Zurück an den Tisch

30.06.25 12:15 Uhr

Seit dem Beginn der israelischen Operation „Rising Lion“ am 13. Juni 2025 und den darauffolgenden US-Luftschlägen auf die iranischen Atomanlagen in Fordo, Natanz und Isfahan hat sich die Gefahr einer unkontrollierten Eskalation und eines regionalen Flächenbrands im Nahen und Mittleren Osten dramatisch verschärft. Noch ist unklar, wie schwer die iranischen Atomanlagen durch die israelischen und US-amerikanischen Angriffe tatsächlich beschädigt wurden. Während Präsident Trump von einem „spektakulären militärischen Erfolg“ sprach, berichtete die New York Times unter Berufung auf einen vorläufigen Bericht der Defense Intelligence Agency, dass sich das iranische Atomprogramm womöglich nur um weniger als sechs Monate verzögert haben könnte.Zudem soll Teheran bereits im Vorfeld Teile seines angereicherten Urans an geheime Standorte verlagert haben. Ob die Angriffe also letzten Endes das iranische Atomprogramm dauerhaft gestoppt haben oder vielmehr die Überzeugung des Mullah-Regimes von der Notwendigkeit einer nuklearen Bewaffnung nur bestärkt haben, bleibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt mehr als fraglich.Doch eines steht fest: Der Iran darf niemals in den Besitz von Atomwaffen gelangen. Das Land muss alle Pflichten des Atomwaffensperrvertrags einhalten, denn ein nuklear bewaffneter Iran könnte ein atomares Wettrüsten in der Region auslösen und hätte gravierende Folgen für die internationale Sicherheit, weit über die Krisenregion hinaus. Wir dürfen uns zudem keine Illusionen über das Regime in Teheran machen: Es unterdrückt brutal die eigene Bevölkerung, destabilisiert die gesamte Region mit seiner Proxy-Strategie, unterstützt Putins Krieg gegen die Ukraine und steht hinter terroristischen Aktivitäten bis nach Europa. Das Mullah-Regime hat über Jahre hinweg bewusst an der Eskalationsspirale gedreht und wollte Fakten schaffen, um den Weg zu einer Atombombe unumkehrbar zu machen.Gleichwohl zeigen die gegenwärtigen Ereignisse, dass sich das iranische Atomprogramm allein militärisch vermutlich nicht dauerhaft zerstören lässt. Das Regime ist zwar außen- wie innenpolitisch massiv geschwächt, doch verfügt der Iran nach wie vor über bedeutende konventionelle Fähigkeiten und kann die Region durch seine – ebenfalls massiv geschwächten – Proxys wie die Hisbollah, Hamas oder Huthi-Milizen weiter destabilisieren. Zudem ist auch keineswegs gewiss, ob ein Sturz des Regimes tatsächlich zu einem liberalen und demokratischen Iran führen würde – oder das Land und die regionale Ordnung weiter ins Chaos stürzen würde.Die Konfliktparteien müssen nun dringend wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren.Vor diesem Hintergrund bleiben Verhandlungen der einzige und realistischste Weg, um das iranische Atomprogramm dauerhaft zu beenden. Die Konfliktparteien müssen nun dringend wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren. Es ist ein positives Signal, dass der amerikanische Präsident inzwischen eine Waffenruhe zwischen Israel und dem Iran verkündet hat. Dieser Moment sollte nun genutzt werden, um die am 12. April 2025 im Oman aufgenommenen Verhandlungen über ein neues Atomabkommen wieder fortzuführen. Nach Angaben des US-Sondergesandten Steve Witkoff sollen erste direkte und indirekte Gespräche zwischen Teheran und Washington bereits stattgefunden haben.Die große Herausforderung besteht darin, eine tragfähige Lösung zu finden, die die berechtigen Interessen und Sicherheitsbedenken Israels und der arabischen Nachbarstaaten ebenso berücksichtigt wie die Lage des geschwächten Iran. Ein möglicher Ansatz wäre, die bereits in den vorherigen Gesprächen im Oman diskutierte Idee eines regionalen Nuklearkonsortiums zwischen dem Iran, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten wieder aufzugreifen. Dieser Vorschlag fand sowohl in Washington als auch in Teheran positive Resonanz und könnte als Grundlage für ein neues Atomabkommen dienen.Eine gemeinsame Aufteilung und Nutzung zwischen mehreren Staaten würde nicht nur Transparenz schaffen, sondern auch die Gefahr eines nationalen atomaren Alleingangs erheblich reduzieren. Voraussetzung dafür ist freilich, dass der Iran glaubhaft und nachprüfbar auf eine atomare Bewaffnung verzichtet. Gleichzeitig müsste ein neues Abkommen mit robusten und verbindlichen Garantien versehen sein, um einen einseitigen Rückzug wie von den USA beim Wiener Abkommen von 2015 künftig zu verhindern.Letztlich könnte ein neues Nuklearabkommen über die Beendigung des iranischen Atomprogramms hinaus vielleicht sogar den ersten Schritt zu einer umfassenden regionalen Sicherheitsarchitektur im Nahen Osten und am Persischen Golf darstellen. Mittel- und langfristig wäre etwa die Schaffung einer massenvernichtungswaffenfreien Zone denkbar, wie sie das Gulf Research Center in Dubai bereits im Jahr 2004 vorschlug und 2005 vom Generalsekretär des Golfkooperationsrates und der Arabischen Liga bereits unterstützt wurde. Zwar mag die Vorstellung einer kernwaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten angesichts der derzeitigen Kriege und Spannungen utopisch erscheinen. Doch das wäre sie keineswegs. Erst am 16. Juni 2025 haben 21 arabische und mehrheitlich muslimische Staaten in einer gemeinsamen Erklärung eine atom- und massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten gefordert.Doch angesichts der jüngsten Eskalation sind jetzt kühne und vorausschauende politische und diplomatische Initiativen gefragt.Weltweit existieren bereits sechs atomwaffenfreie Zonen: in der Antarktis, Lateinamerika, Südostasien, Afrika, Zentralasien und im Südpazifik. Sie alle zeigen: Solche Zonen sind machbar, wenn ein gemeinsames Interesse und ein gemeinsamer Wille bestehen. Daran fehlt es derzeit im Nahen und Mittleren Osten ganz offensichtlich noch. Doch angesichts der jüngsten Eskalation sind jetzt kühne und vorausschauende politische und diplomatische Initiativen gefragt.Der Vorteil einer atomwaffenfreien Zone liegt auf der Hand: Einerseits schafft sie durch wirksame Verifikationsmechanismen und den klaren Verzicht auf eine Waffenkategorie einen regionalen Vertrauensprozess. Andererseits können die Kernwaffenstaaten und damit die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats durch ein ergänzendes Zusatzprotokoll dem Vertragsregime zusätzliche internationale Legitimität verleihen.Entscheidend ist, einen Prozess zur Schaffung einer nuklearwaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten überhaupt anzustoßen. Ein neues Nuklearabkommen mit dem Iran wäre dafür ein wichtiger erster Schritt und könnte dazu beitragen, die Spannungen und das tiefe gegenseitige Misstrauen in der Region abzubauen und die Aussichten für regionale Abrüstung zu verbessern. Dies läge gleichermaßen im Interesse Irans wie auch Israels. Diese Bemühungen sollten zudem in eine umfassende und institutionell verankerte Sicherheitskooperation eingebettet werden, die auf vertrauensbildenden Maßnahmen basiert und einen kontinuierlichen und verlässlichen Dialog zwischen den regionalen Akteuren ermöglicht.Gerade hier kann auch Europa, das bei den aktuellen Geschehnissen bislang eher Zaungast war, aufgrund seiner Erfahrungen mit der OSZE und seiner Beteiligung bei den JCPOA-Verhandlungen eine konstruktive Rolle spielen. Ein neuer diplomatischer Anlauf für ein Atomabkommen oder gar die Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten wäre in Zeiten wachsender globalen Spannungen und geopolitischer Verwerfungen ein wichtiges und dringend notwendiges Signal weit über die Region hinaus.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal