Trumps Nemesis?
Der Brief an Donald Trump hat es in sich. „Es gibt sieben Milliarden Verbraucher, die bereit sind, ihre iPhones in weniger als 42 Stunden durch Geräte von Samsung oder Huawei zu ersetzen“, wird dem US-Präsidenten gedroht. Weiter heißt es süffisant, dass sich keines der Weltwunder in den Vereinigten Staaten befinde und der Xcaret-Freizeitpark in Mexiko ohnehin eine bessere Alternative zu Disney sei. „Herzliche Grüße. Claudia Sheinbaum. Präsidentin von Mexiko“.Zugegeben, die Idee, dass der vorwitzige David (Mexiko) dem trampelnden Goliath (USA) eine auswischt, ist verlockend. Mexikos Präsidentin als Trumps Nemesis: die griechische Göttin der ausgleichenden Gerechtigkeit, die menschliche Selbstüberschätzung abstraft. Zumal Sheinbaum alles repräsentiert, was Trump missfällt: Die studierte Physikerin steht politisch links, ist eine Frau und ehemaliges Mitglied im UN-Panel der Klimawissenschaftler. Das Problem daran ist: Der Brief ist ein Fake und das Narrativ zu schön, um wahr zu sein.Im Gegensatz zu anderen Staatschefs in der Region schlägt sich Sheinbaum auf den ersten Blick gut gegen Trump. Sie lässt sich weder von Drohungen noch seinem Zoll-Mobbing so schnell aus der Ruhe bringen. Mit ihrem stoischen Mantra vom „Plan A, B und C“, den man in der Schublade habe, aber erst in ein paar Tagen verkünden werde, nimmt sie dem Hurrikan Trump regelmäßig den Wind aus den Segeln. Meist kommt es dann zu einem Telefonat oder eine Delegation wird nach Washington geschickt – und am Ende steht ein „Deal“ zwischen den Nachbarländern.Das kontrastiert mit denjenigen, die unter Adrenalin einen Zwergenaufstand wagen und ein paar Stunden später kleinlaut zu Kreuze kriechen. So etwa Kolumbiens Präsident Gustavo Petro, der auf X nach einer ellenlangen poetisch-historischen Ausführung mit 50 Prozent Gegenzöllen drohte – und diese wenige Stunden später auf Druck der Unternehmer wieder zurücknehmen musste. Oder Honduras Präsidentin Xiomara Castro, die erst einen lateinamerikanischen Anti-Trump-Krisengipfel einberief – und ihn einen Tag später mangels Interesse wieder absagte.Sheinbaums freundliche Distanz zu Trump – ab und zu telefoniert man miteinander und lobt den Gesprächspartner mit heuchlerischer Übertreibung – wirkt professioneller und würdevoller als die Anbiederung des lateinamerikanischen Trump-Fanclubs, angeführt von El Salvadors Präsident Nayib Bukele. Der knipste mit seinem „Amigo“, US-Außenminister Marco Rubio, kitschige Sonnenuntergangsfotos am Vulkansee und pries dabei sein Hochsicherheitsgefängnis für abgeschobene Migranten zum Sonderpreis an. Oder Ecuadors Präsident Daniel Noboa, ein an US-Universitäten ausgebildeter Millionärssprössling mit direktem Draht zu Trumps MAGA-Team. Noboa bot übereifrig die Wiedereinrichtung von US-Militärbasen an – unter Verstoß gegen die eigene Verfassung.Zölle sind der falsche Gradmesser, um zu beurteilen, wie erfolgreich ein Land im Umgang mit Trump ist.Doch ist Sheinbaum damit erfolgreicher als die lateinamerikanischen Nachbarn? Auf den ersten Blick eher nicht. Trumps reziproke Strafzölle sind letztlich über ganz Lateinamerika recht gleichmäßig verteilt – egal wie anbiedernd oder rebellisch sich die Staatschefs gebaren. Zehn Prozent für El Salvador, Kolumbien und Argentinien, für Ecuador ebenso wie für Brasilien. Für die Freihandelspartner Mexiko und Kanada (das mit Gegenzöllen und Boykotten von US-Produkten sehr viel harscher reagiert hat als Sheinbaum) gilt eine einheitliche Sonderregelung: Das Freihandelsabkommen (USMCA) und der zollfreie Marktzugang für die in Nordamerika hergestellten Güter bleibt in Kraft, mit 25 Prozent werden allerdings Stahl und Aluminium belegt sowie Autos und Produkte, welche die USMCA-Herkunftsregeln nicht erfüllen.Zölle sind ohnehin der falsche Gradmesser, um zu beurteilen, wie erfolgreich ein Land im Umgang mit Trump ist. Denn sie sind nur Mittel zum Zweck. Trump geht es um Geopolitik. Seine Ziele sind die Kontrolle über strategische Infrastruktur (Panamakanal, US-Militärbasen etwa auf den Galapagos-Inseln mitten im vom China dominierten Pazifik) und Bodenschätze (Öl, seltene Erden, Lithium). Es geht ihm darum, China einzuhegen (keine chinesischen 5G-Netze) und die bedrohte US-Hegemonie in der Region zu sichern. Teil dieser Strategie ist die Kriminalisierung der Migration und – unter dem Vorwand der Kriminalitätsbekämpfung – die Militarisierung der inneren Sicherheit in Lateinamerika unter US-Kontrolle.Und eben da hat Sheinbaum viele Zugeständnisse gemacht: Sie lieferte 29 Drogenbosse an die USA aus – so viel wie nie zuvor. Sie schickte 10 000 Nationalgardisten zum Migrantenjagen an die gemeinsame Grenze, die nun beidseitig militarisiert ist (das ist die mexikanische Mauer, von der Trump gerne spricht), hob Fentanyl-Labore im Rekordtempo aus (deren Existenz die mexikanische Regierung bis vor kurzem bestritt) und entzog dem erfolglosen Militär die Kontrolle über die Sicherheitspolitik, die die Uniformierten seit 2006 innehatten. Sie billigte den Überflug von US-Spionagedrohnen und erteilte 120 US-Elitesoldaten die Erlaubnis für gemeinsame Manöver in Mexiko. All das ist ein klarer Umschwung vom Kurs ihres Vorgängers und politischen Mentors, Andrés Manuel López Obrador. Dieser hatte die US-Regierung nachhaltig verprellt, als er die Antidrogenbehörde DEA aus dem Land warf und die Bekämpfung der Kartelle aussetzte.Unter Sheinbaum diktiert Washington die Migrationspolitik und sitzt wieder mit am Tisch bei der Ausarbeitung der Sicherheitsstrategie. Der Einfluss der USA dürfte noch wachsen. Mit der Einstufung mexikanischer Kartelle als Terrororganisationen hat Trump ein Damoklesschwert geschliffen. Privatleute, Firmen oder auch Politiker, die im Verdacht stehen, mit Kartellen zusammenzuarbeiten, drohen nun Sanktionen – oder sogar eine Blitzentführung, wie dem langjährigen Boss des Sinaloa-Kartells, Mayo Zambada, der ohne Wissen der mexikanischen Regierung voriges Jahr von US-Agenten in eine Falle gelockt und schnurstracks außer Landes geflogen worden war. In der Auffassung einiger republikanischer US-Politiker wären nun sogar US-Militäroperationen auf mexikanischem Boden im Kampf gegen den Terrorismus gerechtfertigt – Maßnahmen, die Mexiko strikt ablehnt.Sheinbaum macht gute Miene zum bösen Spiel, denn ihr Spielraum gegenüber der Trump-Administration ist minimal.Sheinbaum macht gute Miene zum bösen Spiel, denn ihr Spielraum gegenüber der Trump-Administration ist minimal. Über 80 Prozent der mexikanischen Exporte gehen in die USA, ein Zollkrieg wäre nicht nur eine wirtschaftliche Katastrophe, sondern würde den Freihandelsvertrag und das gesamte mexikanische Modell als verlängerte Werkbank der US-Industrie infrage stellen. Mexikos Präsidentin besitzt auch keine Trumpfkarten, die ihr Pokern erlauben würden: Der mexikanischen Wirtschaft ging es schon vor Trump nicht besonders gut.Linkspopulist López Obrador hat mit teuren Prestigeprojekten und klientelistischen Sozialprogramme die Staatskassen geplündert und mit wirtschaftsfeindlichen Reformen Investitionen verschreckt. Dieses Jahr drohen Rezession oder Stagflation. Ein Teil des Haushalts versickert zudem im notorisch defizitären staatlichen Erdölkonzern Pemex oder wird von korrupten Politikern in die eigenen Taschen oder lokale Wahlkämpfe umgeleitet. Noch ist Sheinbaum populär: Umfragen zufolge finden über 70 Prozent ihre Arbeit gut. Doch das könnte sich schnell drehen, wenn die Wirtschaft abschmiert und die Armut wächst.Derzeit jongliert Sheinbaum: Innenpolitisch sucht sie den Schulterschluss mit Wirtschaft und Opposition und wählt markige Worte fürs Volk, die an den Nationalismus appellieren. Außenpolitisch agiert sie als Technokratin, die mit Fakten argumentiert und den Dialog sucht. Dies ist ein Dauerspagat für die 60-Jährige. Denn es existiert zwar keine nennenswerte Opposition mehr in Mexiko, aber in der eigenen linken Sammelbewegung Morena hat sie einen schweren Stand. Fast die Hälfte ihres Kabinetts übernahm sie von López Obrador. Dessen Sohn bekleidet einen wichtigen Posten in der Partei und wird bereits als möglicher Nachfolger gehandelt. Einige Schlüsselfiguren der Regierungskoalition verfolgen ihre eigene Agenda und sabotieren die Vorhaben der Präsidentin – wie unlängst ein Gesetz zur Bekämpfung des Nepotismus, dessen Verabschiedung in die ferne Zukunft vertagt wurde.Falsch ist auch die Erzählung von Sheinbaum als demokratisch-progressivem Gegenstück zu Trump. Denn genau wie ihrem Vorgänger und dem US-Präsidenten geht es ihr um Hegemonie, nicht um Demokratie. Sie diskreditiert oppositionelle Medien und hetzt gegen Kritiker. Korruption toleriert sie im Gegenzug für politische Loyalität, die Menschenrechtskrise im Land spielt sie herunter, und ähnlich wie Trump hantiert sie gerne mit „anderen Zahlen“. Beim Abbau der Demokratie kann dieser allerdings noch von ihr lernen: Sie hat dank der durch Verfahrenstricks erreichten Zwei-Drittel-Mehrheit im Kongress autonome Institutionen abgeschafft und der Exekutive unterstellt – darunter die Wahl-, die Wettbewerbs- und die Transparenzbehörde.Sie lässt das staatliche Bildungs- und Gesundheitssystem ausbluten und treibt die Leute in die Arme privater Dienstleister. Und ab Mitte des Jahres werden auch die Bundesrichter nicht mehr aufgrund von Eignungsprüfungen ausgewählt und befördert, sondern vom Volk gewählt – nach einer Vorauswahl im von Morena dominierten Kongress. Kritiker sehen darin eine faktische Gleichschaltung der Gewalten und warnen vor einer möglichen Übernahme der Justiz durch die Organisierte Kriminalität – sei es durch illegale Wahlkampffinanzierung oder durch die gezielte Ermordung unliebsamer Kandidatinnen und Kandidaten, wie es im politischen Wettbewerb längst gängige Praxis ist.Anders als ihre Popularität, ihr Parteibuch, ihre theoretische Machtfülle und ihr Propagandaapparat suggerieren, ist Sheinbaum also weder Nemesis noch eine demokratische Modell-Präsidentin. Ihre Machtposition ist sowohl gegenüber den USA als auch im eigenen Land fragil – und die Zukunft Mexikos völlig ungewiss. Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal
Quelle: IPG Journal