Steuern

Digitale Schlupflöcher bei der Steuererklärung

aktualisiert 25.06.19 13:48 Uhr

Digitale Schlupflöcher bei der Steuererklärung | finanzen.net

In deutschen Finanzämtern hilft Kollege Computer, die Steuererklärungen auf Richtigkeit zu prüfen. Doch im System stecken Fehler, die Clevere ausnutzen.

von Michael H. Schulz, €uro am Sonntag

Manchmal schießt der Fiskus ein Eigentor. Dann geht die Steuererklärung als Blankoscheck durch, in der man eine x-beliebige Summe einträgt und beim Finanzamt einlöst.

Wer­bung

Weltfremd? Absurd? Ganz ab­wegig ist das nicht. Zumindest ist es laut einer Auswertung von Stichproben aus den Jahren 2005 bis 2008 zum Abzug von Handwerkerkosten laut Bundesrechnungshof nicht unwahrscheinlich. Konkret kritisieren die obersten Haushaltsprüfer des Bundes das elektronische Risiko­management (RMS) 2.0 der Finanzverwaltung, das die Steuergesetze in der Praxis automatisch vollzieht.

Die Prüfsoftware checkt nicht nur die 8,6 Millionen elektronisch versendeten Steuererklärungen, die Steuerpflichtige 2010 ­abgaben, sondern auch die handschriftlich ausgefüllten Formulare, die im Finanzamt gescannt werden. Eigentlich soll die Software das Risiko von Steuerausfällen minimieren, doch paradoxerweise öffnet ausgerechnet Kollege Computer beim ­Finanzamt manchem Steuerpflichtigen Schlupflöcher.

Beispielsweise bei der Steuer­ermäßigung von Handwerkerkosten. Zusammen mit dem Steuerabzug für haushaltsnahe Dienstleistungen mit schätzungsweise vier Milliarden Euro eine der größten Steuersubventionen. "Die Finanzämter gewährten die Steuerermäßigung in 80 bis 90 Prozent der Fälle allein aufgrund der Angaben der Steuerpflichtigen zur Höhe der Aufwendungen. Ohne jegliche Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen", beanstanden die Rechnungsprüfer und urteilen: "Die Mängel dieses Verfahrens können dazu führen, dass das Steuerformular zu einem Blankoscheck wird."

Wer­bung

Der Grund: Die digitale Software reagiert nur auf bestimmte programmierte abzugsfähige Höchstbeträge, wie beispielsweise die Höchstgrenze von 1.250 Euro für das beschränkt absetzbare Arbeitszimmer oder 1.200 Euro für Handwerkerkosten. Tragen Steuerpflichtige anstelle der lediglich begünstigten Arbeitskosten jedoch den gesamten Rechnungs­betrag einschließlich der Materialkosten ein, und liegt der Betrag unterhalb der Wertgrenze von derzeit maximal 1.200 Euro für Handwerkerleistungen, winkt das System in den meisten Fällen die Erklärung durch. Ein glatter Verstoß gegen das Einkommensteuergesetz. Denn Materialkosten sind laut Gesetz nicht absetzbar, sondern nur die Lohnkosten des Handwerkers. Warum also nicht auf den Anreiz reagieren, wenn Beamte die Steuerermäßigung in 80 bis 90 Prozent der Fälle ohne Nachfragen abhaken? "Unerkannt und unbeanstandet bliebe auch, wenn der Steuerpflichtige als förderfähige Leistung die Reparatur seines Autos eintragen würde, weil der Risikofilter nur Zahlen und keine Texte miteinander vergleichen kann", hebt der Bundesrechnungshof zugespitzt hervor. Mehr noch. Bei 50 Prozent der Stichproben stellten die Rechnungsprüfer fest, dass Steuerpflichtige die Kosten für Kaminkehrer und die Modernisierung einer Heizungsanlage steuerlich geltend machten und gleichzeitig eine Förderung im Rahmen des CO2-Gebäudesanierungsprogramms durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bezogen. Eine solche Doppelförderung ist ebenfalls nicht im Sinn des Gesetzgebers. Dazu heißt es im Einkommensteuergesetz in Paragraf 35a, Absatz 3: "Für die Inanspruchnahme von Handwerker­leistungen ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer auf Antrag um 20 Prozent der Aufwendungen, höchstens jedoch um 1.200 Euro. Das gilt nicht für öffentlich geförderte Maßnahmen."


Hier gehts zum aktuellen Heft

Seit Anfang 2011 gewährt Vater Staat den Steuerabzug von Handwerkerleistungen zwar nur, wenn keine öffentlichen Förderungen in Form von Zuschüssen und zinsverbilligten Darlehen in Anspruch genommen werden. Fraglich ist allerdings, wie gut der Informationsaustausch zwischen den öffentlichen Förderträgern und den Finanzämtern in der Praxis funktioniert.

Wer­bung

Der Bundesrechnungshof kritisierte jedenfalls die derzeitige Praxis, die auch im Widerspruch zu der Abgabenordung steht. Demnach fordert der Untersuchungsgrundsatz, dass die Angaben des Steuerpflichtigen zumindest auf ihre Schlüssigkeit zu überprüfen sind. Das geschieht aber bei der Prüfung der Absetzbarkeit von Handwerkerkosten im Rahmen des elektronischen Risikomanagements der Finanzverwaltung in der Regel nicht. Die Gründe dafür sind oft hausgemacht. So sollen Beamte vielerorts nur noch die Steuererklärungen intensiv prüfen, bei denen viel zu holen ist. Das ist regelmäßig bei Unternehmern im Rahmen der Umsatzsteuer der Fall. Hier soll die Prüfsoftware das Risiko von Steuerbetrug mit sogenannten Karussellgeschäften herausfiltern. Steuererklärungen von Unternehmern teilt das System in drei Risikogruppen auf. Spuckt der Computer Warnhinweise aus, muss der Finanzbeamte persönlich nachhaken. Hierbei sollen sich Beamte mehr Zeit lassen.

Bei der gewöhnlichen Steuer­erklärung von Arbeitnehmern hingegen gibt es jährlich wechselnde Prüfungsschwerpunkte, die von den Oberfinanzdirektionen beziehungsweise den Landeszentralämtern für Steuern festgelegt werden.

Interne Vorschriften an die Beamten und Papierkram konterkarieren manchen Prüfungsschwerpunkt. So sollen etwa in Niedersachsens Fi­nanz­ämtern Beamte bis zu 20 Steuer­erklärungen von Arbeitnehmern am Tag bearbeiten. Das persönliche Nachhaken beim Steuerzahler bleibt dabei auf der Strecke. Denn das computergestützte System muss erst mal mit Kennziffern gefüttert werden, die sich auf den amtlichen Vordrucken befinden. Der Computer reagiert nur auf größere Abweichungen im Vergleich zum Vorjahr.

Besonders kurios: Bei einigen Finanzämtern gibt es Probleme mit amtlichen Formularen, die auf Umweltpapier gedruckt sind. Die Prüfsoftware reagiert schlecht auf recyceltes Papier und spuckt viele Fehlermeldungen aus. Kein Wunder also, dass viele Beamte angesichts des Mehraufwands bei einfachen Fällen Dienst nach Vorschrift machen und nicht weiter nachhaken.

Das hat Folgen. Bemerkt der ­Beamte den Fehler erst, wenn der Steuer­bescheid bestandskräftig ist, kann er diesen nicht mit einem ­Änderungsbescheid korrigieren. "Mussten sich der Finanzverwaltung Zweifel bei der Prüfung der Steuererklärung beziehungsweise im Veranlagungsverfahren und in den eingereichten Unterlagen aufdrängen, darf sie diese nicht ignorieren und endgültig veranlagen", urteilte das Finanzgericht Münster. Vielmehr müsse der Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergehen (Az. 7 K 4838/08 E).

Die gesamte Thematik kann noch weitere Konsequenzen nach sich ziehen. Weil das Problem in den Finanz­ämtern nicht behoben werden kann, legen die obersten Haushaltsprüfer dem Gesetzgeber nahe, "die Steuerermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerker­leistungen abzuschaffen". Eine Steilvorlage für den ohnehin sparwütigen Bundes­finanzminister Wolfgang Schäuble, das Eigentor des Fiskus wiedergutzumachen.

Bildquellen: filmfoto / Shutterstock.com