Umkehrhypotheken: Knabbern am eigenen Häuschen
Mit Umkehrhypotheken können sich Senioren mit Immobilienbesitz eine Altersvorsorge sichern. Für wen das Modell in Frage kommt, wo Risiken liegen.
von Stephan Haberer, €uro am Sonntag
Immobilienbesitzer – das klingt nach Reichtum und sorgenfreiem Leben. Doch weit gefehlt. Das statistische Bundesamt ermittelte: In jedem vierten Haushalt von Personen zwischen 55 und 69 Jahren, die über selbstgenutzte Immobilien im Wert von mindestens 100.000 Euro verfügen, ist das Geld knapp. Gerade mal 1.150 Euro monatliches Einkommen je Haushaltsmitglied steht dort zur Verfügung. Bei zehn Prozent dieser Haushalte sind es sogar weniger als 870 Euro pro Person und Monat. Das Risiko, arm zu werden, beginnt in Deutschland offiziell bei knapp 940 Euro im Monat.
Das selbstgenutzte Häuschen oder die Eigentumswohnung ist zwar Vermögen. Doch das lässt sich ohne Auszug und Verkauf nicht versilbern, meinen viele. Ein Trugschluss. Mit einer Umkehrhypothek oder Immobilienrente kann man aus Beton und Stein eine Rente machen, ohne das eigene Haus verlassen zu müssen. Laut einer aktuellen Umfrage haben davon aber gerade mal 6,7 Prozent der Deutschen gehört.
Zwei Varianten der Betonrente
Deutschland-Pionier bei der „Betonrente“ ist die Immokasse aus dem bayerischen Oberhaching, die damit bundesweit 2009 startete. Die Investitionsbank Schleswig-Holstein ist mit einem ähnlichen Produkt seit Frühjahr 2010 aktiv – jedoch nur im nördlichsten Bundesland. Ab Anfang 2012 will auch die R + V Versicherung über die Volks- und Raiffeisenbanken eine solche Rente anbieten. Daneben gibt es kleinere Akteure wie die Stiftung Liebenau am Bodensee, die – wie die Caritas Krefeld und einzelne Sparkassen im Rheinland – nur in ihrer Region aktiv ist.
Bei der ersten gehört die Immobilie weiter dem bisherigen Besitzer, der das Objekt beleiht. Dieses Darlehen muss erst bei Verkauf, Auszug oder Tod zurückgezahlt werden. Bei der zweiten muss das Haus verkauft werden, der bisherige Besitzer erhält neben einer lebenslangen Rente auch ein lebenslanges Wohnrecht.
Auf die erste Variante setzt die Immokasse Oberhaching. Die Idee ist recht simpel: Wer Wohneigentum hat, kann sich einen Teil des Immobilienwerts als Darlehen auszahlen lassen. Grundregel: Je höher der Wert des Objekts und je älter der Besitzer, desto höher die maximale Darlehenssumme. Dabei werden Zins und Tilgung bis zum Verkauf des Objekts, Auszug oder Tod des Besitzers gestundet. Ein Überschuldungsschutz sorgt dafür, dass die Gesamtschuld aus Darlehen, Zins und Stundungspauschale den Wert der Immobilie nicht übersteigt.
Das maximale Darlehen für einen 65-Jährigen liegt bei gerade mal 15 Prozent des Immobilienwerts, für einen 80-Jährigen bei knapp 35 Prozent. „Das ist auf den ersten Blick wenig. Aber die Deutsche Kreditbank, die letztlich unseren Kunden den Kredit gibt, weiß ja nicht, wie lange der Kunde noch in der Immobilie wohnt, und was diese in 20 oder 30 Jahren wert sein wird“, sagt Lutz Delius, Geschäftsführer der Immokasse. Man könne also nicht im Voraus die Finanzierung auf den Einzelfall abstimmen, sondern müsse mit kräftigen Sicherheitsabschlägen rechnen.
Das Langlebigkeitsrisiko
Delius rät dennoch, erst mal Alternativen zu prüfen (siehe unten). „Nur wer keine Alternativen hat oder diese nicht nutzen möchte, sollte eine Umkehrhypothek abschließen.“ Trotzdem steigt das Interesse: Etwa 600 Anfragen bearbeitet die Immokasse Monat für Monat, aus denen letztlich monatlich etwa 40 Abschlüsse resultieren. „Unsere Kunden sind im Schnitt 75 Jahre alt und erhalten ein durchschnittliches Darlehen von 70.000 Euro.“ Wer will, kann das Geld ganz oder teilweise in sofort beginnende Rentenpolicen stecken und so eine monatliche Rente generieren.
Bei der ImmobilienRente, mit der die R + V-Versicherung zum 1.1.2012 startet, ist die monatliche Rente Standard. Dabei erhält laut Beispielrechnung ein 75-jähriger Mann, der sein Haus mit einem Wert von 300.000 Euro beleiht, aus der R + V-Immobilienrente eine monatliche Zahlung von rund 700 Euro – sein Leben lang. Besonderheit: Bei Auszug aus der Immobilie vor dem 85. Geburtstag endet bei der R + V die Rentenzahlung und das Darlehen muss abgelöst werden. Durch den Verkauf des Hauses ist das aus R + V-Sicht aber kein Problem. Der Kunde erhalte zwar aus der R + V-Immobilienrente keine monatlichen Leistungen mehr, verfüge aber durch den Verkauf über Barvermögen. Zudem lebt die Rente in anderer Form wieder auf, wenn der Kunde 85 Jahre alt wird. „Wir bauen parallel zur Leistungsphase aus dem Darlehen einen Rentenanspruch für den Kunden auf“, so R + V-Direktor Rolf Meyer.
Genau da hakt es bei der Umkehrhypothek der Investitionsbank Schleswig-Holstein (IBSH). Beim IBSH-Modell endet die Rentenzahlung, wenn der Kunde seine statistische Lebenserwartung erreicht hat. Das ist bei einem heute 70-jährigen Mann laut IBSH-Beispielrechner mit 90 Jahren der Fall. Dann wird der Kredit zwar für weitere fünf Jahre gestundet. Doch spätestens mit 97 Jahren muss der Kunde zumindest die Kreditzinsen zahlen oder das Haus verkaufen oder ausziehen. Keine schönen Aussichten für Johannes Heesters und Co.
Instandhaltung inklusive
Ganz anders funktionieren die Modelle der Stiftung Liebenau und der Caritas Krefeld. Bei beiden muss das selbstgenutzte Haus an die jeweilige Stiftung verkauft werden. Das klingt für viele, die an ihrem Haus hängen, nicht gerade verlockend. Doch im Gegenzug erhalten sie nicht nur ein lebenslanges Wohnrecht in ihrer Immobilie und eine zusätzliche Rente, sondern sie müssen sich – anders als beim Darlehensmodell – künftig auch nicht mehr um teure Instandhaltungen kümmern.
Grundsätzlich ergibt sich auch bei der Stiftung Liebenau die Höhe der Immobilienrente aus dem Wert der Immobilie, dem Alter des Stifters und einem Risikoabschlag. Zudem werden der Wert des lebenslangen Wohnrechts sowie laufende Kosten abgezogen, bevor aus dem verbleibenden Wert der Immobilie die Höhe der „ZustifterRente“ errechnet wird. So erhält eine 76-jährige Frau, die ein Haus im Wert von 400.000 Euro besitzt, eine monatliche Rente von rund 820 Euro. Bei Verzicht auf das Wohnrecht oder bei Tod wird ein eventuell noch vorhandener Restwert ausgezahlt.
Vorsicht Stolpersteine:
Verkauf
Wer emotional kaum an sein Haus gebunden ist, sollte überlegen, ob der Verkauf des Hauses über den Markt nicht sinnvoller ist.
Alter
Je jünger man beim Abschluss einer Umkehrhypothek ist, desto niedriger ist die gezahlte Rente, da die Anbieter dann mit einer langen Rentenphase rechnen.
Standort
Die Immokasse erklärt offen, dass sie für viele Regionen Deutschlands keine Angebote macht. Grund dafür ist die demografische Entwicklung, die zu kräftigem Wertverlust der Objekte führt. So vertreibt die Immokasse die ImmoRente Plus weder in großen Teilen Ostdeutschlands noch in anderen strukturschwachen Gebieten. Andere Anbieter sind nur regional tätig oder verlangen einen relativ hohen Mindestverkehrswert von 250.000 Euro.
Alternativkredite
Wer lediglich kurzfristig Geld braucht, sollte sich um ein klassisches Darlehen bemühen. Jedoch vergibt kaum eine Bank Immobiliendarlehen auch noch an Senioren über 65.
Erben
Wer seinen Kindern die Immobilie vererben will, sollte überlegen, ob man das Objekt gegen Zahlung einer (lebenslangen) Leibrente an die Erben überträgt.