Einzelhandel

HDE-Chef: „Ein grandioses Weihnachtsgeschäft“

18.11.10 14:07 Uhr

Die 400.000 Firmen im Handelsverband Deutschland (HDE) beschäftigen fast drei Millionen Menschen. Hauptgeschäftsführer Stefan Genth über die Wiederauferstehung des deutschen Einzelhandels, anstehende Tarifverhandlungen und politische Gängelei.

Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverband Deutschland (HDE), Stefan Genth, im Interview mit Stephan Bauer (Euro am Sonntag) und Mario Müller-Dofel (Euro).

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Euro: Herr Genth, Politiker schwärmen, die deutsche Binnenkonjunktur ziehe an. Das hat man in diesem Jahrzehnt immer wieder gehört – aber der Einzelhandel stagnierte. Ist es diesmal wirklich anders?
Stefan Genth:
Da bin ich sehr zuversichtlich. Wir erwarten zum Beispiel ein grandioses Weihnachtsgeschäft - mit einem Umsatzplus von 2,5 Prozent gegenüber dem vorigen Jahr. Das ist die höchste Zuwachsrate seit fünf Jahren. Und mit rund 77 Milliarden Euro Umsatz im November und Dezember würden wir dann fast wieder auf dem Vor-Krisenniveau liegen.

Was bedeutet das für das Gesamtjahr 2010?
Genth:
Im Gesamtjahr könnte der Umsatz vielleicht sogar um rund zwei Prozent zulegen. Die Stimmung der Händler ist Umfragen zufolge auf dem besten Stand seit dem Wiedervereinigungsboom. Und ihre Geschäftserwartungen für das zweite Halbjahr 2010 sind auf einem Zehn-Jahres-Hoch. Die Krise ist damit eindeutig überwunden – auch wenn es auf Gesamtjahresbasis nicht ganz für neue Rekordstände reicht.

Haben die Deutschen tatsächlich ihre Sparsamkeit abgelegt?
Genth:
Sie werden konsumfreudiger. Man gönnt sich wieder etwas, wie die zweistelligen Zuwachsraten bei Schmuck und Uhren zeigen. Das kauft der Verbraucher nur, wenn er daran glaubt, dass es aufwärts geht. Die Deutschen waren selbst in den Boomjahren 2006 und 2007 nicht so kauffreudig wie jetzt, damals haben wir im Weihnachtsgeschäft nichts abbekommen.

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Was hat sich geändert?
Genth:
In den vergangenen Jahren haben die Menschen mehr Geld für Auto, Haus oder Wohnung ausgegeben. Jetzt wird der klassische Einzelhandel wieder entdeckt. Die Leute kaufen Möbel, Kleidung, Geschenke, geben mehr Geld für persönliche Dinge aus.

Gewinnt der Onlinehandel dabei weiter Marktanteile?
Genth:
Das Onlinesegment wächst nach wie vor schneller als der stationäre Handel. Im Onlinehandel erwarten wir im Weihnachtsgeschäft ein Umsatzplus von acht Prozent gegenüber dem Vorjahr auf rund sechs Milliarden Euro. Er erwirtschaftet übrigens zu Weihnachten mit einem Viertel seines Jahresumsatzes einen noch größeren Anteil als der stationäre Handel.

Nehmen die Wachstumsraten ab?
Genth:
Das Wachstumstempo ist nach wie vor hoch. Der Umsatz im Web hat sich in den vergangenen zehn Jahren bereits rund verzehnfacht und macht jetzt rund sieben Prozent des gesamten Handelsvolumens in Deutschland aus. Wir glauben, dass der Anteil noch deutlich über zehn Prozent steigen kann.

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Wann wird das Internetgeschäft den stationären Handel überholen?
Genth:
Wir rechnen nicht damit, dass dies in absehbarer Zeit geschieht. Der gesamte Einzelhandel macht rund 400 Milliarden Euro Umsatz im Jahr, davon entfallen große Teile auf den Lebensmittelhandel. Zudem ist die Dichte des stationären Handels in Deutschland sehr hoch.

Wie wird 2011 für die Branche?
Genth:
Wir gehen davon aus, dass sich der allgemeine Aufschwung auch im nächsten Jahr fortsetzt. Allerdings werden wir uns kaum markant besser entwickeln als 2010 entwickeln. Es gibt belastende Faktoren wie steigende Energiekosten oder das Sparpaket der Regierung. Zwar dürfte es in Boombranchen auch Lohnsteigerungen geben, etwa in der Automobilindustrie oder im Maschinenbau. Im Schnitt bleibt dem Konsumenten 2011 aber womöglich weniger im Geldbeutel.

Gewerkschaften und Politiker fordern branchenübergreifend Lohnerhöhungen. Wie sehen Sie das? Ihre Branche ist mit 400000 Unternehmen, fast drei Millionen Beschäftigten und 400 Milliarden Euro Jahresumsatz immerhin die drittgrößte hierzulande.
Genth:
Laut dem Statistischen Bundesamt haben wir in diesem Jahr eine vereinbarte Steigerung bei den Tarifgehältern von zwei Prozent. Wir haben also unsere Hausaufgaben gemacht.

Und wie geht’s weiter?
Genth:
Wir brauchen im Frühjahr 2011 neue Tarifabschlüsse. Weitere Lohnzuwächse sind für die Arbeitgeberseite aber zurzeit kein Thema. Schließlich haben wir keine Umsatz- und Gewinnzuwächse im zweistelligen Prozentbereich wie etwa der Maschinenbau oder die Autoindustrie. Wichtiger ist, dass wir mit der Gewerkschaft Verdi über Tarifverträge sprechen wollen, die an die moderne Zeit angepasst sind und nicht an die 50er Jahr des vergangenen Jahrhunderts. Wir wollen zum Beispiel die Bezahlung mehr an der Mitarbeiterleistung als an der Betriebszugehörigkeit ausrichten.

Welche Erwartungen an die Politik haben Sie für 2011?
Genth:
Es darf keine weiteren Belastungen geben, die den Konsum träfen. Wir brauchen eine Entlastung der mittleren Einkommen. Die deutsche Mittelschicht hat immer noch zu wenig Netto vom Brutto.

Wie steht es um die Ladenöffnungszeiten?
Genth:
Wir hoffen auch auf etwas mehr Freiheit bei der Ladenöffnung an Sonntagen. Das oberste Gericht hat hier ganz klar einen Rahmen gesetzt. Hier sollten die Händler entscheiden können, ob und wie sie diese Möglichkeiten nutzen. Das gilt auch für die Öffnung an Adventssonntagen. Die Gängelung durch die Bundesländer ist jedenfalls nicht der richtige Weg.

Einige Ökonomen fordern eine höhere Mehrwertsteuer von bis zu 25 Prozent, damit der Staatshaushalt schneller saniert werden kann. Ein Horror für Sie?
Genth:
Natürlich. Eine Mehrwertsteuererhöhung würde dem Konsum sofort schaden. Das wäre ein Gau für den Einzelhandel. Das Steuersystem in Deutschland muss mit einem Gesamtkonzept umgestellt werden. Aber dafür sehe ich keine Ansätze.


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