Grüße nach Washington

05.05.25 15:21 Uhr

Die australische Labor-Party hat bei den Wahlen am 3. Mai einen historisch herausragenden und spektakulären Sieg errungen – verdient, aber in diesem Ausmaß unerwartet. Mit voraussichtlich rund 90 von 150 Sitzen im Unterhaus geht Premierminister Anthony Albanese selbstbewusst in die nächste Legislaturperiode. Finanzminister Jim Chalmers würdigte ihn am Tag nach der Wahl als ein „Labor Hero“. Die konservative Oppositionskoalition aus Liberal und National Party, seit der Wahlniederlage 2022 geführt von Peter Dutton, steht vor einem Scherbenhaufen. Dutton verlor sogar seinen eigenen Parlamentssitz. In der um fast ein Drittel geschrumpften Fraktion sind kaum noch Abgeordnete aus innerstädtischen Wahlkreisen vertreten. Fraktionslose Unabhängige ziehen mit rund zehn Sitzen ins Unterhaus ein, während die Grünen trotz konstantem Stimmenanteil ihre ohnehin kleine Präsenz noch reduziert sehen. Im Oberhaus bleibt Albanese für Gesetzgebungsprojekte wie bisher auf deren Unterstützung angewiesen – es sei denn, er erzielt einen Konsens mit der konservativen Opposition.Noch vor wenigen Wochen schien ein solcher Wahlausgang völlig undenkbar. Zwischenzeitlich sah es sogar so aus, als würde Labor auf eine Niederlage zusteuern. Nach dem deutlichen Umschwung der Sympathien in den letzten drei Monaten macht ein Witz die Runde: Donald Trump sei jetzt so unbeliebt, dass er nicht nur im benachbarten Kanada, sondern auch im weit entfernten Australien Wahlen verliere. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. In den letzten Monaten hat sich die Haltung der australischen Bevölkerung gegenüber den USA grundlegend verändert. Laut aktuellen Umfragen des renommierten Lowy Instituts vertrauen nur noch 36 Prozent darauf, dass „Washington verantwortungsbewusst in der Welt handelt“ – der niedrigste Wert seit zwanzig Jahren. Diese Vertrauenskrise hat in Australien eine spürbare Verunsicherung ausgelöst. Für Labor wirkte sie im Wahlkampf offenbar wie ein Katalysator.Das Labor Wahlkampfteam setzte gezielt darauf, den Herausforderer Peter Dutton als australisches Pendant zu Donald Trump darzustellen.Das Wahlkampfteam von Labor setzte gezielt darauf, den Herausforderer Peter Dutton als australisches Pendant zu Donald Trump darzustellen. Dass das durchaus funktioniert hat, hängt mit der anderen Hälfte der Wahrheit zusammen: Duttons Wahlkampf wirkte auf fast alle Beobachter orientierungslos: Politische Konzepte schienen unausgegoren, mehrfach musste der Oppositionsführer zurückrudern, weil sich Vorschläge, wie zum Beispiel zur Eindämmung von Telearbeit, als zu toxisch erwiesen. Auch das Filetstück seiner Energiepolitik – der Einstieg in die zivile Nutzung von Atomkraft – sorgte für Kritik: Eine detaillierte Kostenkalkulation wurde erst zwei Tage vor dem Wahltag veröffentlicht. Die geplante Gegenfinanzierung durch drastischen Stellenabbau im öffentlichen Dienst wirkte wie eine Parallele zum kontroversen DOGE und Elon Musk. Doch nichts davon wird nun kommen. Die konservative Opposition muss sich völlig neu erfinden, die bekannte Kolumnistin Michelle Grattan sprach sogar von einem tiefergehenden „Identitätsvakuum“.Noch im vergangenen Jahr schien der Machterhalt der Labor-Regierung ungewiss. Die Lebenshaltungskosten waren stark gestiegen, ebenso wie die Leitzinsen – was sich unmittelbar auf Hypotheken und Mieten auswirkte. Ob Labors Gegenmaßnahmen Abhilfe bringen, bleibt abzuwarten. Ideen für neue Abschreibungsregeln, die die Partei 2019 den sicher geglaubten Wahlsieg gekostet hatten, sind jedenfalls weiter tabu. Die konservative Opposition konnte zeitweise vom gescheiterten Referendum zur „Voice to Parliament“ profitieren – einem parlamentarischen Beratungsgremium für die indigene Bevölkerung, das im November 2023 von der Mehrheit abgelehnt wurde. Dem gegenüber standen aber für Labor beachtliche Erfolge in den Bereichen Mitbestimmung und Arbeitsrecht, eine grundsätzlich progressive Klima- und Energiepolitik sowie wichtige Reformen im Pflegebereich und bei Transferzahlungen auf dem Höhepunkt der Inflation.Die Haushaltspolitik von Finanzminister Jim Chalmers gilt als solide und verantwortungsvoll. Sie hat wesentlich dazu beigetragen, dass entscheidende Indikatoren auf eine Erholung der Wirtschaft hindeuten: Die Inflation scheint besiegt, eine erneute Leitzinssenkung steht im Raum. Und schließlich haben Albanese und sein Team praktisch skandalfrei regiert und dabei in bemerkenswerter Weise zusammengehalten. Die Furcht vor einem Wiederaufflammen interner Auseinandersetzungen, die Labor in der Ära Rudd/Gillard zwischen 2007 und 2013 gequält haben, blieb stets spürbar und bremste übermäßigen Reformeifer.Am Ende ist Labor in einem immer stärker fragmentierten politischen Umfeld mit einer vorsichtigen Strategie der kleinen Schritte offenkundig gut gefahren und konnte vor allem bei den Präferenzstimmen punkten. Überhaupt beugt das australische Präferenzwahlrecht bisher weiterer politischer Polarisierung vor: Anders als etwa in Deutschland führt das Schrumpfen der Volksparteien nicht zu einem Erstarken der politischen Ränder, sondern überwiegend zum Erfolg unabhängiger Abgeordneter der Mitte. Dies hält auch rechtspopulistische Tendenzen im Zaum. Die konservative Opposition scheint zu spät erkannt zu haben, dass die Taktiken, mit denen sie das Voice-Referendum zu Fall brachte, im Parlamentswahlkampf nur bedingt aufgehen – und mit dem Menetekel Trump an der Wand sogar kontraproduktiv wirken.Nach dem Führungspersonalkarussell der letzten 20 Jahre ist Albanese der erste australische Premierminister seit John Howard, der zwei Wahlen in Folge gewinnen konnte.Nach dem Führungspersonalkarussell der letzten 20 Jahre ist Albanese der erste australische Premierminister seit John Howard, der zwei Wahlen in Folge gewinnen konnte und nun sehr fest im Sattel sitzt. Diesen Handlungsspielraum wird der Premierminister auch brauchen, denn es gibt sehr grundlegende Herausforderungen: In der Klima- und Energiepolitik hat Labor 2022 das Steuer umgelegt, doch eine Beschleunigung der Energiewende erfordert zusätzliche Anstrengungen. Australien verfügt über fast alle Voraussetzungen, um vom Zeitalter der erneuerbaren Energien massiv zu profitieren. Aber die Abkehr von der immer noch profitablen Förderung und Ausfuhr fossiler Energieträger fällt weiterhin schwer. Der Auf- und Umbau entsprechender Infrastruktur und neuer Industriekapazitäten erfordert Investitionen und Fachkräfte, die oft nur durch verstärkte Immigration gewonnen werden können und die gleichzeitig im Wohnungsbau oder für die Ambitionen im Verteidigungssektor gebraucht werden. Auch die geo-ökonomischen Implikationen einer Energiewende sind schwer zu manövrieren.Wichtige strategische Partner im Indo-Pazifik wie Japan und Korea zählen auf verlässliche australische Energielieferungen. Gleichzeitig erfordert der wachsende Einfluss der Volksrepublik China eine präzise politische Abwägung: In welchen Bereichen sind chinesisches Kapital und Technologie als Unterstützung für industriepolitische Programme wie „Future made in Australia“ willkommen – und wo überwiegen sicherheitspolitische Bedenken? Diese Gratwanderung wird zusätzlich erschwert durch den eskalierenden wirtschafts- und handelspolitischen Konfrontationskurs zwischen den USA und China. Die neuen Unwägbarkeiten der Trump-Administration werfen insbesondere für Australien schwierige Fragen zur Zukunft der sicherheitspolitischen Allianz mit den USA auf. Canberra hadert mit dem Umstand, dass nüchterne Interessenabwägungen, die Australien in eigener Wahrnehmung zu einem wertvollen Partner der USA machen, unter Trump offenbar weniger Gewicht haben. Insbesondere fürchten manche, dass das auch daheim weiter hinterfragte und weit über 200 Milliarden Euro teure AUKUS-Projekt zum Erwerb und Bau nukleargetriebener U-Boote trotz positiver Signale der amerikanischen Seite schließlich doch noch scheitern könnte. Grundsätzlich stehen immer noch 80 Prozent der Bevölkerung hinter der sicherheitspolitischen Allianz mit den USA – in Diskrepanz zur erwähnten tiefen Vertrauenskrise. Im Wahlkampf hat dies dazu geführt, dass beide Lager das Thema auffällig gemieden haben. Peter Hartcher, außenpolitischer Kommentator des Sydney Morning Herald, sprach treffend von einer „absichtlich kurzsichtigen“ Strategie.Australien kann sich diesen und zahlreichen weiteren Reformfragen angesichts vergleichsweise solider Staatsfinanzen, einer (noch) förderlichen Demographie, seines enormen Rohstoffreichtums und politischer Stabilität selbstbewusst stellen – vor allem, wenn es künftig wieder gelingt, auch parteiübergreifende Brücken zu schlagen. Die in einem Zwei-Parteien-System nachvollziehbaren Abgrenzungsreflexe gegenüber dem politischen Gegner wirkten zuletzt zunehmend aus der Zeit gefallen. Der fortgesetzte Erfolg neuer politischer Akteure, die weniger ideologie- und stärker faktenbasierte Debatten einfordern, scheint dies zu unterstreichen. Der alte und neue Premierminister Albanese ist durch den historischen Wahlsieg in schwierigen Zeiten in der Position, diesem Anliegen Raum zu geben.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal