„Ohne das Linksbündnis gäbe es uns nicht mehr“

19.06.25 11:20 Uhr

Die Fragen stellte Adrienne Woltersdorf.Olivier Faure, Sie sind mit sehr knappem Vorsprung bei den parteiinternen Vorwahlen am 5. Juni erneut zum Ersten Sekretär gewählt worden. Die Partei bleibt, das konnte auch der Parteitag am Wochenende nicht kitten, in zwei gleich starke Lager gespalten. Was braucht die Sozialistische Partei (PS), um die Gräben zu überwinden?Diese Spaltung ist ein Wiedergänger der Kongresse, weil es da eben um Machtfragen geht. Da werden Debatten gerne künstlich aufgebauscht. Besonders die um das Verhältnis zur radikalen Linken, der La France Insoumise (LFI). Es hat doch niemand in der PS ernsthaft vor, sich Jean-Luc Mélenchon zu unterwerfen.Die PS war mit der LFI und anderen linken Parteien mehr als ein Jahr lang im Bündnis Nupes vereint, bevor es zum Bruch kam. Im Sommer 2024 haben Sie erneut mit der LFI in der Nouveau Front Populaire (NFP), gemeinsam Front gegen die extreme Rechte gemacht. Gemeinsam haben sie im November 2024 die Regierung Michel Barniers gestürzt. Dann kam es wieder zum Bruch mit der LFI. Diese wackelige Allianz hat eine Hälfte Ihrer Partei offensichtlich nicht so überzeugt.Unsere interne Spaltung ist ein überholtes Bild. Die Partei ist viel weiter als ihre Kongresse.Aber die beiden Lager kämpfen vehement um ihre unterschiedlichen Vorstellungen. Geht es dabei wirklich nur um die Frage der Zusammenarbeit mit der LFI?Es gibt diejenigen, die eine verträumte Vorstellung von dem haben, was wir heute sind. Und es gibt die, die klarsichtig sind. Die einen meinen, dass die PS nach wie vor eine hegemoniale Partei der Linken ist. Das ist aber seit unserer Niederlage 2017 nicht der Fall. Nach dem Wahlsieg Emmanuel Macrons in 2017 waren wir fast verschwunden, das scheinen manche schon vergessen zu haben und meinen angesichts der ersten Sonnenstrahlen, dass es schon wieder Frühling wäre.All diese zerstörerischen parteiinternen Kämpfe werden also wegen der Taktik im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen 2027 ausgefochten?Wenn die französische Linke bei den nächsten Präsidentschaftswahlen gespalten antritt, wenn es also wieder vier oder fünf linke Kandidaten gibt, kommt die Linke niemals in die entscheidende zweite Runde. Wir würden dann zum dritten Mal in Folge schon beim ersten Wahlgang aus dem Rennen geschlagen werden.Von außen betrachtet hat sich die PS in den letzten Jahren inhaltlich deutlich linker positioniert und hat bei Wahlkämpfen in erster Linie Angebote für linke Wähler gemacht. Das hat ja funktioniert, die Partei hat sich erholt und liegt jetzt wieder bei zwölf Prozent. Aber Mélenchon ist absolut nicht bereit, die Führungsrolle unter den Linken zu teilen oder abzugeben. Außerdem vertritt er inakzeptable Positionen, die das linke Bündnis immer wieder scheitern lassen. Warum also schauen Sie nach links?Es ist doch umgekehrt. Wenn wir nicht das Bündnis geschlossen hätten, würde es die PS heute nicht mehr geben. Schauen wir uns doch einfach die Zahlen an. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen führte die PS-Kandidatin Anne Hidalgo ihren Wahlkampf mit klar anti-linksradikalen Botschaften und erhielt 1,7 Prozent. Jean-Luc Mélenchon machte einen radikal linken Wahlkampf und erhielt 22 Prozent.Es macht also keinen Sinn, sein Leben mit dem Kampf Links gegen Links zu verbringen.Es macht also keinen Sinn, sein Leben mit dem Kampf Links gegen Links zu verbringen. Der einzige Weg für uns, den Raum zurückzugewinnen, besteht darin, alle linken und ökologischen Strömungen zu umarmen. Wir müssen eine echte Alternative zur Rechten und zur extremen Rechten werden.Ihnen und der PS geht es bei der Verfolgung ihrer Machtstrategie also nicht darum, sich inhaltlichen Positionen und Denkmustern der radikalen Linken anzuschließen, sondern darum, sich von ihnen freizuschwimmen?Es gibt nichts in unseren Positionen, Programmen und Abstimmungen, was darauf hindeutet, dass wir uns jemals hinter Jean-Luc Mélenchon und sein Denken stellen wollten. Aber ohne das Bündnis mit der gesamten Linken gäbe es keine Sozialisten mehr. Keine Fraktion in der Assemblée, kein Geld, keine Medienaufmerksamkeit. Kurz gesagt: Wir wären am Ende. Das war ein existenzieller Kampf. Und alle, die immer wieder betonen, dass sie gegen Mélenchon sind, sind aus diesem Grund trotzdem mit ins Bündnis gekommen. Nicolas Mayer-Rossignol hatte selbst vehement dafür gesorgt, dass seine Anhänger gut eingebunden werden in die Vereinbarungen zur Neuen Volksfront.Warum tun Sie sich schwer mit der Zuschreibung „Sozialdemokrat“?Wir Sozialisten stehen seit langem zu unserer Agenda. Wir haben kein permanentes Godesberger Programm. Ich glaube, dass die Sozialdemokratie, wie sie bisher funktioniert hat, von einer Epoche der Geschichte profitiert hat, die geprägt war von einer stetig wachsenden Wirtschaft. Die erlaubte es, gute soziale Sicherungssysteme aufzubauen. Dank des Ost-West-Konflikts gab es ein Gleichgewicht der Kräfte. Und damals kümmerten wir uns nicht viel um den Planeten. Diese Epoche ist zu Ende. Das Problem der Sozialdemokratie besteht doch darin, dass sie, wenn sie selbst den Kanon des Liberalismus singt, nun ja, im Liberalismus aufgeht. Sie erleidet dann eben auch die gleiche Krise wie die Liberalen. Und wenn die Sozialdemokratie liberal ist, warum sollte man sie dann wählen? Wir müssen eine Alternative zum Wirtschaftsliberalismus bieten. Für mich hat das einen Namen, es heißt ökologischer Sozialismus. Der bietet uns die Chance neuer Legitimität und dass wir die Grenzen des Kapitalismus durch die ökologische Frage neu untersuchen können.Wäre es für Sie umgekehrt eine Option, künftig Mehrheiten mit den zentristischen Kräften Frankreichs zu suchen, also dem heutigen Regierungsbündnis, um Wähler der Mitte anzusprechen? Die SPD regiert nun wieder mit der CDU.Ich stelle die Frage anders. Wären diese Zentristen bereit, Zugeständnisse zu machen, die es ermöglichen, das französische Sozialmodell zu finanzieren? Vielmehr sprechen die Zentristen, sogar Premierminister François Bayrou, von Überschwemmung durch Migration. Der Innenminister Bruno Retailleau schlägt Maßnahmen vor, die allesamt aus dem Repertoire der extremen Rechten entlehnt sind. Was sollen wir mit diesen Leuten? Dieses Regierungsbündnis will 40 Milliarden Euro einsparen, indem es für Kranke, Arbeitslose und Rentner den Zugang zur Gesundheitsversorgung einschränken will. Dafür stehen wir nicht.Präsident Macron kann nicht wieder für das Präsidentenamt kandidieren. Seine Partei, davon gehen Beobachter aus, wird verwaisen oder implodieren. Damals haben sich ihm zahlreiche Sozialdemokraten angeschlossen. Wollen Sie diese Kräfte nicht zurückgewinnen?Ich stimme mit dieser Regierung bei bestimmten Fragen sogar gemeinsam ab, unter der Bedingung, dass es gegenseitige Zugeständnisse gibt. Ich spreche auch mit ihnen. Aber ich bin nicht bereit für den ideologischen Mischmasch. Das ist das ganze Laster, welches Macron seit acht Jahren organisiert. Das Ergebnis? Die radikale Linke ist gestärkt. Die extreme Rechte ist gestärkt. Der Weg der Mitte ist nicht der richtige Weg, um Populismus zu bekämpfen.Was ist der beste Weg?Der beste Weg ist, Links wieder klar von Rechts zu trennen. Mit der rechten Mitte zu reden, ist eine Option, mehr nicht. Ich bin auf der linken Seite und versuche nicht, von rechts zu kommen.Frankreichs Pendant zur AfD ist das Rassemblement National (RN). Es hat gegenwärtig rund 33 Prozent Zustimmung und hat, als größte in der Assemblée vertretene Einzelpartei, gegenwärtig die besten Chancen, 2027 das Präsidentenamt zu erlangen. Wie wollen Sie die Erfolgswelle der Rechtsextremen noch brechen?Es gibt einen schwelenden Kulturkampf, der von der Linken schon zu lange aufgegeben worden ist. Ich möchte, dass wir offen darüber streiten, was nationale Identität ist, und ein Narrativ produzieren, in dem sich Französinnen und Franzosen wiederfinden können – das aber kein Narrativ gegen andere Kulturen, andere Religionen, andere Ursprünge ist. Sondern eine Erzählung der Französischen Revolution, der Résistance, der Dekolonisierung, der Erschaffung Europas – alles Schlüsselmomente unserer Geschichte, an die wir erinnern müssen, damit dieses Land sich selbst als das erkennt, was es ist. Ein multikulturelles, multikonfessionelles Land.Die extreme Rechte hat ja nicht umsonst Vieles vom Diskurs der Linken übernommen.Und wir müssen uns wieder mehr für die soziale Frage interessieren. Die extreme Rechte hat ja nicht umsonst Vieles vom Diskurs der Linken übernommen. Die haben natürlich auch verstanden, dass es die Vernachlässigung der Arbeiterklasse ist, aus der sie ihren Treibstoff beziehen.Um die Folgen von Macrons neoliberaler Politik zu beseitigen, die viele Verlierer produziert hat, benötigen Sie Macht und Geld. Frankreich ist hochverschuldet. Das Geld ist eigentlich nicht da, die Macht nicht in Sicht. Wie kann die PS da künftig glaubwürdig sein?Die französischen Schulden kamen ja nicht von alleine. Die Hälfte davon stammt aus den großzügigen Steuergeschenken, die während der achtjährigen Amtszeit Macrons gemacht wurden. Das sind 62 Milliarden Euro an entgangenen Einnahmen für den Staat pro Jahr! Bei gleichzeitig ansehnlicher Zahl französischer Milliardäre, die ständig reicher geworden sind. Das ist es, was Wähler in die Arme der extremen Rechten treibt. Die haben in ihrer Wut das Gefühl, dass am Ende die Linke und die Rechte das Gleiche sagen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die extreme Rechte ein Monopol auf die Alternative zum Liberalismus hat.In Deutschland sucht die SPD die Lösung in der stabilen gesellschaftlichen Mitte.Ich glaube, wir müssen uns überall vor den Rechten in Acht nehmen. Heute können große Koalitionen noch funktionieren. Morgen schon könnten die Rechten eine Allianz mit der extremen Rechten eingehen. Die Geschichte lehrt uns dies. Die Versuchung ist groß, zumal die extreme Rechte heute ein attraktiveres Gesicht hat. Auch die Welt der Großindustrie erkennt in ihr Vorteile. Ich möchte aber nicht mitgerissen werden, wenn es zunehmend alternativlos erscheint, die extreme Rechte in der Regierung zu sehen. Wenn alle denken, das RN ist schlussendlich alternativlos, wird die extreme Rechte schließlich auch gewinnen.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal