Mehr Bock auf Arbeit?

15.07.25 10:45 Uhr

Während in vielen europäischen Ländern Arbeitszeitverkürzung als Zukunftsprojekt gilt, wirkt Deutschland wie aus der Zeit gefallen. Die spanische Regierung plant ein „Recht auf Abschalten“ und eine generelle Senkung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 37,5 Stunden. Im Öffentlichen Dienst und in den großen Konzernen ist diese jetzt schon üblich. In Schweden hat der größte Gewerkschaftsdachverband LO sich das Ziel gesetzt, eine generelle Verkürzung der regulären Arbeitszeit von derzeit gesetzlich 40 Wochenstunden zu erreichen und hat dies zur zentralen Forderung in der anstehenden Tarifrunde gemacht. In Frankreich arbeiten Beschäftigte bereits seit dem Jahr 2000 – wenn auch mit einem gewissen Maß an Flexibilität – nur 35 Stunden pro Woche. Und die Dänen? Sie arbeiten seit den 1990er Jahren ebenfalls im Normalfall nur 37 Stunden die Woche, verteilt auf meist fünf Tage mit rund 7,5 Stunden pro Tag – mehrheitlich inklusive Pausen, die hier tariflich geregelt als Arbeitszeit gewertet werden.Ganz anders stellt sich die Situation in Deutschland dar. Auf uns rollt – wieder einmal – eine Diskussion zum Thema Arbeitszeit zu. Wurde auch hier zulande vor zwei Jahren noch heftig über das Thema einer Vier-Tage-Woche bzw. Arbeitszeitverkürzung gestritten, so weht der Wind heute aus einer ganz anderen Richtung. Nachdem Arbeitgeberverbände und die Union schon seit vielen Jahren klagen, in Deutschland werde nicht mehr genug, nicht flexibel genug, gearbeitet, findet sich dieser Geist nun auch im vorliegenden Koalitionsvertrag.Der Elektroinstallateur kann seine Arbeit jedoch nicht nach der Gute-Nacht-Geschichte der Kinder fortsetzen, ebenso wenig die Verkäuferin oder die Paketbotin.Deutschland solle, so ist da zu lesen, von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit umstellen. Das erhöhe die Flexibilität und verbessere, man höre und staune, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Was in bestimmten Konstellationen sicher manchmal richtig und bisher auf freiwilliger Basis geschieht, soll damit zur Regel erhoben werden. Allerdings auf freiwilliger Basis, und eben nicht angeordnet. So mag es sein, dass all jene, deren Job sich vor allem am Laptop abspielt, nach getaner Familienpflicht noch ein paar E-Mails rausschicken, das digitale Meeting mit den Projektpartnern in Australien halten oder Forschungsliteratur lesen können. Der Elektroinstallateur kann seine Arbeit jedoch nicht nach der Gute-Nacht-Geschichte der Kinder fortsetzen, ebenso wenig die Verkäuferin oder die Paketbotin. Für sie bedeutet die Auflösung des Acht-Stunden-Tags als Regel, die jetzt gefordert wird, de facto längeres Arbeiten am Stück: die Kinder noch später sehen, kein gemeinsames Abendessen und ein Abschieben von nicht bezahlter Sorgearbeit an Partner bzw. Partnerin, sofern vorhanden oder in ohnehin personell unterbesetzte öffentliche Strukturen.Auch gilt für alle Beschäftigten: überlange Arbeitszeiten, verkürzte Pausen und Ruhezeiten, wenig Spielraum, die Lage der Arbeitszeit zu beeinflussen, wirken sich negativ auf die Gesundheit der Beschäftigten aus. Das dürfte sich mittlerweile auch bis tief in die Kreise derjenigen herumgesprochen haben, die nach (noch) mehr Flexibilität und „mehr Bock auf Arbeit“, so BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter, rufen. Es sind Appelle, die an der Lebensrealität vieler Menschen vorbeigehen.Der immer wieder geäußerte Vorwurf, viele sähen Arbeit mittlerweile als „unangenehme Unterbrechung von Freizeit“ (Friedrich Merz) und arbeiteten einfach nicht genug, ist daher ebenso falsch. Richtig ist vielmehr, dass so viele Menschen in Deutschland wie nie zuvor überhaupt Erwerbsarbeit nachgehen. Insbesondere bei der Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt sind große Fortschritte erzielt worden. Und auch die Gesamtzahl der geleisteten Arbeitsstunden liegt auf Rekordniveau.Dass nicht alle das in der herkömmlich genormten Vollzeit tun, die sich ja durchaus von Unternehmen zu Unternehmen und von Tarifvertrag zu Tarifvertrag unterscheiden kann, ist dabei nachvollziehbar. Neben der Erwerbsarbeit gibt es eben auch noch andere Dinge, um die man sich kümmern muss und manchmal auch einfach nur möchte. Das ist das Recht eines jeden Beschäftigten, der eben auch Mensch ist. Schließlich ist nicht jeder Beruf, das vergisst sich so leicht, wenn es einem anders geht, auch Berufung.Aber in Griechenland, das die europäische Rangliste in Sachen Wochenarbeitszeit anführt, da wird noch richtig rangeklotzt - mag jetzt der ein oder andere einwenden. Gerade an diesem Beispiel zeigt sich, dass es sinnvoller ist, den Blick auf die Arbeitsproduktivität zu lenken. Dabei gilt Dänemark mit seinen 37 Stunden pro Woche als einer der europäischen Champions. Auch die Niederlande, wo pro Arbeitnehmer so wenig Stunden wir nirgends sonst in der EU gearbeitet werden, haben die Nase in Sachen Arbeitsproduktivität vorn. Es gibt also keinen kausalen und sicher keinen linearen Zusammenhang zwischen der Anzahl der gearbeiteten Stunden und der Produktivität oder auch dem Wohlstand eines Landes.Der Sound, der beim Thema Arbeitszeit durch die politische deutsche Öffentlichkeit tönt, ist insofern ein wenig aus der Zeit gefallen. Und wenn es jetzt heißt, es gehe bei der Forderung nach einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit anstatt der täglichen ja um die Flexibilität, also „nur“ eine andere Verteilung der Arbeitszeit und nicht um ihre Ausweitung, so ist zu fragen: Wenn acht Stunden nicht ausreichen, so können auch jetzt schon phasenweise bis zu zehn gearbeitet werden, wenn diese innerhalb von sechs Monaten oder 24 Wochen ausgeglichen werden. Und wenn das für manche Arbeitgeber auch noch nicht reichen sollte an Flexibilität: Tarifverträge machen weitere Abweichungen möglich, auch jetzt schon. Dafür muss man natürlich welche abschließen und das wollen – nimmt man die seit Jahren schwindende Tarifbindung in Deutschland als Indikator – leider immer weniger Arbeitgeber.„Einfach mal machen, aber bitte richtig“: Sorgt dafür, dass die Erosion in der Tariflandschaft endlich gestoppt wird.Also „Einfach mal machen!“, wie während der letzten Koalitionsverhandlungen immer wieder zu hören war. Das möchte man den Arbeitgebern gerne sagen. Und an die Regierung gewandt: „Einfach mal machen, aber bitte richtig“: Sorgt dafür, dass die Erosion in der Tariflandschaft endlich gestoppt wird. Das ebenfalls im Koalitionsvertrag enthaltene Bundestariftreuegesetz ist da ein sinnvoller Baustein. Es darf aber nicht der einzige bleiben. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat eine ganze Liste von Punkten, die politisch aufgegriffen werden könnten, um den Trend abzubremsen und vielleicht sogar umzukehren. Ein wichtiger Schritt wäre es, Tarifverträge leichter für ganze Branchen verbindlich zu machen – auch für Unternehmen, die bislang keinen Tarifvertrag anwenden. Oder auch die gesetzliche Klarstellung, dass tarifliche Spannenklauseln zulässig sind. Damit wäre geregelt, dass eine Gewerkschaftsmitgliedschaft für Beschäftigte eben doch einen positiven Unterschied macht, zum Beispiel beim Lohn oder in Form zusätzlicher Urlaubstage. Hierfür wäre es zentral, auch unter den Arbeitgebern Allianzpartner zu identifizieren und einzubeziehen, denen an einer fairen Sozialpartnerschaft im eigenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interesse gelegen ist.Insofern ist die aktuelle, rückwärtsgewandte Arbeitszeitdebatte in Deutschland auch eine Chance: nämlich für eine breite gesellschaftliche Diskussion über den Wert von Arbeit, Produktivität und Gerechtigkeit – auch in Bezug auf die geschlechtergerechte Verteilung. Damit ist es eine durch und durch sozialdemokratische Debatte. Über Jahrzehnte war das Erfolgsmodell „Made in Germany“ ein Ergebnis stabiler Sozialpartnerschaft und breiter Tarifbindung. Und wenn es uns dann gelänge, uns wieder den skandinavischen Werten von 80 bis 90 Prozent Tarifabdeckung anzunähern – in Deutschland sind es aktuell noch knapp 50 Prozent der Beschäftigten – dann hätte sich diese Debatte, so rückwärtsgewandt sie auch erscheint, doch gelohnt.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal