Maskulin, autoritär, erfolgreich?
Wir leben im Zeitalter der Konflikte und Kriege – das hat zu massiven Unsicherheiten und Sorgen in weiten Teilen der Gesellschaft geführt. Gleichzeitig werden klassische Männerbilder medial gefeiert. Der Meta-Chef Mark Zuckerberg ruft nach mehr „männlicher Energie“ in der Arbeitswelt, Elon Musk stilisiert Bro Culture zur Innovationsstrategie. Und in den USA gilt der Podcast-Gigant Joe Rogan als möglicher Königsmacher für Donald Trump – nicht trotz, sondern wegen seiner betont maskulinen Attitüde. Diese Rückkehr des „starken Mannes“ ist Ausdruck eines politischen Klimas, in dem autoritäre und antifeministische Erzählungen an Boden gewinnen. Und zwar nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und in Deutschland.Das sollten wir ernst nehmen und uns selbstkritisch fragen: Was haben die Progressiven in den letzten Jahren getan, dass sich so viele Männer von ihnen abgewandt haben? Scheinbar fühlen sich viele Männer vom Feminismus nicht angesprochen, teilweise entsteht daraus sogar eine massive Gegenreaktion. Doch echte Gleichberechtigung führt nur über die Einbindung der Männer. Wie könnte also ein Konzept von Männlichkeit aussehen, das in Einklang steht mit weiblicher Emanzipation, Gerechtigkeit und Fortschritt?Während feministische Positionen ihren Platz in der Popkultur gefunden haben, mobilisieren reaktionäre Kräfte erfolgreich gegen diesen Fortschritt.Während feministische Positionen in den vergangenen zwei Jahrzehnten zunehmend Eingang in Mainstream-Diskurse und ihren Platz in der Popkultur gefunden haben, mobilisieren konservative und reaktionäre Kräfte erfolgreich gegen diesen Fortschritt. In sozialen Netzwerken kursieren unzählige Clips, die suggerieren, was einen „echten Mann“ ausmache: Dominanz, Durchsetzungskraft, körperliche Stärke, Kontrolle über Emotionen. Diese Inszenierungen stehen nicht nur im Widerspruch zu feministischen Vorstellungen von Gleichberechtigung, sie wirken auch als Rückzugsraum für verunsicherte Männlichkeitsidentitäten. Der sogenannte Maskulismus präsentiert sich dabei als politische Bewegung, die vorgibt, sich für Männerrechte einzusetzen. Tatsächlich jedoch bedient er sich eines antiemanzipatorischen Vokabulars, das bestehende Privilegien sichern und feministische Errungenschaften zurückdrehen will. Nicht zufällig überschneiden sich maskulistische Positionen häufig mit nationalistischen, autoritären und demokratiefeindlichen Diskursen.Antifeminismus hat sich in diesem Zusammenhang zu einem hochwirksamen politischen Instrument entwickelt. Er bietet einfache Antworten auf komplexe gesellschaftliche Fragen und kanalisiert individuelle Frustrationen in kollektive Ressentiments. Gerade junge Männer fühlen sich davon angesprochen – nicht selten, weil ihnen keine alternativen Rollenmodelle zur Verfügung stehen. Warum also gelingt es progressiven Kräften so schlecht, auf diese Entwicklung zu reagieren? Ein Teil der Antwort liegt in der Diskrepanz zwischen Anspruch und gesellschaftlicher Realität: Während die öffentliche Debatte fortschrittlicher erscheint denn je, fühlen sich viele Menschen – Männer wie Frauen – überfordert von den Zumutungen des Alltags. Geschlechtergerechtigkeit ist längst nicht flächendeckend verwirklicht, sondern bleibt ein Projekt, das sich immer wieder neu behaupten muss.Der Wandel männlicher Rollenanforderungen stellt viele vor große Herausforderungen. Von modernen Männern wird verlangt, im Beruf leistungsstark, im Familienleben präsent, als Partner empathisch, als Vater fürsorglich und als Freund humorvoll und verlässlich zu sein. Dieses Spektrum an Erwartungen ist kaum zu erfüllen – vor allem dann nicht, wenn es keine verlässlichen gesellschaftlichen Leitbilder gibt, die Orientierung bieten. Natürlich lässt sich zu Recht einwenden, dass Frauen seit jeher mit widersprüchlichen Anforderungen konfrontiert sind: von der liebevollen Mutter bis zur durchsetzungsfähigen Karrierefrau. Doch im Unterschied zu Männern konnten sie sich in den letzten Jahrzehnten auf eine wachsende feministische Infrastruktur stützen, die neue Rollenbilder aktiv gefördert hat. Vergleichbares fehlt auf männlicher Seite weitgehend. Dabei ist die Bereitschaft zur Veränderung durchaus vorhanden. Viele Männer wünschen sich, sensibler, zugänglicher, partnerschaftlicher zu agieren – doch es fehlen Räume, in denen diese Lernprozesse angstfrei stattfinden können. Kritik an überkommenen Verhaltensmustern ist notwendig, aber sie sollte mit Ermutigung verbunden sein. Wer nur mit moralischem Zeigefinger reagiert, erzeugt eher Rückzug als Entwicklung. Eine progressive Gesellschaft braucht einen offenen Dialog über Männlichkeit: mit klaren Maßstäben, aber ohne Pauschalverurteilungen.Es gab in den letzten Jahren viele Debatten darüber, welche Rolle Männer im Feminismus einnehmen können – oder sollten. Klar scheint: Eine gleichberechtigte Gesellschaft lässt sich nur dann erreichen, wenn auch Männer feministische Ziele anerkennen, unterstützen und in ihrem eigenen Verhalten ernsthaft verankern. Doch diese Einsicht ist keineswegs unumstritten. Immer wieder äußern Feministinnen Zweifel daran, ob männliche Stimmen überhaupt Platz haben sollten in einem Diskurs, der historisch auf die Überwindung patriarchaler Machtverhältnisse ausgerichtet ist.Die wenigen Versuche, progressive Männlichkeitskonzepte zu etablieren, sind bislang kaum in der Breite der Gesellschaft angekommen.Besonders kritisch wird dabei jene Form der profeministischen Selbstinszenierung betrachtet, bei der Männer sich öffentlichkeitswirksam auf die Seite des Feminismus schlagen, ohne ihre eigenen Privilegien ernsthaft zu reflektieren oder reale Verhaltensänderungen anzustreben. Diese Symbolpolitik verfehlt das transformative Potenzial des Feminismus, und schadet ihm mitunter sogar. Zugleich sind viele Männer im Umgang mit feministischer Kritik spürbar überfordert. Begriffe wie „toxische Männlichkeit“ rufen häufig Abwehrreaktionen hervor: Statt sich auf eine kritische Auseinandersetzung einzulassen, fühlen sich viele persönlich angegriffen oder ziehen sich zurück. Hier liegt ein zentrales Problem: Die feministische Bewegung hat im Laufe der Jahrzehnte vielfältige, positive Identitätsangebote für Frauen entwickelt. Für Männer aber fehlen vergleichbare Modelle, die ihnen eine neue Rolle jenseits der alten Dominanzstrukturen eröffnen. Die wenigen Versuche, progressive Männlichkeitskonzepte zu etablieren, sind bislang kaum in der Breite der Gesellschaft angekommen.Ein zentrales Feld, auf dem sich progressive Männlichkeit konkret zeigen kann, ist die Sorgearbeit. Zwar steigt die Zahl der Väter, die Elternzeit nehmen – doch im Schnitt sind es weiterhin die Mütter, die deutlich länger zuhause bleiben und einen Großteil der Sorgearbeit leisten. Diese strukturelle Schieflage trägt nicht nur zur ökonomischen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern bei, sondern verfestigt auch alte Rollenmuster. Politisch wird daher über neue Anreizsysteme diskutiert: etwa über verlängerte Partnermonate beim Elterngeld oder steuerliche Vorteile für gleichmäßige Aufteilung von Familienaufgaben. Doch Sorgearbeit endet nicht im familiären Rahmen. In einer alternden Gesellschaft steigt der Bedarf an Pflege- und Betreuungskräften rapide. Auch in sozialen Berufen wie Erziehung, Bildung, Gesundheit und psychosozialer Beratung fehlen Arbeitskräfte – und zwar insbesondere männliche.Hier setzt das Konzept der Caring Masculinities an: eine Männlichkeit, die sich durch Fürsorge, emotionale Intelligenz und soziale Verantwortung definiert. Männer, die sich für Care-Berufe entscheiden, leisten nicht nur einen Beitrag zur Lösung des Fachkräftemangels, sondern wirken zugleich als Vorbilder für eine neue Geschlechterordnung. Studien zeigen: Menschen, die in gelingende Beziehungen investieren, sind gesünder, glücklicher und leben länger. Auch Männer profitieren also davon, wenn sie sich von starren Männlichkeitsnormen lösen. Doch damit das gelingt, muss Care-Arbeit gesellschaftlich und ökonomisch aufgewertet werden. Sie darf nicht länger als weibliche Nebenaufgabe gelten, sondern muss als zentrale Ressource einer funktionierenden Demokratie anerkannt werden.Mittelfristig ist die Gleichstellung der Geschlechter kein Nullsummenspiel. Männer verlieren nichts, wenn Frauen gleiche Rechte erhalten. Im Gegenteil: In einer gleichberechtigten Gesellschaft leben alle freier, sicherer und erfüllter. Doch das setzt voraus, dass auch Männer ihren Teil der Verantwortung übernehmen: in der Familie, in der Arbeitswelt, in der Politik – und nicht zuletzt in der eigenen Haltung. Die aktuelle Lage ist widersprüchlich: Während reaktionäre Kräfte Zulauf erhalten, gelingt es progressiven Akteuren zu selten, neue gesellschaftliche Mehrheiten zu organisieren. Die eigene Sprachwelt bleibt oft im Milieu verhaftet. Um das zu ändern, braucht es nicht nur politische Strategien, sondern auch kulturelle Brücken. Männer müssen als Akteure angesprochen werden – nicht als Problem, sondern als Teil der Lösung.Die Suche nach einer emanzipierten Männlichkeit ist kein abgeschlossener Prozess. Sie bleibt offen, konfliktbehaftet und dynamisch. Aber sie ist notwendig – nicht nur im Interesse der Geschlechtergerechtigkeit, sondern auch als Antwort auf die autoritären Herausforderungen unserer Zeit. Der Feminismus, der längst intersektional, vielfältig und demokratisch aufgestellt ist, bietet dabei Orientierung. Männer sollten sich ihm nicht nur anschließen – sie sollten ihn mittragen.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal
Quelle: IPG Journal