige Beteiligungsmöglichkeiten für Wählerinnen und Wähler, die sich für eine Mitwirkung in der Bewegung interessieren. Zu lange schon konzentriert das politische Geschehen sich auf Den Haag, zu lange fixiert der Diskurs sich auf nächtliche Talkshows. Wenn es der Partei mit dem Aufbau einer Bewegung ernst ist, muss sie an der Basis vor Ort und auf den Straßen ansetzen.Aus dem Englischen von Christine HardungWeiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal