Widersprüchliche Signale

10.06.25 13:23 Uhr

Zum nunmehr fünften Mal haben sie sich Ende Mai getroffen, die Unterhändler der USA und des Iran. In der Welt des Datings würde das schon etwas Ernsteres bedeuten, da gibt es Potenzial, das ist keine verschwendete Zeit. Im Oman, der als Vermittler fungiert, und in Rom haben die Verhandlungen bislang stattgefunden, weitere Runden sind geplant. Das ist angesichts der Brisanz des Themas zunächst einmal vor allem eines – positiv. Eine Garantie für das Zustandekommen eines neuen Atomabkommens nach dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) von 2015 ist es nicht. Nennenswerte Ergebnisse gab es bislang keine. Und die Vereinigten Staaten senden die ebenfalls aus dem Datingleben bekannten mixed signals, widersprüchliche Signale: Zwar ist es niemand Geringeres als Donald Trump persönlich, der nicht müde wird zu betonen, dass er keinen Krieg mit Iran anstrebe. Darüber soll er in den vergangenen Wochen auch immer wieder mit Israels Premierminister Benjamin Netanjahu aneinandergeraten sein, der Washington allem Anschein nach in eine militärische Auseinandersetzung mit Teheran hineinziehen will.Doch andere Mitglieder aus Trumps Administration, allen voran der kürzlich gefeuerte Sicherheitsberater Mike Waltz sowie Außenminister Marco Rubio und zuletzt immer wieder auch Trumps Unterhändler für alles, Steve Witkoff, fordern die vollständige Abwicklung des iranischen Nuklearprogramms, inklusive der Urananreicherung. Dabei hatte Witkoff zu Beginn der Verhandlungen Mitte April noch erklärt, das Ziel sei die Schaffung von Begrenzung und Transparenz bei gleichzeitiger Verifizierung des friedlichen Charakters des iranischen Atomprogramms. Dann folgte die Kehrtwende. Für Iran ist eine solche Forderung inakzeptabel; sollte diese schlussendlich ihren Weg in den Forderungskatalog der USA finden, spricht wenig für erfolggekrönte Verhandlungen. Irans Außenminister Abbas Araghchi erklärte indes einigermaßen gelassen, entscheidend seien die Verhandlungen selbst, nicht öffentliche Aussagen.Anfang Juni schloss sich dann auch Donald Trump auf seiner Plattform Truth Social diesem Kurs an und sprach sich kategorisch gegen jegliche iranische Urananreicherung aus. Gemessen an seinen bisherigen Äußerungen wirkt das zwar einmal mehr sprunghaft und als würde der US-Präsident seine Haltung nach Tagesform wechseln. Möglicherweise steckt dahinter aber Kalkül: Zum einen könnte es darum gehen, Teheran über die tatsächlichen Absichten der USA im Unklaren zu lassen und so den Verhandlungsdruck zu erhöhen. Zum anderen dürfte Trump damit auch versuchen, die Falken in den eigenen Reihen vorerst zu besänftigen und seinem Verhandlungsteam etwas Luft zu verschaffen.Auch die iranische Seite weiß, was es bedeutet, ein Gesicht nach außen wahren zu müssen, das einem nach innen einen größeren Handlungsspielraum erlaubt.Auch die iranische Seite weiß, was es bedeutet, ein Gesicht nach außen wahren zu müssen, das einem nach innen einen größeren Handlungsspielraum erlaubt: Ohne die Zustimmung von Irans Oberstem Führer Ali Khamenei wäre es der Regierung von Masoud Pezeshkian nicht möglich, die Verhandlungen mit den USA zu führen. Khamenei muss das genehmigen – und positioniert sich gleichzeitig als einer der schärfsten Kritiker der Gespräche. Denn auch Khamenei will diejenigen zufriedenstellen, auf die sich seine Macht maßgeblich stützt: die Hardliner, die Verhandlungen mit „dem großen Satan“ rundheraus ablehnen. Und die, wohl nicht einmal zu Unrecht, befürchten, den USA könne man generell nicht trauen, insbesondere aber unter einem Präsidenten Donald Trump, der 2018 einseitig aus dem JCPOA ausgestiegen war. Doch auch Khamenei dürfte im Angesicht der tiefen wirtschaftlichen Misere, in der sein Land steckt, ein gewisses Interesse an erfolgreichen Verhandlungen haben – und damit an der Aufhebung von Wirtschaftssanktionen.Innenpolitisch wird die Regierung Pezeshkian also nicht nur von Khamenei, sondern auch mit populistischen, von Hardliner-Kreisen gestreuten Narrativen unter Druck gesetzt, die sie in der öffentlichen Wahrnehmung beschädigen soll. Das zeigt sich immer wieder an den Debatten um Doppelstaatsbürgerschaften und westliche Kontakte von Regierungsmitgliedern, zuletzt im Falle des früheren Außenministers Javad Zarif und von Vizepräsident Mohammad Reza Aref, die nahelegen sollen, dass Doppelstaatsbürgerschaften auch doppelte Loyalitäten bedeuten, also etwa mangelnde Verlässlichkeit gegenüber den Interessen der Islamischen Republik. Dahinter steht die Sorge der Hardliner, Pezeshkian könne durch außenpolitische Annäherungen – eben durch die Nukleargespräche mit den USA – an innenpolitischer Popularität gewinnen.Dass es bei all den außen- und innenpolitischen Beweggründen auf beiden Seiten zu einer raschen Einigung kommt, ist also unwahrscheinlich. Zu hoffen ist, dass sich beide Parteien im Kern einig sind und sich nicht von verbalen, gegebenenfalls taktischen, Schnellschüssen der anderen Seite verschrecken lassen. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor in den Verhandlungen bleibt Bibi Netanjahu: Sollte es Israels Premier doch noch gelingen, das gerade scheinbar deutlich abgekühlte Verhältnis zum US-Präsidenten wieder zu erwärmen und diesen in eine militärische Auseinandersetzung mit Iran zu schubsen, die in seiner Vorstellung die israelische Neuordnung des Nahen Ostens komplementieren würde, stünde die gesamte Region am Rande des Abgrunds.Netanjahus Größenwahn, der nach den militärischen Erfolgen gegen Hamas und Hisbollah und angesichts eines praktisch ungestört vorangetriebenen Kriegs in Gaza – der von einer überwältigenden Mehrheit internationaler Analysten als Völkermord bewertet wird – keine Grenzen kennen dürfte, verstellt ihm die Sicht: Iran verfügt über das nötige Wissen – und Wissen lässt sich nicht einfach auslöschen. Die iranischen Nuklearanlagen sind zudem über mehrere Standorte verteilt, viele davon tief unter der Erde und stark befestigt – die bekanntesten Beispiele sind Fordow und Natanz. Ein begrenzter Militärschlag wäre daher kaum in der Lage, das Programm um mehr als einige Monate zurückzuwerfen, geschweige denn zu zerstören. Im Gegenteil: Ein Angriff würde Iran vermutlich den Vorwand liefern, sein Atomprogramm sofort und mit Hochdruck in Richtung Waffenfähigkeit voranzutreiben – möglicherweise im Geheimen, indem entscheidende Materialien in nicht deklarierte Anlagen verlagert würden. Ein militärischer Schlag gegen das Programm könnte also einen umfassenden und langwierigen Krieg – keine kurze, gezielte Operation – bedeuten, die dann auch Donald Trumps komplette Präsidentschaft prägen dürfte.Doch die europäischen Staaten, die eigentlich geeignete Kandidaten wären, um in einem solchen Szenario eine vermittelnde Rolle zu übernehmen, sind zu Zaungästen geschrumpft.Doch die europäischen Staaten, die eigentlich geeignete Kandidaten wären, um in einem solchen Szenario eine vermittelnde Rolle zu übernehmen, sind zu Zaungästen geschrumpft. Waren die sogenannten E3, Frankreich, Großbritannien und Deutschland, noch treibende Kraft bei den Nukleargesprächen und der Verabschiedung des JCPOA 2015, sind sie bei den gegenwärtigen Gesprächen außen vor. Mit Wiederbeginn des Austauschs zwischen Washington und Teheran wurde von iranischer Seite offenbar bewusst darauf gedrängt, die E3 aus den Verhandlungen herauszuhalten. Grund dafür ist nicht nur ein tief sitzender Vertrauensverlust – aus Sicht Teherans hatten die E3 weder das 2015er Atomabkommen ausreichend gegen US-Druck verteidigt noch eigene Handlungsspielräume genutzt, um den europäisch-iranischen Handel vor den US-Sanktionen zu schützen. Auch deshalb ist die Frage nach belastbaren Sanktionslockerungen bei den jetzigen Gesprächen für den Iran zentral.Die iranische Seite versucht auch, die Verhandlungen gezielt über die im Oktober auslaufende Snapback-Frist hinaus zu verzögern – bis zu diesem Zeitpunkt können die E3 die im JCPOA verankerten Sanktionen der Vereinten Nationen gegen Iran wieder in Kraft setzen. Aus diplomatischen Kreisen ist zu hören, der Prozess müsste spätestens im Juli angestoßen werden, um bis Oktober wirksam zu werden. Nutzen die Europäer den Snapback nicht, droht ihnen weiterer Bedeutungsverlust. Mitsamt der Gefahr, dass das Nukleardossier dauerhaft von der Agenda des UN-Sicherheitsrats verschwinden könnte und China und Russland künftig ihr Veto einlegen könnten, sobald der Sicherheitsrat sich erneut mit Irans Atomprogramm befassen soll.Wird der Snapback-Mechanismus hingegen aktiviert, bliebe Europa über Frankreich und Großbritannien Teil des sicherheitspolitischen Entscheidungsprozesses und könnte multilateralen Druck auf Teheran aufrechterhalten. Angesichts der anhaltenden und eklatanten Verstöße Irans gegen das Abkommen, mit denen sich das Land der Bombe ohnehin zunehmend nähert, wäre ein solcher Schritt – klug kommuniziert – durchaus geboten. Und nicht zuletzt ein Signal, dass Europa bereit ist, seine eigenen Instrumente konsequent zu nutzen, statt sich weiter an den diplomatischen Rand drängen zu lassen.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal