Kanalisierter Unmut
Die amerikanische Wirtschaft sowie die nationale Sicherheit des Landes hängen von einem Staat in Lateinamerika ab, der nicht einmal so groß ist wie der Bundesstaat South Carolina: Panama. Jährlich werden 40 Prozent des gesamten US-Containerverkehrs im Wert von 270 Milliarden US-Dollar über den Panamakanal abgewickelt. Dies entspricht schätzungsweise fünf Prozent des weltweiten Seehandels. Sollte es zu einem Konflikt zwischen China und Taiwan kommen, müsste die US-Marine umgehend U-Boote und andere Kriegsschiffe in den Pazifik verlegen und hierfür den Kanal passieren.Seit Dezember thematisiert Präsident Trump Panama immer wieder in Reden, Interviews und auf Truth Social und droht, den Panamakanal „zurückzuholen“, den die Vereinigten Staaten von 1914 bis 1999 unter ihrer Kontrolle hatten. Seit Beginn seiner expansionistischen Forderungen hat er Panamas konservativem Präsidenten José Raúl Mulino eine immer länger werdende Liste von Zugeständnissen abgerungen. So wird nun über die Gebühren verhandelt, die die US-Marine für die Nutzung des Kanals zahlt. Zudem hat Mulino die Erlaubnis erteilt, dass US-Militärpersonal nach einem Rotationsprinzip auf von Panama kontrollierten Stützpunkten überall im Land stationiert werden kann. (Der letzte ständige US-Militärstützpunkt wurde 1999 geschlossen, ein Jahrzehnt nach der Invasion der USA in Panama.)Mit einigen seiner Forderungen will Trump China abschrecken, das seit dem Abbruch der Beziehungen zu Taiwan 2017 seinen wirtschaftlichen Einfluss in Panama ausgeweitet hat. Bei seinem Panama-Besuch im Februar erklärte Außenminister Marco Rubio gegenüber Mulino, dass Chinas Einfluss auf den Kanal gegen ein Abkommen zwischen den USA und Panama verstoßen könnte. Nach dem Gespräch mit Rubio kündigte Mulino an, Panama werde aus Chinas Initiative Neue Seidenstraße austreten – was Peking als das Resultat US-amerikanischer „Nötigung“ bezeichnete. Panama unterzog außerdem zwei von China kontrollierte Häfen an der Wasserstraße einer Überprüfung, nachdem Trump dem chinesischen Staat Einmischung in den Kanalbetrieb vorgeworfen hatte.Trumps Sorge über den wachsenden Einfluss Chinas in Panama, der auch die Biden-Regierung in Alarmbereitschaft versetzt hatte, ist keineswegs abwegig. Unklar ist jedoch, welche Gegenleistungen Panama für seine Zugeständnisse erhalten wird. Genau das sorgt für noch mehr Unmut in Teilen der panamaischen Bevölkerung, die ohnehin schon wütend auf ihre Regierung und die politische Klasse des Landes ist.Trumps Sorge über den wachsenden Einfluss Chinas in Panama, der auch die Biden-Regierung in Alarmbereitschaft versetzt hatte, ist keineswegs abwegig.Trumps neueste Forderung, die Mulino vorerst zurückgewiesen hat, ist die kostenlose Durchfahrt für US-Handelsschiffe. Der Panamakanal gilt als Symbol des Nationalstolzes und erwirtschaftet etwa sieben bis zehn Prozent des jährlichen Staatshaushalts. Landesweit demonstrieren Studierende, Gewerkschaften, Umweltschützer und indigene Aktivisten gegen die Politik ihrer Regierung, weil sie – zu Recht oder zu Unrecht – der Meinung sind, Mulino gebe Trumps Druck nach, statt Panamas Souveränität zu verteidigen.Möglicherweise ist es gar nicht Trumps Absicht oder er ist sich dessen nicht bewusst, aber indem er Mulino zu immer neuen Zugeständnissen drängt, schwächt er einen Verbündeten und setzt die Zukunft des Landes aufs Spiel. Ein politisch, wirtschaftlich und sozial instabiles Panama wäre für die Vereinigten Staaten ein Grund zur Sorge. Wenn dadurch der Panamakanal in Gefahr gebracht würde, könnte dies katastrophale Folgen haben.Als Autor und Forscher, der an verschiedenen Orten in ganz Lateinamerika gelebt hat, hatte ich Panama nie auf meiner Liste der Länder, in denen es zu Unruhen kommen könnte. Von 1970 bis 2019 belegte Panama, im Ranking der – gemessen am Pro-Kopf-Einkommen – am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften, Rang 16. In diesem Zeitraum ging die Armut im Land deutlich zurück. In den vergangenen zehn Jahren wuchs die Wirtschaft Lateinamerikas jährlich im Durchschnitt lediglich um schwache 0,9 Prozent, während das durchschnittliche reale Bruttoinlandsprodukt Panamas in etwa demselben Zeitraum um mehr als das Vierfache dieses Werts stieg. Diese Entwicklung ist auf einen Boom in den Bereichen Finanzen, Bauwesen und private Investitionen sowie auf Panamas professionelle Kanalverwaltung zurückzuführen. Der Kanal wurde nach der Übergabe durch die Vereinigten Staaten 1999 modernisiert, erweitert und politisch unabhängig verwaltet. Davon profitierten vor allem panamaische und US-amerikanische Unternehmen, insbesondere US-Energieexporteure. Sie nutzten die verdoppelte Kapazität der Wasserstraße und transportierten mehr Flüssigerdgas nach Asien.In Panama selbst wurden die Erträge dieses Wirtschaftswachstums jedoch äußerst ungleich verteilt. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt, gab die Regierung in den 2000er und 2010er Jahren systematisch weniger für öffentliche Bildung aus als der lateinamerikanische Durchschnitt. Nach Daten von 2022 schnitten Schülerinnen und Schüler in standardisierten Tests schlechter ab als viele ihrer Altersgenossen in der Region. Laut einer Volkszählung von 2023 hatte zudem ein Viertel der Haushalte während der Trockenzeit in Panama immer noch keinen durchgehenden Zugang zu Trinkwasser. Im selben Jahr 2023 verfügte das einkommensstärkste Fünftel der Bevölkerung Panamas über die Hälfte des Einkommens im Land, wohingegen das einkommensschwächste Fünftel nur auf 3,5 Prozent kam. In Lateinamerika gehört Panama zu den Ländern mit der größten Unzufriedenheit hinsichtlich der Demokratie, der politischen Parteien sowie der öffentlichen Dienstleistungen.Diese Unzufriedenheit entlud sich im Oktober 2023. Wegen eines Kupferabbauvertrags blockierten Gewerkschaften, Lehrkräfte an öffentlichen Schulen und Demonstrierende 25 Tage lang wichtige Straßen. Es handelte sich um die größte Massenmobilisierung seit Jahrzehnten. Sie richtete sich gegen die Regierung, die in der allgemeinen Kritik steht, undurchsichtige private und ausländische Interessen über die der einfachen Bevölkerung zu stellen. Bei den Protesten kamen mindestens vier Menschen ums Leben. Die Demonstrationen kosteten Panama umgerechnet 2,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Vorjahres.Mit einer zurückhaltenderen diplomatischen Gangart ließen sich die Interessen der USA jedoch deutlich wirksamer und mit geringerem Risiko voranbringen.Nun droht der Unmut der Bevölkerung erneut überzukochen – diesmal nicht nur wegen innerstaatlicher Missstände wie Korruption und Ungleichheit, sondern auch weil in der Bevölkerung der Eindruck entsteht, für Mulino sei es wichtiger, Trump zu beschwichtigen, als die Interessen Panamas zu vertreten. Im Januar waren noch 51 Prozent der panamaischen Bevölkerung der Meinung, dass die Regierung Mulino gute Arbeit leiste. Im März waren es nur noch 26 Prozent. Während meines Aufenthalts in Panama vor einigen Wochen war diese Unzufriedenheit deutlich zu spüren. „Es braucht nur eine eklatante Ungerechtigkeit, dann könnten die Proteste wie schon 2023 wieder aufflammen“, erklärt der Rechtsanwalt und Wissenschaftler Alonso Illueca.Im März verabschiedete Mulino ein umstrittenes Gesetz zur Erhöhung der Arbeitnehmerbeiträge für die finanziell angeschlagene staatliche Rentenversicherung. Am 23. April traten mehrere Lehrergewerkschaften öffentlicher Schulen und eine große Bauarbeitergewerkschaft in den Streik. Sie protestierten gegen Änderungen im Rentensystem, die Pläne zur Wiedereröffnung einer umstrittenen Kupfermine und die Vereinbarung zwischen Mulino und dem US-Verteidigungsminister Pete Hegseth. Letztere erlaubt es US-Militärangehörigen, sich rotierend auf Stützpunkten am Panamakanal zu stationieren.Zwei frühere Rivalen – und heute Präsidentschaftskandidaten – traten zusammen mit führenden Vertretern der Zivilgesellschaft vor die Presse und verurteilten das Abkommen mit den Vereinigten Staaten. Als Mulino im Mai dann noch behauptete, die größte öffentliche Universität des Landes sei eine Terroristenhochburg, gingen in Panama Tausende Menschen, angeführt von Studierenden, auf die Straße – es war wohl die bislang größte Demonstration dieser Protestwelle.Nun steht Mulino unter dem Druck der Privatwirtschaft, die Straßen zu kontrollieren und die Straßensperren der Demonstrierenden zu räumen, die die Provinz Bocas del Toro lahmlegen. Mulino verspricht: „Egal, was es kostet – dieses Land lässt sich nicht stilllegen.“ Sollten die Proteste jedoch eskalieren und die Regierung weiterhin Schwäche zeigen, wird es für Mulino immer schwerer werden, die Bedenken der USA gegenüber China oder die Problematik der Wasserversorgung des Panamakanals auszuräumen. Dessen Anfälligkeit für den Klimawandel und für Dürren hat bereits zu einem Rückgang des Kanalverkehrs und zu höheren Kosten für US-Exporteure geführt.Sollten Trump und seine Regierung weiterhin unnachgiebig und lautstark auf neue Zugeständnisse drängen, wird es wohl auf eine geschwächte Regierung Mulino hinauslaufen. Letzte Woche besuchte der US-Botschafter in Panama den Kanal und postete auf X, er werde sich für die freie Durchfahrt von Regierungsschiffen der USA einsetzen. Mit einer zurückhaltenderen diplomatischen Gangart ließen sich die Interessen der USA jedoch deutlich wirksamer und mit geringerem Risiko voranbringen. Donald Trump hat leider bereits die Erfahrung gemacht, dass Maximaldrohungen wie „Wir holen uns den Kanal zurück“, die sich gegen ein kleines Land wie Panama statt gegen Kanada oder Dänemark richten, tatsächlich Wirkung zeigen können, auch wenn das Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber der panamaischen Regierung mit jeder Forderung wächst.Sollte Trump die vollständige Kontrolle über den Kanal wiedererlangen und eine neue Ära der territorialen Expansion der USA einläuten wollen, käme ihm eine destabilisierte Regierung Panamas zwar zugute. Ein entschlossenes Vorgehen mit dem Ziel, den Kanal zurückzugewinnen – etwa durch Zölle, Sanktionen oder andere Druckmittel, mit denen die Regierung zur Abtretung des Kanals bewegt werden soll –, würde das Land jedoch in Aufruhr versetzen – mit womöglich fatalen Folgen für Panama, die Vereinigten Staaten und den Rest der Welt.Dieser Artikel erschien zuerst in der New York Times.Aus dem Englischen von Christine HardungWeiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal
Quelle: IPG Journal