Kopf der Woche

Bankster-Autor: Der Mist war so richtig am dampfen

aktualisiert 06.09.11 10:54 Uhr

Was heute Griechenland, Spanien und Portugal sind, war vor drei Jahren Island: Kandidat für eine veritable Staatspleite.

von Martin Blümel, €uro am Sonntag

Der Schriftsteller Guðmundur Óskarsson hat mit dem Roman „Bankster“ die Island-Krise literarisch aufgearbeitet. Konjunktur, Währung und Börse auf Crashkurs. Inflation und Arbeitslosigkeit auf Höchstständen. Das einstige Wirtschaftswunderland Island stand in den vergangenen drei Jahren kurz vor der Staatspleite. Doch das Land hat sich berappelt: Die Verursacher der Krise, die aufgeblähten Banken, wurden verstaatlicht, die Gläubiger am Schuldenberg beteiligt, die Isländische Krone drastisch abgewertet. Eine Staatspleite befürchtet niemand mehr. Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Guðmundur Óskarsson über drei Jahre Krisenbewältigung.

Wer­bung

€uro am Sonntag: Vor fast drei Jahren stand Island vor der Staatspleite. Wie ist Ihre Erinnerung daran?
Guðmundur Óskarsson:
Ich erinnere mich gut. Das war Anfang Oktober 2008. Unser damaliger Premier Geir Haarde beschwor mit einer TV-Ansprache das Schicksal: „Gott rette Island“, hat er gerufen. Dramatisch, nicht? Manche fanden es pathetisch. Ich denke aber, dass er einfach nur deutlich sein wollte. Er wollte klarmachen, dass der Mist so richtig am Dampfen war. Aber so explizit konnte er das im Fernsehen ja nicht sagen. Nach der Ansprache ging es mir richtig schlecht. Ich war so enttäuscht, als ob ich dreisten Nigeria-Betrügern auf den Leim gegangen wäre.

Wie hat sich das Leben seither verändert?
Anfangs hatte ich große Sorgen. Allerdings hatte ich Glück und habe meinen Job im Gegensatz zu so vielen anderen nicht verloren. Ich bin ja immer noch bei der Landsbankinn angestellt ...
Dann waren Sie ja Teil des Bankster-Systems? Die Landsbankinn ist eine der Banken, die verstaatlicht wurden.
Nun ja. Ich bin Mitarbeiter in der Personalabteilung. Das ist mein Brotberuf. Und der ist doch weit weg vom Investmentbanking.

Stimmt. Aber fahren Sie bitte fort, wie hat sich das Leben seither verändert?
Die Löhne sinken auch drei Jahre nach Beginn der Krise noch, und gleichzeitig wird alles teurer. Aber wissen Sie, die Gebäude stehen immer noch, die Straßen winden sich aus der Stadt wie zuvor, und jeden Winter fällt eine Menge Schnee, den wir im Frühjahr in grünen Strom verwandeln. Die Fische sorgen für Nachwuchs, die Schafe, die Kühe, die Pferde auch. Die Luft ist frisch und kühl, die heißen Quellen sorgen für Entspannung. Und dass man kein Schwindelgeld mehr besitzt, das man für Dinge ausgibt, die man nicht wirklich braucht, hat das Leben einfacher und echter gemacht. Man hat aufgehört zu fantasieren. Allerdings dürften die Leute, die es nicht geschafft haben, ihren Blickwinkel zu ändern, immer noch paralysiert sein und Angst vor der Zukunft haben.

Wer­bung

Es dürften viele auf Schuldenbergen sitzen.
Ja. Viele Leute haben sich in Fremdwährung verschuldet, obwohl die meisten wussten, dass das ein gefährlicher Zock ist. Dabei sollte es für normale Menschen doch ein ehernes Gesetz sein, Schulden in jener Währung aufzunehmen, in der auch ihr Lohn ausgezahlt wird.


Hier gehts zum aktuellen Heft

Island ist seit Beginn der Krise auf die Schuldenbremse gestiegen, den Internationalen Währungsfonds IWF im Nacken.
So sieht es aus. Der IWF ist gekommen, mit einem roten Ordner, vollgepackt mit Notfallmaßnahmen. Die Regierung hat dann so ziemlich jede Steuer erhöht und noch einige neue erfunden. Sie haben einige Tausend Jobs gestrichen, im Gesundheitswesen, in der Bildung. Und natürlich in den verstaatlichten Banken. Es wird noch einige Zeit dauern, bis unsere nicht gerade vielschichtige Volkswirtschaft das ausbalanciert hat. Ich kenne einige Leute, die ihre Häuser verloren haben. Die Banken machen das aber ganz geschickt, indem sie den Menschen die gepfändeten Häuser zu vernünftigen Preisen vermieten. Anders geht es ja auch nicht – am Immobilienmarkt wimmelt es nicht von Käufern. Also ja: Es wurde auf die Bremse getreten.

Wer­bung

Letztlich hat das den Staatsbankrott verhindert.
Ach ja, der „drohende Staatsbankrott“. Das hat sich doch als Mythos herausgestellt. Ich weiß nicht, wie dicht Island dran war, aber anscheinend war zwischen uns und dem Abgrund noch genügend Platz für Griechenland, Irland und Spanien. Ich fühle mich besser damit zu glauben, dass wir tatsächlich bankrottgegangen sind – wie die anderen hoch verschuldeten Länder der Eurozone auch. Alles, was passiert ist, alle Leichen, die in den Kellern der Finanzministerien gefunden wurden – wenn das alles nicht zur Pleite führt, dann ist ein Staatsbankrott anscheinend unmöglich. Dann wäre aber doch das ganze Wirtschaftssystem ein Witz. Und das wäre ein wirklich höchst unangenehmer Gedanke.

Man liest, dass viele Isländer ihr Glück im Ausland suchen, etwa in Skandinavien. Dasselbe gilt für junge Griechen, die ihrem Land den Rücken kehren.
Ja, das stimmt. Vermutlich werde auch ich Island eine Zeit lang verlassen – aber auf keinen Fall für immer. Vermutlich werde ich einige Kilo Kabeljau mitnehmen müssen, um mich durch guten alten Tauschhandel über Wasser zu halten. Aber ernsthaft: Ich möchte mich fortbilden, vielleicht in Richtung Film. Fortbildung ist eine gute Sache, um schwierige Zeiten zu überstehen.

Die Bankster, die sich ja als neue Elite verstanden haben, sind Geschichte ...
Ja, Männer und Frauen an den wichtigen Stellen der Macht, die übertriebenes Vertrauen in ihre Fähigkeiten hatten, die glaubten, dass das Land eine Superspezies von Finanzwikingern hervorgebracht hatte. Das war ein Fehler.

Was ist mit neuen Helden, daran hat es Island doch eigentlich nie gemangelt?
Da gibt es eine Menge. All die Fischer und Unternehmer, die tatsächlich etwas produzieren, was man exportieren kann, was unsere Währung stärkt. Wir haben wohl auch wegen des rauen Klimas hartgesottene Leute, die gut mit der Krise umgehen. Aber wenn es um Bankgeschäfte geht, sollte man doch lieber auf Werte wie Erfahrung und Tradition setzen und weniger auf unseren tiefgefrorenen Genpool. Von den alten Bankern jedenfalls sind viele verhaftet und vernommen worden, jedoch meist sind sie jetzt wieder auf freiem Fuß. Auf einige warten Klagen in Luxemburg oder London. Der gefeuerte Zentralbankchef Davið Oddsson, mit einer der Verursacher der Blase, ist Chefredakteur der wich­tigsten isländischen Tageszeitung geworden, und unser Expremier Haarde muss sich vor einem Untersuchungsausschuss verantworten. Manche sprechen von einem politi­schen Prozess. Aber ich glaube, wir haben eine gute Justiz, die vernünftig mit Gesetzesbrechern umgeht.

Glauben Sie, dass es uns Kontinentaleuropäern an hartgesottenen Helden fehlt?
Es ist bedauerlich, wie schwach die Politiker der EU agieren. Früher gab es doch immer ein, zwei Leute, denen man gern zugehört hat. Aber heute? Natürlich geben sich alle Mühe, die Dinge am Laufen zu halten. Aber in einer ökonomielastigen Weltordnung, die auf Vertrauen und Zuversicht basiert – nicht auf Gold oder anderen materiellen Werten –, braucht es doch Führungspersönlichkeiten, die den Moment zu nutzen wissen, egal wie düster die Zukunft scheint. Leute, die mit ein, zwei Sätzen entwicklungsfähige Visionen entwerfen können, ohne dass sie mit hohlen Versatzstücken hantieren. Will man immer nur von Rettungsschirmen hören, von Eurobonds und einer Transferunion? Nein, wir brauchen einen Helden, der uns wieder Sand in die Augen streut. Was sicher auch traurig ist, gewiss.

Und trotzdem will Island der Eurozone beitreten?
Tja, ob das so eine gute Idee ist? Die Eurozone ist wie eine Party, die mal richtig toll war. Die Gäste hatten Spaß, tranken, redeten, tanzten. Aber jetzt ist es vier Uhr morgens, und die Leute, die geblieben sind, schlafen ihren Rausch auf dem Sofa aus, machen im Nebenzimmer rum oder diskutieren leidenschaftlich darüber, ob nun Johnny Cash oder Nirvana aufgelegt wird.

Was hat man gelernt aus der Krise? Island galt einst als beispielhaft dafür, wie man die Wirtschaft ankurbelt. Paul Krugman findet Island inzwischen beispielhaft dafür, wie man Krisen meistert.
Zwei Lektionen: eine für Island, die andere für die Welt. Island sollte sich auf das konzentrieren, was es kann. Und die Welt sollte etwas vorsichtiger mit dem Begriff „beispielhaft“ umgehen.

zur Person, zum Buch:

Guðmundur Óskarsson,
Schriftsteller und isländischer Banker

Herbst 2008: Die Finanzkrise erschüttert das isländische Bankwesen, Island steuert auf die Staatspleite zu. Markús verliert über Nacht seinen Job bei einer Bank. Mit einem Schlag ist es vorbei mit dem süßen Leben.
In seinem Roman „Bankster“ erzählt der 32-jährige Guðmundur Óskarsson – selbst Angestellter einer isländischen Bank – von der Krise eines jungen Mannes, dessen Leben durch den Crash aus den Fugen gerät. Gleichzeitig ist „Bankster“ das Porträt einer Gesellschaft, deren blinder Wachstumsglaube jäh erschüttert wird. Der Roman ist neu bei der Frankfurter Verlagsanstalt erschienen. Präsentiert werden Autor und Buch auch beim Island-Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse (12.–16. Oktober).