Trennung vor dem Ja-Wort?
Wir leben derzeit in einer „Ära des Chaos“, wie The Economist es kürzlich treffend auf seinem Titelblatt formulierte. Westliche Demokratien stehen unter Druck, sowohl von außen als auch von innen. Das Timing könnte dramatischer kaum sein: In einer Zeit, in der stabile westliche Demokratien nötig wären, um autokratischen Bedrohungen wie China, Russland, Iran oder Trumps Amerika die Stirn zu bieten, sind es gerade gespaltene, fragmentierte und polarisierte Demokratien, in denen die politische Mitte vor allem von rechtspopulistischen Herausforderern auf eine harte Probe gestellt werden.Fast überall in Europa stehen sich etablierte Parteien und rechtspopulistische Herausforderer gegenüber: die AfD und die GroKo in Deutschland, Le Pen gegen Macron in Frankreich, Geert Wilders gegen die Regierungsparteien in den Niederlanden. Überall ist eine Polarisierung und Zersplitterung des Nachkriegsparteiensystems zu beobachten, und der Rechtsstaat und die Demokratie stehen zunehmend auf wackligen Beinen. Die disruptiven Folgen von Globalisierung, Individualisierung und schlecht gesteuerter Massenmigration erzeugen populistische Ressentiments in Verbindung mit sozialem Niedergang in einer Zeit sozioökonomischer und kultureller Unsicherheit.Wie lässt sich dem Aufstand der Unzufriedenheit und des politischen Misstrauens am wirksamsten begegnen? Wie kann man den (Rechts-)Populismus bekämpfen oder ihm den Wind aus den Segeln nehmen, der mit seinen autokratischen und antipluralistischen Zügen eine potenzielle Gefahr für die liberale Demokratie darstellt?Das ist nicht nur eine Aufgabe für Mitte-rechts-Parteien wie die deutsche Christdemokratie, sondern ebenso für Mitte-links-Parteien, insbesondere für die europäische Sozialdemokratie. Vor allem dort, wo sozioökonomische Ungleichheit und Verteilungskonflikte um die existenzielle Sicherheit die Wurzeln des Populismus bilden, ist ihr Handeln gefordert.Grob gesagt gibt es zwei Arten von Reaktionen der sozialdemokratischen Mitte-links-Parteien in Europa auf die populistische Herausforderung: die dänische und die niederländische.Die rigide dänische Einwanderungspolitik wird mit linken Argumenten verteidigt.Die dänische Sozialdemokratische Partei hat unter der Führung von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen als Reaktion auf den Erfolg der rechtspopulistischen Bewegung in Dänemark den Kurs des Sozialstaatsnationalismus eingeschlagen. Dieser lässt sich einfach zusammenfassen: Einwanderung begrenzen und Integration fördern. Die rigide dänische Einwanderungspolitik wird mit linken Argumenten verteidigt: Um die Finanzierung und Funktionsfähigkeit des dänischen Sozialmodells zu sichern, könne nur ein begrenzter Zustrom von Migranten zugelassen werden. Zu viel Immigration schade dem dänischen Wohlfahrtsstaat. Deshalb wurden strenge Quoten für die Aufnahme von Asylbewerbern eingeführt und große Anstrengungen unternommen, die Integration von Einwanderern zu fördern und Segregation zu verhindern.Bezeichnend war, dass Frederiksen gemeinsam mit Italiens Ministerpräsidentin Meloni eine Initiative für ein Schreiben an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ins Leben rief. Darin forderten sie mehr Spielraum für die Abschiebung krimineller Asylbewerber. Interessanterweise wurde dieser Brief nicht vom Ministerpräsidenten der niederländischen rechtspopulistischen Koalition aus VVD und PVV (Geert Wilders) unterzeichnet, da er diese Einmischung in die rechtsstaatliche Ordnung für zu radikal hielt.Ein zweites Modell für den sozialdemokratischen Umgang mit populistischer Unzufriedenheit entsteht derzeit in den Niederlanden. Wie in vielen anderen Ländern weht auch dort ein rechtskonservativer Wind: Zwei Drittel des Parlaments sind rechtspopulistisch, konservativ-liberal oder christdemokratisch geprägt. Nur ein Drittel ist links, radikal links oder Mitte-links – allesamt zersplittert in relativ kleine Parteien unterhalb der 20-Prozent-Marke. Als Reaktion auf die relative Marginalisierung der Linken in den Niederlanden haben PvdA und GroenLinks den Sprung nach vorn gewagt. Als erstes Land in Europa fusionieren dort Sozialdemokraten (Rot) und Grüne (Grün) zu einer gemeinsamen Partei.Kürzlich hat sich eine überwältigende Mehrheit der Mitglieder beider Parteien in einem Referendum für eine Fusion im Jahr 2026 ausgesprochen: unter anderem mit neuem Parteinamen und neuem Logo. Bis dahin setzen die Fraktionen ihre bereits enge Zusammenarbeit fort und treten bei den bevorstehenden Parlamentswahlen am 29. Oktober mit einer gemeinsamen Liste und einem gemeinsamen Wahlprogramm an.Ziel der neuen rot-grünen Partei ist die Bekämpfung der rechtskonservativen Deutungshoheit in der heutigen Politik.Ziel der neuen rot-grünen Partei ist die Bekämpfung der rechtskonservativen Deutungshoheit in der heutigen Politik. Sie will eine linke Alternative bieten, insbesondere in den Bereichen Klimapolitik, Antirassismus, internationales Recht sowie eine sozioökonomische Umverteilung und großzügigere Migrationspolitik. Vor allem soll eine demokratisch-rechtsstaatliche Offensive gegen die populistische Unterwanderung der Demokratie entstehen, für die man die Mitte-rechts-Parteien mitverantwortlich macht. Denn diese trügen nicht nur durch die Übernahme rechtspopulistischer Diskurse, sondern auch durch die Zusammenarbeit mit Rechtspopulisten zur Erosion der Demokratie bei, wie etwa im Fall der kürzlich gestürzten niederländischen Regierung, in der die konservativ-liberale VVD schließlich gemeinsam mit der PVV von Geert Wilders regierte.Am vergangenen Wochenende fand der Fusionskongress von PvdA und GroenLinks statt – in zwei nebeneinanderliegenden Hallen. Am Vormittag tagten die Parteien noch getrennt, am Nachmittag folgte ein gemeinsamer Kongress mit Frans Timmermans, dem ehemaligen sozialdemokratischen EU-Kommissar aus Brüssel, als Parteivorsitzenden.Zunächst stand der Kongress unter positiven Vorzeichen. Vor allem bei den jüngeren Generationen herrscht große Euphorie über dieses neue links-progressive Abenteuer. Es könnte die ideale Kombination aus der verwaltungsorientierten PvdA – die stark unter Überalterung und dem Image einer „Partei der Großeltern“ leidet – und der aktivistischen, progressiven Großstadtjugendpartei GroenLinks sein. Man sieht darin die ideale Kombination aus sozialer, ökologischer und internationaler Solidarität. Eine Chance auch, die politische Debatte und die politische Mitte der Niederlande wieder stärker nach links zu verschieben.Tatsächlich zeigen aktuelle Umfragen eine starke linke Formation in den Niederlanden. In aktuellen Umfragen (nach dem Sturz der Regierung Schoof) liegt GroenLinks-PvdA mit 29 Sitzen in der 150 Sitze umfassenden Zweiten Kammer auf Platz zwei – direkt hinter der PVV von Geert Wilders mit 30 Sitzen. Doch Geert Wilders wird nach seinem Scheitern und dem Austritt aus der Regierung von fast allen anderen Parteien von einer Regierungsbeteiligung ausgeschlossen. Die Brandmauer um Wilders ist wiederhergestellt. Entsprechend eröffnen sich für GroenLinks-PvdA erhebliche Chancen auf eine Regierungsbeteiligung.Dem Fusionskongress lag ein neues gemeinsames Grundsatzpapier zugrunde: „Zeit für Solidarität“. Dieser Text stellt ökologische und soziale Gerechtigkeit als zentrale Werte in den Mittelpunkt und zielt darauf ab, die „soziale Mehrheit“ der Niederlande anzusprechen und zu mobilisieren. Programmatisch vereint er Positionen von GroenLinks und PvdA, die sich in den vergangenen Jahrzehnten ohnehin immer stärker angenähert haben.Im Gegensatz zu den deutschen Grünen war GroenLinks auf nationaler Ebene noch nie an einer Regierung beteiligt.Im Gegensatz zu den deutschen Grünen war GroenLinks auf nationaler Ebene noch nie an einer Regierung beteiligt. Dennoch verfügt die Partei über umfangreiche Verwaltungserfahrung durch Bürgermeister in Großstädten und in großen NGOs. Die GroenLinks-Jugend der Generation Z zeigt sich radikal-aktivistisch, insbesondere in Bezug auf Israel. Das wurde auf dem letzten Fusionskongress dramatisch deutlich.Was eigentlich ein festliches und einheitliches Schauspiel des linken Revivals in den Niederlanden hätte werden sollen, endete in einem Debakel. Zum Spaltungsfaktor wurde ein Antrag, den die GroenLinks-PvdA-Fraktion zu Wochenbeginn ins Parlament eingebracht hatte: ein vorübergehendes, vollständiges Waffenembargo gegen den „Kriegsverbrecher“ Israel, einschließlich der niederländischen Lieferungen für das defensive Iron-Dome-Abwehrsystem Israels.Dieser Antrag sorgte im niederländischen Parlament für einen Eklat: Wie könne man es wagen, bewusst die Selbstverteidigung der israelischen Bevölkerung zu sabotieren? Entsprechend wurde der Antrag von den anderen Parteien massiv abgelehnt. Doch auch auf dem Fusionskongress erwies er sich als erheblicher Störfaktor. Im Vorfeld des Kongresses hatten mehrere prominente PvdA-Mitglieder, darunter die ehemaligen Parteivorsitzenden Cohen, Asscher und Melkert, einen Gegenantrag eingebracht, der die Unterstützung für die israelische Raketenabwehr aufrechterhalten sollte. Dieser Antrag wurde jedoch im gemeinsamen Teil des Kongresses mit 80 Prozent der Stimmen abgelehnt, nachdem zuvor eine Abstimmung darüber auf dem separaten PvdA-Parteitag blockiert worden war.Die Stimmung auf dem Parteitag war düster und aggressiv, und erinnerte stark an die Pro-Gaza-Demonstrationen auf den Straßen von Berlin und Amsterdam. Der Fusionsparteitag mündete so in einem Anti-Israel-Tribunal. Woke GroenLinks-Jugendliche, mit palästinensischen Flaggen und Schals geschmückt, setzten weitreichende Anti-Israel-Anträge durch – mit großer Mehrheit: Über 83 Prozent fordern ein „sofortiges und vollständiges Waffenembargo gegen Israel“, fast 94 Prozent lehnen die „rassistische und ausgrenzende Ideologie, wie sie in Israel vorherrscht“, ab, und knapp 95 Prozent wenden sich „gegen den Völkermord und die Apartheid, wie sie von Israel jetzt und in Zukunft begangen werden“.Redner mit abweichenden Ansichten zu Israel und dem Nahostkonflikt wurden ausgebuht, darunter auch jüdische PvdA-Mitglieder. Seit jeher zählt die PvdA viele jüdische Niederländer zu ihren Mitgliedern. Für sie, aber nicht nur für sie, geriet dieser Fusionskongress zum Albtraum eines intoleranten Linksradikalismus. Inzwischen hagelt es Austritte aus der PvdA. In den Medien ist zu lesen, dass die PvdA von GroenLinks übernommen worden sei, oder noch drastischer: dass die PvdA, einst stolzer Fahnenträger der niederländischen Sozialdemokratie, auf dem Fusionskongress gestorben sei.Für viele altgediente, treue Sozialdemokraten scheint die rot-grüne Fusionspartei bereits gescheitert, bevor sie überhaupt richtig gestartet ist. Gerüchte über die mögliche Gründung einer alternativen sozialdemokratischen Partei werden von Tag zu Tag hartnäckiger.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal
Quelle: IPG Journal