„Wir haben Krisen überstanden und können auch jetzt wieder Tritt fassen“

17.07.25 15:00 Uhr

Die Fragen stellte Philipp Kauppert.Das slowenische Parlament hat kürzlich beschlossen, ein konsultatives Referendum über die Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2030 abzuhalten. Was ist der Hintergrund dieser Entscheidung?Referenden haben in der demokratischen Kultur Sloweniens eine lange Tradition. Es ist nicht ungewöhnlich, die Bevölkerung bei sensiblen Fragen einzubeziehen. In diesem Fall geht es um eine grundlegende Debatte darüber, wie ein kleines, friedensorientiertes Land wie Slowenien auf die veränderte sicherheitspolitische Lage reagieren sollte. Dabei stellen sich Fragen der Finanzierung, der strategischen Prioritäten und möglicher Zielkonflikte mit dem Sozialstaat. Die Regierung hat sich zwar verpflichtet, in diesem Jahr zwei Prozent und bis 2030 drei Prozent des BIP für Verteidigung auszugeben – entsprechend unserer parlamentarischen Resolution und den Bündnisverpflichtungen. Doch ein Koalitionspartner hat ein Referendum vorgeschlagen, um der weitverbreiteten Verunsicherung Rechnung zu tragen. Ob es zu einer Volksabstimmung kommt oder nicht – wir schulden der Bevölkerung eine klare Antwort. Diese Debatte muss geführt werden, mit oder ohne formelle Abstimmung.Ministerpräsident Golob hat sogar ein Referendum über die NATO-Mitgliedschaft Sloweniens ins Spiel gebracht. Deutet das auf tiefergehende außenpolitische Spannungen hin?Die NATO-Mitgliedschaft Sloweniens wird nicht ernsthaft infrage gestellt. Eine große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger sowie der Regierung steht fest hinter dem Bündnis. Der Vorschlag des Premierministers wurde nicht dem Parlament vorgelegt. Die politische Debatte läuft zwar, doch ich verstehe sie eher als Teil eines demokratischen Klärungsprozesses in einer geopolitisch angespannten Zeit. Mit Blick auf die anstehenden Wahlen rechne ich damit, dass sich die Emotionen wieder beruhigen. Entscheidend ist jetzt, dass die Regierung ihre Strategie transparent erklärt.Slowenien hat bisher das NATO-Ziel von zwei Prozent Verteidigungsausgaben nicht erreicht. Wird sich das ändern? Und langfristig: Könnte die slowenische Wirtschaft von höheren Verteidigungsbudgets profitieren?Das ist ein sensibles Thema. Die Erfahrungen mit den Jugoslawienkriegen wirken bis heute nach. Unsere Gesellschaft hat eine Haltung, die stark von einer Diplomatie- und Friedensorientierung geprägt ist. Gleichzeitig erkennen wir die wachsenden Bedrohungen um uns herum. Die NATO bleibt ein zentraler Pfeiler unserer Sicherheit. Aktuell liegen wir bei etwa 1,5 Prozent des BIP, streben aber in diesem Jahr die Zwei-Prozent-Marke an.Unsere Gesellschaft hat eine Haltung, die stark von einer Diplomatie- und Friedensorientierung geprägt ist.Das ist Teil einer umfassenden Militärreform, die die Modernisierung unserer Streitkräfte bis 2040 vorsieht. Dabei geht es nicht nur um Waffenkäufe, sondern auch um Infrastruktur, Cybersicherheit und Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz mit doppeltem Nutzen. Investitionen in Satellitentechnologie oder Cyberabwehr stärken sowohl unsere militärische als auch unsere zivile Sicherheit. Solche strategischen Projekte stehen im Fokus.Deutschland betrachtet Slowenien als verlässlichen Partner in der Außenpolitik. Was würde sich ändern, wenn der rechtspopulistische Janez Janša bei den Wahlen im kommenden Jahr zurück an die Macht käme?Slowenien und Deutschland verbindet eine langjährige und enge Partnerschaft. Deutschland spielte eine Schlüsselrolle bei der Anerkennung unserer Unabhängigkeit, ist unser wichtigster Handelspartner und gehört zu den größten Investoren. Besonders stark sind wir in Bereichen wie Automobilindustrie, Tourismus und Logistik verflochten. Ein Regierungswechsel würde an diesen strukturellen Verbindungen wenig ändern. In außenpolitischen Fragen, insbesondere in Bezug auf die Ukraine und die europäische Sicherheitsordnung, vertreten wir sehr ähnliche Positionen. Die russische Aggression bleibt eine unmittelbare Bedrohung für die Stabilität unserer Region. Slowenien steht fest an der Seite der Ukraine. Wir unterstützen eine sofortige Waffenruhe – aber nur unter Bedingungen, die echte Friedensverhandlungen ermöglichen.Gibt es außenpolitische Differenzen mit Deutschland, zum Beispiel im Nahen Osten?Grundsätzlich teilen wir das Bekenntnis zum Völkerrecht. Aber Slowenien war in der Gaza-Frage kritischer. Bei der Debatte über das Assoziierungsabkommen der EU mit Israel haben wir klargemacht, dass Menschenrechtsverletzungen auch als solche benannt werden müssen. Nach der Genozid-Konvention haben alle Staaten eine rechtliche und moralische Verantwortung, auf solche Verstöße zu reagieren. Ich war enttäuscht, dass sich die EU nicht auf substanzielle Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung oder gegen Vertreibungen in Gaza einigen konnte. Ob eine neue Regierung hier tatsächlich eine andere Linie verfolgen würde, ist offen. Derzeit genießt unsere Außenpolitik jedoch breite Unterstützung. Erst heute hat eine große slowenische Zeitung getitelt, dass die Außenpolitik eines der wenigen Felder sei, dem die Bevölkerung noch Vertrauen schenkt. Das ist ermutigend.Sie waren früher Vorsitzende der Sozialdemokraten in Slowenien. Wie beurteilen Sie den Zustand der europäischen Sozialdemokratie?Wir stehen vor enormen Herausforderungen – in Slowenien wie in ganz Europa. Als Vizepräsidentin der Partei der Europäischen Sozialisten sehe ich, wie schwer es vielen sozialdemokratischen Parteien fällt, in dieser fragmentierten politischen Landschaft eine überzeugende Vision zu vermitteln. In Slowenien ist das politische Vertrauen generell erodiert. Die Wahlbeteiligung ist niedrig, das Misstrauen gegenüber demokratischen Institutionen wächst. Desinformation und die chaotische Medienlandschaft machen es schwer, klare Botschaften zu platzieren – und für die Bürger, zwischen Fakten und Fake-News zu unterscheiden.Die Menschen erwarten heute mehr Direktheit, mehr Klarheit und mehr Reaktionsfähigkeit.Das ist auch unsere Verantwortung. Aber das politische Klima ist insgesamt konfrontativer und instabiler geworden. Die Sozialdemokratie bleibt dennoch eine historisch verwurzelte Kraft in Slowenien. Wir haben Krisen überstanden und können auch jetzt wieder Tritt fassen – wenn wir schneller und mutiger auf den Wandel reagieren. Die Menschen erwarten heute mehr Direktheit, mehr Klarheit und mehr Reaktionsfähigkeit. Oft gelingt uns das allerdings nicht.Ist das ein spezifisch slowenisches Problem – oder ein gesamteuropäisches?Beides. In Slowenien sind wir politisch isoliert, umgeben von rechten Regierungen. Das erschwert eine progressive regionale Zusammenarbeit. Doch die Herausforderungen – Populismus, Nationalismus, politische Zersplitterung – sind in ganz Europa präsent. Es fehlt an glaubwürdiger Führung – an Persönlichkeiten mit jener Klarheit und Stärke, die frühere Generationen der Sozialdemokratie geprägt haben. Als Außenministerin sehe ich mit Sorge, wie sich die internationale Politik zunehmend von einer regelbasierten zu einer machtbasierten Ordnung entwickelt. Für kleine Länder wie Slowenien ist das existenziell. Wir sind auf funktionierende multilaterale Strukturen angewiesen. Doch selbst Institutionen wie der UN-Sicherheitsrat zeigen sich zunehmend handlungsunfähig. Nach zwei Jahren als nichtständiges Mitglied haben wir das aus nächster Nähe erlebt.Was heißt das für die Zukunft der Sozialdemokratie?Sie steht an einem Scheideweg. Die Menschen glauben weiterhin an soziale Gerechtigkeit und demokratische Werte. Fragt man sie nach den Prinzipien des Wohlfahrtsstaats, erhält man breite Zustimmung. Doch diese Werte führen nicht mehr automatisch zu politischer Loyalität. Populisten bieten einfache Antworten. Die Sozialdemokratie muss besser erklären, warum die Realität komplexer ist – nicht akademisch, sondern so, dass sie bei den alltäglichen Sorgen der Menschen ankommt. Dafür braucht es eine neue Art, wie wir Wahlkampf machen, kommunizieren und Vertrauen zurückgewinnen.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal