Land in Sicht
Die Pazifikinsel Bougainville steht vor einem historischen Schritt: Die Unabhängigkeit von Papua-Neuguinea rückt näher. Im Referendum von 2019 stimmten fast 98 Prozent der Bevölkerung für die Loslösung. Zwei Jahre später verständigten sich die Regierungen beider Seiten auf einen Fahrplan bis 2027 – doch das Parlament Papua-Neuguineas muss die Vereinbarung noch ratifizieren.Im Juni fanden nun Gespräche von Vertretern der Länder im Burnham Military Camp nahe Christchurch in Neuseeland statt – einem Ort von besonderer Symbolkraft. Bereits 1997 wurden dort die entscheidenden Weichen zur Beendigung des blutigen Bürgerkrieges gestellt, der zwischen 1988 und 1998 schätzungsweise bis zu 20 000 Menschenleben forderte. Damals ging es – wie heute – um Unabhängigkeit, und um den Widerstand gegen die Ausbeutung der rohstoffreichen Insel durch internationale Bergbaukonzerne.Der Schlüssel zu Bougainvilles wirtschaftlicher Eigenständigkeit könnte im Boden der Insel liegen – in der seit 1989 stillgelegten Panguna-Mine. Die früher vom britisch-australischen Bergbauunternehmen Rio Tinto betriebene Kupfer- und Goldmine, einst Auslöser des Bürgerkrieges, gilt als potenzieller Türöffner für die Unabhängigkeit. Die politische Führung Bougainvilles sieht die Wiedereröffnung der Mine als „Schlüssel zur Finanzierung der Unabhängigkeit“, schreibt die Bougainville-Expertin Anna-Karina Hermkens von der Macquarie University. Die autonome Regierung habe bereits eine eigene Goldraffinerie gebaut und hoffe, einen Staatsfonds zur Unterstützung der Unabhängigkeit zu schaffen.Branchenexperten schätzen, dass noch 5,3 Millionen Tonnen Kupfer und 547 Tonnen Gold an dem Standort lagern. Doch die Mine bleibt höchst umstritten – wegen früherer Umweltschäden, Landenteignungen und sozialer Spaltung. Ohne politische Einigung könnten alte Konfliktlinien wieder aufbrechen. Sollte Papua-Neuguineas Parlament das Abkommen nicht ratifizieren, drohen neue Spannungen.Bougainville liegt in jenem Raum, den Australien als seinen inneren Sicherheitsbogen definiert.Während die Menschen auf Bougainville auf Selbstbestimmung hoffen, rückt die Insel auch ins Visier geopolitischer Strategen in Canberra, Washington und Peking. Ein neuer Staat im Pazifik wäre nicht nur Ausdruck postkolonialer Emanzipation, sondern könnte das Machtgefüge in einer strategisch sensiblen Region verschieben. Bougainville liegt in jenem Raum, den Australien als seinen inneren Sicherheitsbogen definiert – nur etwa 1 500 Kilometer nordöstlich des australischen Festlands. Die Inselgruppe blickt auf eine bewegte Kolonialgeschichte zurück: Einst deutsches Schutzgebiet, fiel sie im Ersten Weltkrieg an Australien, wurde im Zweiten Weltkrieg von Japan besetzt und stand danach erneut unter australischer Verwaltung – bis Papua-Neuguinea 1975 die Unabhängigkeit erlangte.Doch die koloniale Vergangenheit wirkt bis heute nach. Australien, das während des Bürgerkrieges der 1990er Jahre die Regierung in Papua-Neuguinea unterstützte und später maßgeblich am Friedensprozess beteiligt war, wird von vielen Bewohnern Bougainvilles bis heute als Akteur wahrgenommen, der ihre Unabhängigkeitsbestrebungen eher bremst als fördert.Gleichzeitig nimmt Chinas Einfluss in der Region zu. Laut der Pazifik-Expertin Anna Powles intensiviert Peking seine Bemühungen, Kontakte zur politischen Elite Bougainvilles auszubauen. Handelsminister Patrick Nisira sieht in einer chinesischen Infrastrukturinvestition bereits eine ideale Ergänzung zu den Staatlichkeitsbestrebungen der Insel. Medienberichten zufolge hat Bougainville aber auch den USA den Bau einer Militärbasis im Gegenzug für Unterstützung bei der Wiedereröffnung der Panguna-Mine angeboten. Damit droht die Insel zwischen die Fronten des sich intensivierenden Machtkampfs zwischen China und den USA zu geraten.Während westliche Partner zögern und auf politische Stabilität warten, bietet China längst umfassende Lösungen.Bougainville steht vor enormen wirtschaftlichen Herausforderungen. Korruption und mangelhafte Regierungsführung belasten das junge Gemeinwesen. Die Regierung ist mit den komplexen Aufgaben überfordert und auf ausländische Investoren angewiesen. Genau hier beginnt das geopolitische Risiko: Während westliche Partner zögern und auf politische Stabilität warten, bietet China längst umfassende Lösungen – von Krediten für Infrastrukturprojekte bis hin zu diplomatischer Unterstützung, die für viele Pazifikstaaten attraktiv erscheint.Chinesische Investoren haben bereits Angebote unterbreitet, die an langfristige Bergbaueinnahmen und Bougainvilles Unabhängigkeit gekoppelt sind. Hinter dem vermeintlichen Aufbauprogramm verbirgt sich ein bekanntes Muster: Investitionen schaffen Infrastruktur – und politischen Einfluss. Für ein Land ohne funktionierendes Finanzsystem und mit einer zerstörten Mine als wirtschaftlicher Hypothek könnten Pekings Offerten bald alternativlos wirken.Peking verfolgt dabei eine Strategie der geduldigen Einflussnahme. Der jüngste Pakt mit den Cookinseln zeigt das Muster: vier Millionen US-Dollar Soforthilfe, Infrastrukturprojekte und engere Wirtschaftsbeziehungen – ohne sicherheitspolitische Bedingungen. Ähnlich verläuft die Annäherung in Kiribati, auf den Salomonen und in Tonga. Infrastrukturinvestitionen schaffen politische Nähe, die in manchen Fällen, wie auf den Salomonen, bereits zu Sicherheitsabkommen geführt hat. Dass dort künftig auch chinesische Militärbasen entstehen könnten, gilt längst als realistische Möglichkeit.Australien verfolgt diese Entwicklung mit wachsender Sorge. Ein unabhängiger Staat direkt vor der eigenen Haustür, wirtschaftlich an Peking gebunden und womöglich sicherheitspolitisch in Chinas Einflusszone, käme aus Sicht Canberras einem sicherheitspolitischen Albtraum gleich.Ein solches Szenario würde nicht nur Australiens Rolle als regionaler Stabilitätsanker untergraben, sondern auch den Einfluss westlicher Demokratien im Südpazifik weiter aushöhlen. Canberra hat zwar mit neuen Sicherheitsabkommen, Entwicklungshilfen und Partnerschaften, etwa in Papua-Neuguinea und Tuvalu, gegengesteuert. Doch nach Jahren der Vernachlässigung erscheinen viele dieser Maßnahmen eher defensiv.Bougainville droht, vom politischen Akteur zum Spielball globaler Interessen zu werden, abhängig von der jeweils großzügigeren Macht.Auch die USA, deren pazifische Präsenz traditionell militärisch geprägt ist, beobachten die Entwicklungen mit wachsender Nervosität. Zwar haben sie ihr Engagement verstärkt, unter anderem mit Sicherheitsabkommen in Papua-Neuguinea und der Initiative Partners in the Blue Pacific gemeinsam mit Australien, Neuseeland, Großbritannien und Japan. Doch das Zeitfenster, in dem Bougainville internationale Allianzen aufbaut, könnte sich schnell schließen. In jungen Staaten entstehen oft Strukturen, die Jahrzehnte halten. Wer sich jetzt als Partner anbietet, kann den politischen Kurs auf lange Sicht prägen.Bougainville steht vor einem Dilemma: Der Aufbau eines eigenen Staates erfordert Kapital, Fachwissen und funktionierende Institutionen. Ohne massive Auslandshilfe ist dies kaum zu stemmen. Doch genau darin liegt die Gefahr, wie andere Länder in die chinesische „Schuldenfalle“ zu geraten: Kredite zu günstigen Konditionen, die langfristig politisches Wohlverhalten sichern sollen. Bougainville droht, vom politischen Akteur zum Spielball globaler Interessen zu werden, abhängig von der jeweils großzügigeren Macht.Gleichzeitig wäre es zu kurz gegriffen, Bougainville lediglich als Opfer geopolitischer Einflussnahme zu betrachten. Die Inselgruppe verfügt mit der Panguna-Mine über eine der größten unerschlossenen Kupfer- und Goldlagerstätten der Welt. Gelingt eine ökologisch und wirtschaftlich verantwortungsvolle Nutzung, könnte Bougainville mittelfristig auf eigenen Füßen stehen. Doch auch hier gilt: Wer über Ressourcen verfügt, sitzt nicht automatisch mit am Tisch – oft entscheidet erst der Zugang zu diesen Rohstoffen darüber, wer die Regeln bestimmt. Und es ist kaum wahrscheinlich, dass China als weltweit größter Rohstoffimporteur sich diese Chance entgehen lässt.Am Ende geht es nicht nur um Bougainville. Die kleine Insel wird zum Symbol einer weitaus größeren tektonischen Verschiebung. Der Indopazifik ist längst zum Hauptschauplatz globaler Machtkonkurrenz geworden – zwischen einer autoritären Großmacht mit wirtschaftlichem Druckmittel und dem Westen, der zwischen seinen Werten und wirtschaftlicher Zurückhaltung laviert. Wer künftig in Bougainville investiert, entscheidet mit darüber, wie viel echte Souveränität die Insel in Zukunft haben wird.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal
Quelle: IPG Journal