Von Trump lernen
Bis zu den Präsidentschaftswahlen 2028 sind es noch über 1 000 Tage, doch die Vorwahlen der Demokraten sind bereits in vollem Gange. Die chancenreichsten Kandidaten sammeln Spenden, machen Wahlkampfveranstaltungen, starten Podcasts und ziehen ihre ideologischen Leitplanken.Die Bewerberinnen und Bewerber werden versuchen, sich unverwechselbare politische Identitäten zuzulegen, doch im Prinzip stehen sie alle vor derselben Herausforderung: Ihre Partei ist unbeliebter als je zuvor. Die Zustimmungswerte der Demokratischen Partei fielen laut Pew Research zuletzt um 22 Prozentpunkte – 60 Prozent der Befragten stehen den Demokraten ablehnend gegenüber, 38 Prozent werten sie positiv. Das ist, abgesehen von den letzten Tagen von Joe Bidens Präsidentschaft, der mit Abstand niedrigste Wert in den mehr als 30 Jahren, in denen Pew Research Daten erhoben hat.Die Präsidentschaftsbewerber werden sich wahrscheinlich in zwei Lager spalten: in gemäßigte Kandidaten und progressive. Allerdings verkennen beide Seiten die prekäre Lage der Demokraten und werden langfristig keine nennenswerte Mehrheit für sich gewinnen können. Wenn der nächste demokratische Kandidat eine Mehrheitskoalition bilden will – eine Koalition, mit der der Sieg bei den Präsidentschaftswahlen nicht davon abhängt, dass die Republikaner schwache Kandidaten aufstellen, und bei der der Senat nicht als aussichtslos abgeschrieben wird –, sollte er die Demokratische Partei selbst ins Visier nehmen. Er sollte Positionen vertreten, die sowohl rechts als auch links von der traditionellen Linie der Partei liegen.Das mag wie ein gewagtes Manöver erscheinen, doch ein erfolgreicher Kandidat hat den Demokraten bereits die Blaupause dafür geliefert: Donald Trump. Um eines klarzustellen: Mit dieser Blaupause ist nicht gemeint, dass Donald Trump demokratische Normen verletzt und amerikanische Institutionen destabilisiert hat. Es geht vielmehr um einen Neustart des Verständnisses davon, was eine Partei und ihre Führung sein sollten.Zum Zeitpunkt der zweiten Amtseinführung von Barack Obama im Januar 2013 waren die Republikaner äußerst unbeliebt. Konservative Vordenker wie Sean Hannity, Bill O’Reilly und Karl Rove warben für eine umfassende Reform der Einwanderungspolitik und wollten damit den Weg zurück zur Mehrheit ebnen. Bis zum Sommer 2013 war der Widerstand der Basis gegen diesen Gedanken allerdings so stark, dass viele konservative Vordenker zurückrudern mussten.Egal, wo man politisch steht – für alle, die mit dem Status quo der Republikanischen Partei unzufrieden sind, ist Trump der richtige Mann.2016 gab es bei den Vorwahlen der Republikaner zwei Fraktionen: einerseits Topkandidaten wie Marco Rubio und Jeb Bush, andererseits Tea Party-Anhänger wie Ted Cruz und Scott Walker, die sich für einen Rechtsruck starkmachten. Das Problem für das Rubio-Bush-Lager war, dass die republikanischen Wählerinnen und Wähler eine moderate Haltung bei für sie wichtigen Themen wie der Einwanderungspolitik bereits abgelehnt hatten. Für das Cruz-Walker-Lager war das Problem, dass sie aufgrund ihrer Ausrichtung einige besonders unpopuläre Positionen der Partei in den Vordergrund rücken mussten – unter anderem Kürzungen bei der Gesundheitsversorgung und den sozialen Sicherungssystemen.Das Innovative an Trump war seine Weigerung, sich zwischen diesen beiden Lagern zu entscheiden. In der Einwanderungsfrage positionierte er sich rechts von seiner Partei und sprach sich für Massenabschiebungen und eine Grenzmauer aus. Beim Thema Staatsausgaben positionierte er sich parteiintern links und versprach, weder bei der sozialen Absicherung noch bei der Gesundheitsversorgung zu kürzen, mehr Geld für die Infrastruktur bereitzustellen und die allgemeine Krankenversicherung einzuführen.So konnte er in den Vorwahlen vor allem diejenigen Wählerinnen und Wähler für sich gewinnen, denen vor allem das Thema Zuwanderung auf den Nägeln brannte, und gleichzeitig eine breitere Wählerschaft ansprechen, für die Wirtschaft das wichtigste Thema war. Damit begnügte er sich jedoch nicht. Trump kritisierte George W. Bush und die von den Republikanern angeordnete Invasion im Irak. Er attackierte Mitt Romney und John McCain. Die Botschaft war eindeutig: Egal, wo man politisch steht – für alle, die mit dem Status quo der Republikanischen Partei unzufrieden sind, ist Trump der richtige Mann.Obwohl Trump im gesamten Wahlkampf extreme Positionen vertrat, hielten ihn die Wählerinnen und Wähler am Wahltag 2016 für den ideologisch weniger extremen der beiden Kandidaten. Er erschien ihnen auch deutlich weniger konservativ als jeder andere republikanische Präsidentschaftskandidat seit George Bush senior. Das ist im Grunde nicht überraschend: Wähler und Wählerinnen, die sich in Umfragen als moderat bezeichnen, positionieren sich in der Regel nicht in der Mitte, sondern stehen in einigen Fragen eher rechts und in anderen eher links. Hinzu kommt, dass sie tendenziell gegen beide Parteien eine Abneigung haben.Wenn man sich gleichzeitig von links und von rechts gegen die eigene Partei und generell gegen beide Parteien stellt, kann man die Wahrnehmung der Wählerinnen und Wähler durchkreuzen. Auf diese Weise gelang es Trump nicht nur, sich langfristig von der unbeliebten Republikanischen Partei zu distanzieren. Mit der Zeit wurde auch die Partei anders wahrgenommen und konnte Wählergruppen für sich gewinnen, von denen selbst Sean Hannity sich nicht hätte vorstellen können, dass sie die Republikaner wählen würden, obwohl er 2013 selbst noch die Einwanderungsreform unterstützt hatte.Prinzipiell könnte dies auch für einen Demokraten funktionieren. Die Wählerschaft der Demokraten hat in den vergangenen zehn Jahren der Parteiführung vergleichsweise viel Respekt entgegengebracht, doch ihre Geduld könnte allmählich erschöpft sein. 2024 stand die Partei hinter einem äußerst unpopulären Präsidenten Joe Biden, obwohl es klare Anzeichen dafür gab, dass die demokratischen Wählerinnen und Wähler ihn für eine weitere Amtszeit für ungeeignet hielten. Inzwischen haben nur noch etwa zwei Drittel derjenigen, die sich den Demokraten zuordnen, eine positive Meinung von ihrer Partei. Die Demokraten müssen Wählerinnen und Wähler in jenen Bundesstaaten für sich gewinnen, die sie derzeit als verloren oder aussichtslos betrachten. Wenn neu definiert wird, was es bedeutet, ein Demokrat zu sein, entsteht die Möglichkeit, dass diese Wählergruppe ihre Entscheidung noch einmal überdenkt.Die Demokraten müssen Wählerinnen und Wähler in jenen Bundesstaaten für sich gewinnen, die sie derzeit als verloren oder aussichtslos betrachten.Es gibt noch ein weiteres Argument für diese Strategie: Auch bei den Demokraten hat sie sich schon einmal bewährt. Als Bill Clinton 1992 als Kandidat antrat, war die Stimmung der Demokratischen Partei im Keller. Die Republikaner hatten – was selten vorkommt – dreimal hintereinander den Präsidenten gestellt. Ambitionierte Demokraten verzichteten sogar auf eine Kandidatur bei den Vorwahlen, weil eine vierte Amtszeit der Republikaner als absolut sicher schien. Clinton ging jedoch neue Wege: In der Gesundheitspolitik bezog er linke Positionen – und machte sich für ein universelles Gesundheitssystem stark, das weitaus progressiver war als der Affordable Care Act. Bei den Themen Kriminalität und Staatsausgaben ging er auf Rechtskurs und brachte in der Folge Gesetze zur Kriminalitätsbekämpfung und Sozialhilfe auf den Weg. Das trug dazu bei, die Politik so weit neu auszurichten, dass die Demokraten bei sieben der folgenden acht Präsidentschaftswahlen die meisten Stimmen holten.Entscheidend ist: Ambitionierte Demokraten, die sich für die Wahlen 2028 in Stellung bringen, sollten sich nicht auf ein Entweder-oder zwischen einer moderaten und einer progressiven Linie einlassen. Sie sollten sich für beides entscheiden. Auch sollten sie die Demokratische Partei für ihre jüngsten Misserfolge durchaus kritisieren.Die Ansicht der Wählerschaft kann sich innerhalb von zwei Jahren stark verändern. Zum jetzigen Zeitpunkt spricht einiges dafür, dass man sich in der Einwanderungsfrage rechts und gesundheitspolitisch links positioniert. Das Gesundheitswesen ist eines der wichtigsten Themen für die Demokraten. Bei diesem Thema genießt die Partei auch mehr Vertrauen als die Republikaner. In der für die amerikanische Bevölkerung so zentralen Einwanderungsfrage trauen die Amerikanerinnen und Amerikaner jedoch grundsätzlich den Republikanern mehr zu.Eine solche Strategie könnte zudem eine konservative Kritik an Verschuldung und Staatsdefizit ebenso einschließen wie eine progressive Haltung zur Wohnungsfrage, etwa durch eine liberale Kritik an steigenden Miet- und Immobilienkosten. Welche Botschaft am Ende zum Wahlsieg führt, wird maßgeblich davon abhängen, wie sich die wirtschaftliche Lage im Jahr 2027 und Anfang 2028 entwickelt. Das Gleiche gilt für soziale Themen: Hier sollte in den Vordergrund gestellt werden, dass jeder Mensch mit Würde behandelt werden muss und dass die Demokraten sich von Ideen haben mitreißen lassen, die diesem Ziel letztlich nicht dienlich waren.Auch nicht-politische Faktoren wie die persönliche Biografie und der Kommunikationsstil waren entscheidend für den Erfolg von Donald Trump. Für künftige Kandidatinnen und Kandidaten dürfte es allerdings schwieriger sein, in dieser Hinsicht von Trump zu lernen, denn seine Eigenschaften wirken bei ihm authentisch. Vielleicht ist genau diese Authentizität die wichtigste Lektion. Für Kandidaten, die nicht so sehr mit dem Status quo der Demokratischen Partei in Verbindung gebracht werden, wird es weitaus leichter sein als für einige der derzeitigen prominenten Favoriten, authentisch gegen diesen Status quo anzutreten.Wenn die Demokraten wirklich erfolgreich sein sollen, sollte ihr nächster Kandidat die Sicht der amerikanischen Bevölkerung auf die Demokratische Partei grundlegend verändern. Das ist der einzige Weg, um in Bundesstaaten, die von den Demokraten bislang als aussichtslos abgeschrieben werden, momentan noch als unerreichbar geltende Wählergruppen für sich zu gewinnen.Dieser Artikel erschien ursprünglich in The New York Times. Aus dem Englischen von Christine HardungWeiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal
Quelle: IPG Journal