Nach dem Rettungspaket: Börsen zwischen Boom und Doom
Mit Kursgewinnen feierten die Märkte das Rettungspaket der EU. Doch inzwischen macht sich Skepsis breit. Wie steht es wirklich um Aktien, Anleihen und den Euro? Die Analyse.
von Jens Castner, Andreas Hohenadl und Peter Gewalt, €uro am Sonntag
Die Medizin wirkte – ein paar Stunden lang. Das Aufputschmittel in Form eines 750 Milliarden Euro schweren Rettungspakets, das die EU-Staaten und der Internationale Währungsfonds (IWF) geschnürt hatten, brachte Bewegung in die Devisenmärkte. Am Anfang vergangener Woche schoss der Eurokurs deutlich über die Marke von 1,30 US-Dollar. Doch Aufputschmittel wirken eben nur kurzfristig.
Als die Börsen am Montagabend vergangener Woche schlossen, stand der Kurs der Gemeinschaftswährung noch knapp über 1,27 Dollar – niedriger als am Freitag zuvor. Inzwischen steht er bei 1,24. Eine Dreiviertelbillion für ein Strohfeuer, das sich umgehend gegen die Brandstifter wandte. Die Sorgen um die Stabilität des Euro sind durch den staatlichen Eingriff nicht kleiner geworden, sondern größer. 500 Milliarden lassen sich die Euroländer den Rettungsschirm im Notfall kosten, 250 soll der IWF im Bedarfsfall drauflegen. Das wirft nicht nur die Frage auf, wer das bezahlen soll. Da sich gleichzeitig die Europäische Zentralbank (EZB) dem politischen Druck beugte und – entgegen den eigenen Statuten – neuerdings aktiv Staatsanleihen angeschlagener Mitgliedsländer ankauft, sprechen Kritiker vom Bruch des letzten Tabus. Auch den gegen alle Bedenken der EZB von der EU-Kommission durchgewinkten Beitritt Estlands zur Eurozone werten Börsianer als Indiz für das endgültige Ende der Souveränität der Notenbank. <
Die Geldwertstabilität sei damit passé, ätzt etwa der Kölner Vermögensverwalter Bert Flossbach. „Die Büchse der Pandora ist nun endgültig auf“, schreibt er in einer Stellungnahme. „Das Rettungspaket verhöhnt die Stabilitätskriterien des Euro und die Sanktionsmaßnahmen für Stabilitätsabweichler. Es belohnt Fehlverhalten, statt es zu bestrafen.“ Da bis Ende 2012 in den fünf angeschlagenen Staaten, für die sich inzwischen der Begriff PIIGS (Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien) eingebürgert hat, Anleihen und Zinsen im Wert von 1,166 Billionen Euro fällig werden, bezweifelt Flossbach, dass das aktuelle Maßnahmenpaket überhaupt ausreicht.
Den Großteil schultert Deutschland
Den Kern des Problems sieht er in der Patronatserklärung, die stärkere EU-Länder mit dem Rettungsfonds für die schwächeren abgegeben haben. Für Investoren ergebe es keinen Sinn mehr, niedrig verzinste deutsche Staatsanleihen zu kaufen, die wegen des guten Bonitätsratings gerade zwei Prozent Rendite jährlich abwerfen. PIIGS-Bonds bieten den drei- oder vierfachen Zinssatz – und am Ende bürge ebenfalls der deutsche Steuerzahler. Damit drohe auch der Bundesrepublik ein Refinanzierungsproblem. Und ein Schuldenproblem. Das Rettungspaket besteht aus drei Teilen. Die EU-Kommission gewährt den PIIGS 60 Milliarden Euro an Notkrediten. Abzüglich der 250 IWF-Milliarden bleiben 440 Milliarden zulasten der Euromitgliedsstaaten übrig. Nach dem Verteilungsschlüssel der EZB hat Deutschland davon 28 Prozent zu schultern.
Das entspricht 123 Milliarden Euro, ist aber nur die halbe Wahrheit. Da diejenigen Staaten, die gestützt werden müssen, sich nicht an dem Rettungsschirm beteiligen können, droht die Belastung um weitere 20 Prozent höher auszufallen. Summa summarum könnten auf den Bund bereits in dieser Runde 147 Milliarden Euro Zusatzbelastung zukommen, die wiederum durch die Aufnahme neuer Schulden gedeckt werden müssten. Sollte Flossbach recht behalten und das aktuelle Paket eine Unterdeckung von 300 bis 400 Milliarden aufweisen, kämen in der nächsten Runde im schlechtesten Fall weitere 134 Milliarden Euro dazu. Die Schuldenspirale dreht sich immer schneller. Positiv immerhin: Spekulationen über ein Auseinanderbrechen der Gemeinschaftswährung dürften sich fürs Erste erübrigt haben, so Ralf Grönemeyer, Chefanalyst von Silvia Quandt Research. „Der Euro bleibt eine wichtige Reservewährung.“
Steuererhöhungen drohen
Der negative Aspekt: Um die Löcher zu stopfen, die das neuerliche Rettungspaket in den Staatshaushalt reißt, werden Steuererhöhungen unausweichlich sein, befürchtet Grönemeyer. Da höhere Einkommensteuern die Konjunktur abwürgen würden, erwartet er, dass die indirekten Steuern steigen werden. Mehrwert-, Mineralöl-, Tabak- und Alkoholsteuer dürften seiner Meinung nach die ersten Stellschrauben sein, an denen gedreht wird. Auch Vermögen- und Erbschaftsteuer könnten „eine besondere Rolle spielen“. Da die Politik einer nicht näher definierten Gruppe von Spekulanten die Schuld an der Euroschwäche gibt, könnten zudem Banken und Hedgefonds an die Kandare genommen werden. Neben der von Grönemeyer erwarteten Asset Tax (also Steuern auf Bilanzwerte) hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits die Prüfung einer Steuer auf Kapitalmarkttransaktionen angekündigt.
Der Sündenfall der EZB und die Aussicht auf eine Transaktionssteuer drücken in Frankfurt gewaltig auf die Stimmung der Börsianer, obwohl sich die Aktienkurse im Gegensatz zum Euro die ganze Woche über in Bestform präsentierten. Ob die 5,3 Prozent Plus im DAX, die am vergangenen Montag eigentlich für Festtagslaune hätten sorgen sollen, den Startschuss zu einer neuerlichen Rally markierten, bleibt deshalb ungewiss. Für einen längerfristigen Höhenflug spricht, dass Anlageprofis wie Bert Flossbach eine Flucht in Sachwerte voraussagen, wenn die Bevölkerung erst erkenne, „dass sich EU und EZB in einem Teufelskreis befinden“. Davon sollten neben Immobilien und Rohstoffen auch Aktien profitieren. Zusätzlich beflügelt ein niedriger Eurokurs die Gewinne exportorientierter Unternehmen.
Aktien attraktiv
Da die Zinsen in der Eurozone auf Dauer niedrig bleiben müssen, um Staatsbankrotte zu verhindern, sieht auch Karsten Stroh, Leiter des Aktien- und Mischfondsmanagements bei JP Morgan Asset Management, gute Perspektiven für Europas Börsen. Zum einen fehle es an Anlagealternativen, zum anderen seien Unternehmenszukäufe günstig zu refinanzieren. Daher dürfte auch das Übernahmekarussell bald wieder in Schwung kommen, meint Stroh, der zudem „viele positive Signale“ hinsichtlich der Unternehmensgewinne ausgemacht hat. Sogar das im Börsianerjargon „Goldilocks“ genannte Idealszenario für Aktieninvestoren will er nicht ausschließen: niedrige Zinsen bei moderatem Wirtschaftswachstum und gleichzeitig steigender Inflation (wenngleich dies äußerst unwahrscheinlich ist).
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Auf der anderen Seite verteuert eine schwache Währung den Rohstoffeinkauf, was auf die Gewinne drückt. Zudem ging im Jubel der Börsen – etwa über die drastischen Sparmaßnahmen, die sich Spanien selbst auferlegt, um griechische Verhältnisse zu vermeiden – ein Aspekt unter, den auch die Politik in ihren Berechnungen nicht berücksichtigt: Weniger Staatsausgaben sind Gift für die Konjunktur. Die Wirtschaft in der Eurozone dürfte daher langsamer wachsen als im Rest der Welt, was die Perspektiven für Aktien ebenfalls deckelt. Außerdem könnten Investoren aus dem Nichteuroraum aus Angst vor einer Währungskrise ihr Geld vom Markt abziehen.

Wie sicher sind Anleihen?
Von dem Gedanken, dass Staatspapiere eine sichere Anlageform seien, müsse man sich verabschieden, erklärte der österreichische Investmentbanker und Buchautor Gerald Hörhan („Ihr strampelt, wir werden reich“) diese Woche passend dazu in einem Fernsehinterview. Hörhan ist einer aus der diffusen Masse der Spekulanten, die von Politikern für die Euroschwäche verantwortlich gemacht werden, da sie Wetten gegen PIIGS-Bonds eingegangen sein sollen. Doch weder er selbst noch irgendwelche ihm bekannten Bankerkollegen hätten mit oder gegen Staatsanleihen spekuliert, gab er an. Vielmehr seien es Versicherungen und Pensionskassen gewesen, die nach der Abstufung Griechenlands, Spaniens und Portugals keine Anleihen dieser Länder mehr gekauft hätten – ganz einfach, weil ihnen das Risiko zu hoch war.
Dass in Wahrheit ein Käuferstreik konservativer Institutionen für die teils drastischen Kursstürze der PIIGS-Anleihen verantwortlich war, glaubt auch die Mehrheit der deutschen Anlageprofis, die über die Spekulantenschelte von Bundeskanzlerin Angela Merkel entsetzt ist. Es sei das gute Recht jedes Risikomanagers, Anleihen der PIIGS zu meiden, so der Tenor.
Verdienen würden vielmehr die Banken mit Spekulationsgeschäften, die zuvor mit Steuergeldern gestützt worden waren. Dank des Rettungspakets bleibe es attraktiv für Banken, sich für ein Prozent Geld bei der EZB zu leihen, um es höher verzinst in Anleihen wackeliger Euroländer anzulegen, schimpft Vermögensverwalter Flossbach. Da das mehr Marge bringe als die klassische Kreditvergabe an Firmenkunden, trockne der deutsche Mittelstand aus. Dagegen hat die Politik noch keine Medizin gefunden.
Euro: Der Druck wird anhalten
Die europäischen Anleihemärkte sind gerettet, der Euro dafür geopfert. Das ist die vorherrschende Meinung der Währungsexperten über die Entscheidung für den milliardenschweren Rettungsschirm. So verlor der Euro vergangene Woche erneut gegenüber den anderen Leitwährungen. Im Vergleich zum US-Dollar markierte die europäische Einheitswährung am Donnerstag ein 14-Monats-Tief. „Das Rettungspaket hat zu ernsthaften Sorgen für den Euro auf längere Sicht geführt“, erklärt Beat Siegenthaler von der UBS. Nicht nur, dass weiterhin Staatspleiteängste existieren. Auch das Vertrauen in die EZB sei geschwunden, die die geldpolitischen Zügel schleifen lasse und politisch beeinflussbar erscheine.
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Schuldenabbau via Inflation wäre aber ein Horrorszenario für Investoren. Zudem könnten die angestrebten Sparmaßnahmen die Konjunktur in der Eurozone längerfristig negativ beeinflussen. Ian Stannard von BNP Paribas rechnet damit, dass der Euro im ersten Quartal 2011 auf Parität zum US-Dollar fällt: 1 Dollar = 1 Euro. Grund: Der Status des Euro als Reservewährung ist ernsthaft gefährdet. Dabei genoss Europas Währung in den vergangenen Jahren starken Rückenwind aufgrund des Versuchs einiger Länder, ihre Dollarabhängigkeit zu reduzieren. So erhöhte China die Euroreserven zwischen 2002 und 2009 von 97 Milliarden auf 672 Milliarden. Ein Trend, der jetzt gestoppt sein dürfte.

Doch es ist nicht nur die Schwäche des Euro, sondern auch die Stärke des Greenback, die für den Wertverlust des Euro sorgen. „Die aktuelle Euroschwäche erklärt sich nur zum Teil durch die Eurolandkrise. Weiteres Momentum erhält die Entwicklung durch die positiven fundamentalen Daten der US-Wirtschaft und den daraus resultierenden stärkeren US-Dollar“, meint Andreas König, Fondsmanager des Pioneer Funds – Total Return Currencies.
Hohe Zinsdifferenz erwartet
Vor allem die erwartete Zinsdifferenz zwischen USA und Euroland werde in Zukunft den Euro-Dollar-Wechselkurs bestimmen. König rechnet wie so viele seiner Kollegen damit, dass die amerikanische Notenbank Fed vor der Europäischen Zentralbank die Zinsen erhöht und somit der US-Dollar gegenüber dem Euro weiter an Boden gewinnt.
Neben dem US-Dollar gibt es aber noch eine Reihe anderer Währungen, die gegenüber dem Euro aufwerten. So profitiert der Schweizer Franken von seinem traditionell guten Ruf als sicherer Hafen. Auch die Norwegische Krone gilt angesichts des gesunden Staatshaushalts des Landes als begehrter Zufluchtsort für Euroskeptiker. Außerhalb des alten Kontinents stehen der Australische und der Kanadische Dollar hoch im Kurs, da die Zentralbanken beider Staaten die Zinsen schon angehoben haben. Zudem sehen die volkswirtschaftlichen Rahmendaten von Australien und Kanada deutlich besser aus als die der Eurozone. Beide Länder profitieren unter anderem von ihrem Rohstoffreichtum. Doch auch Schwellenländerwährungen wie dem brasilianischen Real wird einiges zugetraut, da starke Wachstumsraten und ein hohes Zinsniveau in den Emerging Markets ausländische Investments anlockt.
Anleihen: Scheinbare Sicherheit
Der Entschluss der europäischen Regierungen, den Euro um jeden Preis zu retten, hat auf dem Anleihemarkt zu einer vollkommen neuen Situation geführt. Durch die Kredite und Garantieversprechen von EU und IWF sind die Länder der Eurozone nun zu einer Art Haftungsgemeinschaft verknüpft. Die Anleihen von Griechenland, Portugal, Spanien und Co sind damit zunächst genauso sicher wie deutsche Staatsanleihen. Das Risiko eines Defaults scheint sich dank des Rettungspakets aufgelöst zu haben. Zumindest für die kommenden zwei bis drei Jahre. Und so stellt Vermögensverwalter Bert Flossbach in seinem jüngsten Marktkommentar folgerichtig die Frage: „Warum sollte man eigentlich noch niedrig verzinsliche Bundesanleihen kaufen, wenn es acht Prozent für Griechen-Anleihen gibt, ab heute mit deutscher Patronatserklärung?“
Tatsächlich besteht die Aussicht, über die kommenden Jahre mit den Papieren der Wackelkandidaten deutlich höhere Renditen zu erzielen als mit deutschen Staatsanleihen. Doch das ist ein gefährliches Spiel. Denn es ist höchst unsicher, ob die Rettungsbemühungen in den kommenden Jahren tatsächlich die gewünschten Ergebnisse bringen und die EU-Spitzen nicht doch die Staatspleite eines Eurolandes zulassen. Zudem befürchtet Vermögensverwalter Flossbach: „Sobald die Bürger erkennen, dass sich die EU beziehungsweise die EZB in einem Teufelskreis befinden, aus dem sie sich nur noch durch Inflation und fiskalische Tricks befreien können, wird eine Flucht in Sachwerte einsetzen.“
Für Bondinvestoren ergeben sich je nach Risikoneigung derzeit folgende Möglichkeiten: Sie setzen darauf, dass das Eurorettungspaket ihnen bei Anleihen der Peripherieländer auf absehbare Zeit „risikolos“ höhere Zinsen garantiert. Im Idealfall bekommen Griechenland und Co ihre Verschuldung nach einigen Jahren tatsächlich in den Griff. Dann würde sich diese Strategie auszahlen. Doch darauf zu wetten verlangt starke Nerven.
Sicherheitsbewusste Anleger werden sich derzeit eher nach sicheren Häfen umschauen – sprich nach Anleihen gering verschuldeter Länder, die nicht in Euro notieren, wie zum Beispiel Norwegen. Auch die Papiere einer rohstoffreichen Nation wie Australien sind eine Alternative. Ebenso ist das Risiko bei Anleihen zahlreicher Schwellenländer mittlerweile überschaubar – viele Papiere besitzen sogar ein Investment-Grade-Rating (siehe Seite 15). Unter den Euroanleihen zählen nach wie vor deutsche Bundespapiere „zu den Safe-Haven-Positionen“, wie Christophe Frisch, Abteilungsleiter Investmentstrategie und Fondsmanagement Renten bei AmpegaGerling, betont. Für ihn ist Diversifikation, also die breite Streuung des Anlagekapitals, ein unerlässliches Mittel zur Risikoreduzierung. Denn nach all den Krisen der vergangenen Jahre gelangt er zu dem Fazit: „Undenkbar ist nichts mehr.“ Demzufolge stellt er die Portfolios der Gerling-Rentenfonds breiter auf, diversifiziert über Regionen und Emittenten hinweg – und reduziert den Anteil von Staatsanleihen zugunsten europäischer Unternehmensbonds.
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Bildquellen: Hans Eder/PantherMedia GmbH, Ursula Dodel