Wie einst Nixon

07.07.25 14:40 Uhr

Das Ende des Zwölftagekrieges hinterlässt einen Iran in extrem gefährlicher Lage. Das Land ist tief verwundet und gedemütigt. Es hat jedoch auch Resilienz bewiesen – und könnte deshalb gerade in seiner Entschlossenheit umso bestärkter sein. Das Risiko ist hoch, dass sich das schwer angeschlagene Land nun zu einem unberechenbaren Akteur entwickelt. Um dies zu verhindern, braucht es einen neuen Ansatz in der Iranpolitik.Unklar ist bis heute, wie erfolgreich die Bombardierungen der iranischen Nuklearanlagen tatsächlich waren. Optimistische Einschätzungen gehen davon aus, dass das Atomprogramm um Jahre zurückgeworfen wurde; weniger günstige sprechen lediglich von einigen Monaten. Das Programm hatte von jeher zwei Aspekte: einen technischen und einen politischen. Während der Krieg den technischen Aspekt möglicherweise aufgehalten hat, hat er den politischen eher befördert.Bis zuletzt gingen amerikanische Geheimdienste davon aus, dass die politische Entscheidung zur nuklearen Bewaffnung von der iranischen Führung nicht getroffen wurde. Der Krieg hat die Anreizstruktur jedoch grundlegend verändert. Aus Sicht des Regimes erscheint es nun rational, die Bombe anzustreben – als ultimative Überlebensversicherung und um sich aus dem geopolitischen Abwärtsstrudel zu befreien.Die angekündigte Aussetzung der Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) ist dabei nur ein erster Schritt. Der Ausstieg aus dem Nichtverbreitungsvertrag könnte dem folgen. In jedem Fall legt Teheran bewusst einen Mantel der Dunkelheit über sein Atomprogramm – ein Horrorszenario für den Westen.Doch das Kriegsende ist auch eine Stunde der Wahrheit für die Islamische Republik. Nie zuvor war das Land sicherheitspolitisch in einer ähnlich prekären Lage. Die über Jahrzehnte aufgebaute Abschreckungsstrategie liegt in Trümmern. Aus der Levante – und damit dem für das Regime ideologisch so zentralen Kampf um Palästina – wurde der Iran gänzlich verdrängt. Die viel beschworene „Achse des Widerstands“ mit ihrem Konzept der „Vereinigung der Schlachtfelder“ hat versagt. Kein einziger Verbündeter ist Teheran zu Hilfe geeilt. Auch der „Blick nach Osten“ – die Einbindung in chinesisch-russische Strukturen und eine imaginierte autoritär-antiwestliche Koalition – hat dem Land im Moment der Not kaum etwas Konkretes gebracht. Die bittere Erkenntnis aus diesem Krieg ist die einer tiefen Einsamkeit.Es ist nicht die Stärke, sondern es ist gerade die eigene Schwäche, die den Iran so gefährlich macht.Aus dieser Einsamkeit erwächst Revanchismus. Der Krieg hatte nicht nur das Ziel, das iranische Atomprogramm zu stoppen. Vielmehr wurde laut israelischem Premierminister und zahlreichen westlichen Politiken ein Regimewechsel in Teheran angestrebt. Gerade dieses Ziel erweist sich nun jedoch als Hindernis für jede Diplomatie. Bereits der amerikanische Ausstieg aus dem 2015 geschlossenen Atomabkommen hatte das Misstrauen in Teheran vertieft. Die nun erfolgte, von den USA gedeckte israelische Aggression – inmitten eines laufenden Verhandlungsprozesses – dürfte dieses Misstrauen in schwindelerregende Höhen getrieben haben. In einer Welt ohne Regeln scheint für ein Land, das sich weltanschaulich-geopolitisch dem Hegemon entgegenstellt, nur ein gangbarer Weg: der nordkoreanische. Frei nach Carl Schmitt: souverän ist, wer über die Bombe verfügt.Für die westliche Iranpolitik, die aufgrund der selbstverschuldeten europäischen Irrelevanz eine mittlerweile rein amerikanische Angelegenheit ist, ergeben sich aus dieser iranischen Anreizstruktur zwei Optionen: Die erste besteht darin, das geschwächte Land weiter in die Ecke zu drängen: eine Politik des „maximalen Drucks“ im Geiste der trumpschen „Peace through Strength“-Doktrin. Da ein Einlenken für Teheran einer ideologischen Selbstaufgabe gleichkäme, würde eine solche Politik zwangsläufig zum nächsten Krieg oder, allerdings wenig wahrscheinlich, zum erhofften Regimewechsel führen. Dass ein solches Szenario ähnlich glimpflich verläuft wie der letzte Krieg, ist keineswegs sicher. Ein Regime im Überlebensmodus hätte noch andere Eskalationsstufen zur Verfügung, die es bisher bewusst vermieden hat.Der äußere Druck auf das Regime hat einen paradoxen Effekt: Einerseits soll er das Land vom Griff nach der Bombe abhalten, andererseits verstärkt er aus Sicht Teherans gerade diesen Anreiz. Es ist nicht die Stärke, sondern es ist gerade die eigene Schwäche, die den Iran so gefährlich macht.Daraus ergibt sich für den Westen eine zweite Option: Statt das Land durch Druck zur Bombe zu treiben, müsste es darum gehen, Teheran einen Ausweg aus der strategischen Sackgasse zu weisen. Realistisch betrachtet ist die Islamische Republik in ihrem jetzigen Zustand militärisch keine Bedrohung mehr – weder für den Westen noch für Israel. Wenn sie denn nicht zur Bombe greift. Innenpolitisch steht das Land ohnehin vor großen Umbrüchen. Es kann in Richtung „Nordkoreanisierung“ und Radikalisierung abgleiten. Doch gerade jetzt ist es möglicherweise auch empfänglicher denn je für einen „Grand Bargain“, einen historischen Kompromiss, der seine außenpolitische Ausrichtung grundsätzlich verändert.Der Oberste Revolutionsführer Ali Khamenei war während des Krieges kaum präsent. Versteckt in einem Bunker, wartete er das Ende ab. Auch wenn das Regime den Widerstand gegen die Angriffe nun als Sieg feiert, ist unbestreitbar, dass es versagt hat, die eigene Bevölkerung vor einer ausländischen Aggression zu schützen. Mit 86 Jahren wird sich Khamenei von dieser Niederlage kaum erholen. Alles deutet auf Wandel hin, die Frage ist nur: in welche Richtung?Den klügeren Regimetreuen dürfte nicht entgangen sein, wie tief der Graben zwischen Elite und Volk inzwischen ist.Außenpolitischer Druck wird das Regime, auch unter neuer Führung, stark abhängig von den mächtigen, wenn auch geschwächten Revolutionsgarden machen. Dies dürfte nicht nur den Griff zur Bombe beschleunigen, sondern auch die innenpolitische Repression verschärfen. Bereits während des Krieges begannen Massenverhaftungen von Oppositionellen und vermeintlichen Kollaborateuren. Das Regime versinkt in Paranoia.Die „Theory of Change“ der „Maximaler Druck“-Fraktion im Westen lautet folgendermaßen: je isolierter das Regime, je härter die Sanktionen, desto wahrscheinlicher ein Volksaufstand bis hin zum Regimewechsel. Doch die historische Bilanz dieser Annahme ist bestenfalls durchwachsen. Die Revolution von 1979 erfolgte nach einer Phase beispiellosen Wirtschaftswachstums und internationaler Anbindung. Die Sanktionspolitik schwächt zwar das Regime, allerdings ebenso die Gesellschaft. Letztere ist womöglich der größere Verlierer und dadurch gerade nicht in der Lage, grundlegende Veränderungen zu erzwingen.Trotz ihrer Beharrlichkeit ist die iranische Führung kein Monolith. Sollte Amerika Iran einen echten „Grand Bargain“ anbieten – vollständiger Sanktionsverzicht und Wiedereingliederung in die Weltwirtschaft gegen internationale Kontrolle des Atomprogramms –, könnten sich künftige Machthaber grundlegende Fragen stellen. Die außen- und innenpolitische Radikalisierung mag derzeit vielen im Regime als alternativlos erscheinen, ist aber nicht risikolos. Scheitert sie, ist ein neuer Krieg unausweichlich. Der Ausgang wäre ungewiss. Verringert sich jedoch der äußere Druck, könnte die Zeit für innere Reformen kommen. Den klügeren Regimetreuen dürfte nicht entgangen sein, wie tief der Graben zwischen Elite und Volk inzwischen ist. Auf Dauer überlebt kein Regime gegen den Widerstand der eigenen Bevölkerung.Hier lohnt sich ein Blick nach Saudi-Arabien: Das Königreich hat zuletzt umfassende Reformen von oben durchgesetzt. Im Einklang mit den Hoffnungen großer Teile seiner Bevölkerung hat der Kronprinz einen rigiden Islamismus hinter sich gelassen, ohne das politische Primat des Königshauses aufs Spiel zu setzen. Ganz im Gegenteil. Im Unterschied zur Islamischen Republik ist Saudi-Arabien heute eine Zustimmungsautokratie. Der weltanschauliche, aber gleichzeitig regime-stabilisierende Wandel im Lande des einstigen Erzkonkurrenten im Kampf um die regionale Vorherrschaft dürfte auch Teheran nicht entgangen sein.Nicht nur für den Iran, auch für den Westen könnte Riad ein Vorbild sein. Saudi-Arabien hat sich außenpolitisch neu erfunden – und dem einstigen Erzfeind Iran die Hand gereicht. Die arabisch-iranische Annäherung ist heute ein Fakt. Im Westen kaum beachtet, hat der Iran regional durchaus einen Zivilisierungs- und Integrationsprozess durchlaufen. Aus saudischer Sicht hat sich das Experiment gelohnt: Als der Worst Case – ein israelisch-iranischer Krieg – eintrat, hat Teheran nicht gegen die mit den USA verbündeten Golfstaaten zurückgeschlagen. Das zeigt zweierlei: Teheran ist rational genug, kein Harakiri zu begehen. Und: es ist in der Lage, auch langjährige ideologische Feindschaften pragmatisch zu überwinden.Für eine „Saudisierung“ der westlichen Iranpolitik wäre wohl niemand geeigneter als US-Präsident Donald Trump. Der von ihm so benannte Zwölftagekrieg war zwar ein Rückfall in alte amerikanische Reflexe. Das von Washington sehr schnell erzwungene Kriegsende hat jedoch ebenso klargemacht, wie risikoavers Trump letztlich ist. Bloß keinen neuen „Forever War“ mit ungewissem Ausgang. Frieden mit Iran ist – wie der Sanktionsverzicht für Syrien – nichts für Ideologen. Er setzt jemanden voraus, der maximale Disruption mit maximalem Pragmatismus verbindet. Nixon ging einst nach China – warum nicht Trump nach Teheran?Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal