Halbgötter in Schwarz
Donald Trumps Beziehung zur Justiz scheint mit dem Wort „facettenreich“ gut beschrieben. Seit seiner frühen New Yorker Zeit ist der nunmehr zweifache US-Präsident immer wieder mit den Vertretern des Gesetzes in Berührung gekommen: als Kläger, Beklagter, Zeuge und zuletzt auch Hauptbeteiligter einer Strafverfahrenssaga, die auf denkbar amerikanische Weise ihr Ende fand. Trump war von einer Jury im Bundesstaat New York für schuldig befunden worden, Geschäftsunterlagen gefälscht zu haben, wurde dann aber von den Wählern ins Weiße Haus beordert, ehe der zuständige Richter Juan Merchan das im US-Recht vom Schuldspruch getrennte Strafmaß festlegen konnte (sentencing). Eine Haftstrafe für das künftige Staatsoberhaupt war selbstredend undenkbar, und auch eine Geldbuße hätte die Integrität des Präsidentenamts nach Auffassung des Gerichts schwer beschädigt. Folglich blieb als Ausweg nur das vorbehaltlose Aussetzen der Strafe: im Grunde also ein Freispruch ohne Freispruch zu sein.Für Trump ein glücklicher Ausgang – und doch eine Episode, die ihm vermutlich mehr als jede andere in dem Gefühl bestärkt hat, die Justiz habe ihn auf dem Kieker und spiele mit unfairen Mitteln. Ein Gefühl, das fast vier Monate nach Amtsübernahme auch insofern nicht nachgelassen haben dürfte, als beinahe jede Maßnahme der neuen Regierung unter rechtlichem Dauerfeuer steht. So blockierte etwa eine Bundesrichterin jüngst geplante Entlassungen im Staatsapparat. Und der Versuch, der Harvard University das Recht zur Aufnahme ausländischer Studenten zu entziehen, wurde im Zuge eines temporary relief (also einstweiligen Rechtsschutzes) gleichfalls zurückgestellt.Auch der Supreme Court als Oberster Gerichtshof ist mit von der Partie: Zuletzt untersagte er Trump, Abschiebungen auf Grundlage des Alien Enemies Act von 1798 durchzuführen, bestätigte im Gegenzug aber das Recht der Regierung, den von Joe Biden einseitig verfügten Schutzstatus für mehr als 500 000 Einwanderer aus Kuba, Haiti, Nicaragua und Venezuela auslaufen zu lassen. Ein Flickenteppich an Entscheidungen also, getroffen in einem Land, das einerseits großen Wert auf die Unabhängigkeit seiner Gerichte legt und das andererseits häufig genug mit eben dieser Unabhängigkeit hadert. Denn kaum etwas hat beiden politischen Lagern in der jüngeren Vergangenheit so viel Kopfzerbrechen bereitet wie die nicht immer konsistenten Urteilssprüche ihrer Halbgötter in Schwarz.Unbeschädigt geht am Ende jedenfalls niemand aus der Sache hervor.Als der Supreme Court vor nicht allzu langer Zeit in Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization (2021) feststellte, die Verfassung enthalte kein Recht auf Abtreibung, und der eigene Entscheid in Roe v. Wade (1973) sei außer Kraft gesetzt, fühlten sich beispielsweise viele Liberale schwer brüskiert. Und als dasselbe Gericht in United States v. Windsor (2013) zunächst die Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Ehen einforderte und diesen dann in Obergefell v. Hodges (2015) auch noch landesweit zur Rechtskraft verhalf, erging es vielen Konservativen kaum anders. In beiden Fällen war ersichtlich, wie tief der Unmut darüber saß, einem ungewählten Neunergremium das letzte Wort zu gesellschaftlichen Konfliktthemen dieser Größenordnung zu überlassen. Zumal die US-Verfassung sich bekanntlich weder zu Abtreibung noch zu homosexuellen Beziehungen näher äußert und jede Ableitung daher immer an einer politischen Scheidelinie entlangläuft, die mit dem Buchstaben des Gesetzes fast schon natürlicherweise überkreuz liegt. In der Folge stellt sich nach kontroversen Höchstrichtersprüchen auch nur selten ein wirklich gesellschaftsbefriedender Effekt ein. Häufiger führen sie zu Groll, Bitterkeit und Sondervoten der unterlegenen Seite, in denen ausgiebig die stupide Rechtsauffassung der Sieger beklagt wird. Der 2016 verstorbene konservative Vordenker Antonin Scalia sprach im Zusammenhang mit dem Obergefell-Urteil gar von einem Putsch gegen die Demokratie, einem Vorgehen, das „das Volk seiner wichtigsten Freiheit beraubt, [...] der Freiheit, sich selbst zu regieren“. Und die auf dem linksliberalen Flügel des Gerichts beheimatete Sonia Sotomayor schimpfte zum Mehrheitsentscheid in Students for Fair Admissions v. Harvard (2023), er würde „Jahrzehnte des Fortschritts rückabwickeln“ und sei „weder im Recht noch in den Tatsachen“ begründet. Dieser aggressive sound, der in scharfem Gegensatz zur um Einigkeit bemühten Spruchpraxis hierzulande steht, findet sich auch im Kleinen wider: Von Demokraten ernannte Bundesrichter werfen Trump zum Teil offen rassistische Motivlagen vor – und müssen sich im Gegenzug von diesem anhören, sie seien ja von Demokraten ernannt und daher „verblendet von ihrem Hass“ auf ihn.Unbeschädigt geht am Ende jedenfalls niemand aus der Sache hervor. Nicht die Richter, die mit einem massiven Ansehensverlust zu kämpfen haben und denen gerade einmal 35 Prozent der US-Amerikaner noch Vertrauen schenken. Nicht die Demokraten, deren Machtlosigkeit durch den Rückzug auf rechtliche Störmanöver nur umso deutlicher aufscheint und die im dringenden Verdacht stehen, mittels lawfare den Willen des Volkes untergraben zu wollen. Und natürlich auch nicht die Regierung, die konsterniert zusehen muss, wie wesentliche Teile ihrer Agenda auf dem Rechtsweg versanden und die in der Folge einen Großteil ihrer Energie in die Suche nach Auswegen investiert. Noch potenziert wird ihr Frust dabei durch den Umstand, dass die Mühlen der Justiz bekanntlich langsam mahlen, die US-Politik aber hochgradig zeitsensitiv ist. Denn während man als Bundeskanzler in der Regel vier Jahre zur Umsetzung seines Programms hat, kann man in Übersee allenfalls mit der Hälfte rechnen.Der Flurschaden, den man als Richter mit dem Blockieren oder Verzögern einer Regierungsentscheidung anrichten kann, ist alles andere als unerheblich.Der Grund: Nach zwei Jahren stehen die gefürchteten Zwischenwahlen an, bei denen sich die Opposition in nahezu allen Fällen die Mehrheit in mindestens einer Kongresskammer erkämpft. Den Demokraten gelang dies etwa 2006 (Senat und House) und 2018 (House), den Republikanern wiederum 2010 (House), 2014 (Senat) und zuletzt 2022 (House). Mit einer solchen Hypothek fällt das Regieren jedoch ungleich schwerer. Gesetzesvorschläge ereilt oft ein schneller Tod in den Ausschüssen und kuhhandelartige Kompromisse sind nötig, um überhaupt noch etwas umsetzen zu können. Nicht ganz ein Jahr vor der nächsten Wahl schaltet das Land wiederum in den Kampagnenmodus, was die Gesprächsbereitschaft der Gegenseite weiter verkleinert. Und hat man als Amtsinhaber dann auch noch das Pech, nicht erneut anzutreten, gilt man schnell als lame duck und muss mitansehen, wie die eigenen Mistreiter plötzlich mehr Zeit für Wahlkampfauftritte als für Gesetzesarbeit aufwenden.Kurzum, der Flurschaden, den man als Richter mit dem Blockieren oder Verzögern einer Regierungsentscheidung anrichten kann, ist alles andere als unerheblich und bedeutet nicht selten das vorzeitige Ende derselben. Nicht die Schärfe von Justizias Schwert fürchtet man deshalb zuvorderst in den Korridoren der Hauptstadt, sondern seine Langsamkeit. Sie erst macht es zu einem Werkzeug, das in den Händen aktivistisch gesinnter Robenträger für umfassende Verheerungen sorgen kann, und mit Samuel Alito einen Veteranen des Supreme Court zuletzt gar von juristischer Hybris sprechen ließ. Schließlich gebe es mehrere hundert Bundesrichter im Land, alle auf Lebenszeit ernannt und einzig ihrem Gewissen verpflichtet. Der Umstand, dass jede auch nur marginal umstrittene Maßnahme von ihnen auf Eis gelegt werden kann, verblüffe ihn immer wieder.Doch auch wer Trumps Pläne ablehnt und sein Heil in der Rechtsprechung sucht, täte gut daran, seine Karten mit Bedacht zu spielen. Denn der Preis für offenen Obstruktionismus in den Gerichtssälen ist letztlich der einer erhöhten Politikverdrossenheit und zunehmenden Polarisierung. Das bedeutet selbstredend nicht, der Regierung eine carte blanche für Fälle auszustellen, in denen sie ihre Rechte und Kompetenzen offensichtlich überschreitet. Aber eben doch, ihr auch aus Respekt vor ihrem Mandat einen gewissen Gestaltungsspielraum zuzugestehen und die Bundesjustiz nicht zu einem Ersatzparlament verkommen zu lassen. Ansonsten steht zu befürchten, dass das MAGA-Lager in der nächsten demokratischen Legislatur erst recht zurückzahlt, was es in dieser empfangen hat. Oder dass sich Trump bei seinen anstehenden Richterernennungen umso mehr auf handverlesene Hardliner versteift, von denen er sich ein juristisches Gegengewicht erhoffen kann.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal
Quelle: IPG Journal