Träume im Feuersturm

23.06.25 17:05 Uhr

Vor über einer Woche hat Israel den Iran mit Luftschlägen angegriffen. Damit ist der bereits hochgespannte bilaterale Konflikt endgültig in einen offenen Krieg übergegangen. Seit diesem Wochenende sind auch die USA mit der Bombardierung iranischer Atomanlagen aktiv in diesen Krieg eingestiegen. Wie dieser Konflikt in den nächsten Tagen und Wochen weitergeht, ist völlig offen. Doch was bedeutet diese Situation für die iranische Zivilgesellschaft und für den langen Kampf der Iranerinnen und Iraner für mehr Freiheit und Demokratie?Am ersten Tag nach den israelischen Angriffen, bei denen ranghohe Kommandanten der Revolutionsgarden und Atom-Wissenschaftler getötet wurden, herrschte in der Bevölkerung eine Mischung aus Genugtuung, vorsichtiger Freude und sogar Aufregung. Die Revolutionsgarden sind bei der Mehrheit verhasst. Sie sind verantwortlich für brutale Repression, willkürliche Verhaftungen, Niederschlagung von Protesten und sind darüber hinaus ein Symbol wirtschaftlicher Korruption. Viele Iraninnen und Iraner dachten, dass die Angriffe Israels wie die „Scharmützel“ im Jahr 2024 auf militärische Ziele und das Ausschalten von hochrangigen Revolutionsgardisten beschränkt bleiben, dass der Iran auch begrenzt antworten werde und die Sache in ein oder zwei Tagen erledigt sei. Bei vielen herrschte aber auch das Wunschdenken: Vielleicht wird das verhasste Regime durch die Angriffe entscheidend geschwächt und zerfällt, vielleicht wird man den Diktator so endlich los. Viele Menschen in der iranischen Diaspora haben die Erfahrung gemacht, dass ihre Eltern und Freunde sich in den ersten Tagen des Krieges noch geweigert haben, Teheran zu verlassen und in sichereren Gegenden Schutz zu suchen. „Das wird schon vorbei gehen“, sagten da noch viele.Doch der Wind drehte sich schnell. Als Israel anfing, zivile Infrastruktur zu beschießen, als immer mehr Bomben auch auf bewohnte Gebiete fielen, als die Todeszahlen täglich stiegen, als auf sozialen Medien vermehrt Bilder von getöteten Zivilisten auftauchten, als Israel mitten in der Nacht und nur mit 1-2 Stunden Vorlaufzeit Evakuierungsaufforderungen für ganze Bezirke Teherans aussprach, als Bombeneinschläge und zerbrochene Glasscheiben für viele zu einer alltäglichen Erfahrung wurden, da dämmerte es vielen, dass dies ein wirklicher Krieg ist, mit echten Toten und Schäden. Der Krieg wurde von einem abstrakten Begriff zu einer realen Gefahr und Erfahrung. Viele Einwohner Teherans, die die Möglichkeit dazu hatten, haben die Stadt mittlerweile verlassen. Auch diese Fluchterfahrung gepaart mit dem Gefühl der Erniedrigung und dem Unwissen, ob es eine Rückkehr ins geliebte Zuhause geben wird, ist für die Menschen verstörend.Es ist ein doppeltes Nein: gegen den Krieg und gegen die Politik des iranischen Regimes.Dieser Stimmungswandel lässt sich sehr gut nachvollziehen. Einige wichtige Organisationen wie der Schriftstellerverband, die mächtigen Lehrer- und Busfahrer-Gewerkschaften, Rentner-Organisationen und prominente linksgerichtete weibliche politische Gefangene aus dem Evin-Gefängnis haben in ihren Statements zuerst und sehr deutlich den Angriff Israels auf Iran aufs Schärfste verurteilt und auf dessen völkerrechtliche sowie moralische Illegitimität verwiesen. Meistens werden aber im gleichen Atemzug die Repressionen des Regimes nach innen verurteilt. Einige Erklärungen betonen, dass dieser Krieg den Menschen in Iran nur schaden wird und die vielfältigen Demokratie-Bestrebungen gefährden kann. Israel wird als Auslöser des Krieges benannt und verurteilt, es folgen aber oft Ausführungen dazu, wie die islamische Republik mit ihrer aggressiven Außenpolitik in der Region sowie durch die Unterdrückung nach innen eine Mitschuld für die jetzige Situation trägt. Es ist ein doppeltes Nein: gegen den Krieg und gegen die Politik des iranischen Regimes.Besonders aufschlussreich waren die Reaktionen der beiden Friedensnobelpreisträgerinnen Narges Mohammadi, Shirin Ebadi und der Filmemacher Jafar Panahi und Mohammad Rasoulof. Sie forderten den Stopp der Urananreicherung und eine Waffenruhe, ohne darauf einzugehen, wer ihrer Meinung nach für diesen Krieg verantwortlich sei. Binnen 48 Stunden sahen sich die Unterzeichner gezwungen, ihre Positionen zu konkretisieren, sich klar gegen den Krieg zu positionieren und Israel als Aggressor zu benennen. Dies zeigt, wie stark der Druck aus ihrem jeweiligen Umfeld gewesen ist. Auch einige andere Akteure der Zivilgesellschaft, die sich in den ersten Tagen noch verhalten positiv zum israelischen Angriff geäußert haben, haben inzwischen zurückgerudert.Deutlich anders positionieren sich hingegen die im Exil aktiven Monarchisten rund um Reza Pahlavi, den Sohn des letzten Schahs. Er und seine Anhänger haben sich klar auf die Seite Israels gestellt. Der Krieg, so Pahlavi, sei eine historische Gelegenheit, das Regime zu stürzen. Er suggeriert, dass das Regime militärisch zusammengebrochen sei und ruft die Iraner öffentlich dazu auf, die Schwächung des Systems zu nutzen und das Regime zu beenden. Die Monarchisten und einige oppositionelle Medien, die ihnen nahestehen, propagieren, dass der gegenwärtige Krieg nicht zwischen Iran und Israel, sondern zwischen der Islamischen Republik und Israel verlaufen würde. Das Narrativ ist, dass die Islamische Republik angegriffen und geschwächt werden könne, ohne dem Land, seinen Menschen und der Infrastruktur großen Schaden zuzufügen. Bis heute gab es jedoch im Land selbst keine erkennbare Reaktion auf die Aufrufe von Pahlavi.Je länger sich der Krieg hinzieht, desto stärker könnte diese „patriotische“ Tendenz in der iranischen Gesellschaft werden.Je länger sich der Krieg hinzieht, desto stärker könnte diese „patriotische“ Tendenz in der iranischen Gesellschaft werden. Bis hin zu einem Rally around the flag-Effekt, der die politischen Differenzen zumindest temporär in der nationalen Solidarität aufgehen lässt. Zwar ist die iranische Gesellschaft heute von der Situation im Iran-Irak-Krieg in den 1980ern weit entfernt, als das damals noch junge revolutionäre Regime über eine viel höhere Akzeptanz verfügte. Doch es ist gut möglich, dass sich die Stimmung im weiteren Verlauf des Krieges weiter in Richtung nationale Konsolidierung bewegt. Dabei spielt es auch eine Rolle, dass zahlreiche Menschen im Iran nicht daran glauben, dass es Israel und den USA bei ihren Angriffen tatsächlich um höhere Ziele geht, also einen pro-demokratischen Regime Change im Iran. Und die Anzahl derer, die doch daran glauben, nimmt täglich ab, da auch ihnen nicht entgeht, dass längst nicht mehr nur Verantwortliche des Regimes, sondern auch Industrieanlagen beschossen werden. Erinnerungen werden wach: an den von den USA gestützten Putsch gegen die demokratisch legitimierte Regierung des linksnationalistischen Premierministers Mossadegh im Jahr 1953. Warum sollte Washington diesmal das Wohl des Landes im Blick haben? Gleichzeitig ist Israels brutales Vorgehen in Gaza allgegenwärtig. Mitsamt den Vorwürfen von Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Genozid. Die Äußerungen israelischer Offizieller wie „Teheran wird brennen“, „Teheran wird enden wie Beirut“, oder „Teherans Einwohner werden für die Angriffe auf Israel büßen“ sind genauso wenig förderlich wie Kommentatoren aus Israel, die eine Balkanisierung Irans fordern.Seit Jahrzehnten kämpfen die Menschen im Iran mit verschiedenen Mitteln gegen die Islamische Republik. Nach unzähligen, oft sehr blutigen Niederlagen und Niederschlagungen sind viele desillusioniert und haben die Hoffnung aufgegeben, alleine gegen den Repressionsapparat des Regimes bestehen zu können. Es gibt in der iranischen Gesellschaft immer Stimmen, die deshalb die Hoffnung hegen, mit Hilfe von fremden Mächten zum gewünschten Ziel zu kommen. Der Krieg, der seit einer Woche wütet, hat vielen gezeigt, dass dies im besten Falle naives Wunschdenken ist. Trotz der militärischen Schläge zeigen sich bislang noch keine Risse im Machtapparat: Die Repression funktioniert ungebrochen – erst jüngst gab es eine Verhaftungswelle. Es gibt noch keine Anzeichen, dass ranghohe Militärs oder Politiker sich von Khamenei abwenden. Vielmehr grassiert die Angst, dass die Schwäche nach außen mit einem Mehr an Repression nach innen einhergehen könnte.Besonders bedeutsam sind jene Stimmen aus der iranischen Zivilgesellschaft, die sich klar gegen jede Instrumentalisierung des fremdbestimmten Krieges im Namen der Demokratie wenden. Am Ende des Statements des Schriftstellerverbandes, dessen Mitglieder immer wieder durch die Islamische Republik bedroht, verhaftet und sogar ermordet wurden, heißt es: „Weder eine fremde Invasionsmacht noch eine innere, unterdrückerische Macht haben das Recht, den Willen eines Volkes bei der Bestimmung seines eigenen Schicksals zu usurpieren. Es ist das Recht jedes Volkes, sich gegen die Verletzung seines Territoriums zu verteidigen – ebenso wie es das Recht jedes Volkes ist, sich einer freiheitsfeindlichen Herrschaft nicht zu beugen.“Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal