Nicht nur Europas Krieg

26.05.25 14:45 Uhr

Aller guten Dinge sind drei, heißt es. Diesmal bewahrheitete sich der Spruch allerdings nicht: Letzte Woche telefonierte Präsident Trump mit Russlands Präsident Wladimir Putin, doch bei diesem dritten Telefonat der beiden Staatschefs seit Beginn von Trumps zweiter Amtszeit kam offenbar genauso wenig heraus wie bei den schwierigen und ergebnislosen Verhandlungen, mit denen in den vergangenen Monaten versucht wurde, den seit drei Jahren andauernden Krieg in der Ukraine zu beenden.Die Trump-Regierung ist doppelt frustriert – erstens vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der fest darauf beharrt, dass ein dauerhafter Frieden nicht bedeuten darf, dass sein Land einem wieder zu Kräften gekommenen und aufgerüsteten Russland ausgeliefert ist, und zweitens von Wladimir Putin, der sich vor der Antwort auf die Frage drückt, ob er ein Ende des Krieges überhaupt will. Nachdem er den Wählerinnen und Wählern eine schnelle Einigung versprochen hat, ist Trump nach Aussage einer Pressesprecherin im Weißen Haus inzwischen „ermüdet“. Einige in seiner Regierung haben wiederholt damit gedroht, die Bemühungen einzustellen.Diese Drohung basiert auf der Prämisse, dass der Krieg in der Ukraine im Grunde genommen Europas Krieg sei. Aus dieser Perspektive betrachtet, wird der Ausgang dieses Krieges natürlich Auswirkungen auf Europa haben – deshalb soll Europa auch dafür zahlen – und Amerikas Mitwirkung ist wahlweise karitativ oder transaktional, aber nicht von US-eigenen Interessen bestimmt. Auf Truth Social postete Trump im Februar: „Dieser Krieg ist für Europa weitaus wichtiger als für uns. Wir haben einen großen, wunderschönen Ozean als Trennung.“Doch so weit weg, wie Trump glaubt, ist der Krieg nicht – und wie er ausgeht, ist für die Amerikaner sehr wohl relevant. Putins langfristige Ziele reichen eindeutig über die Ukraine hinaus, weil er die Frage, wie Europas Ordnung nach dem Ende des Kalten Krieges aussehen soll, neu aufrollen will – ein Kraftakt, mit dem er Russland zu alter Macht führen will, sodass Moskau das Weltgeschehen wieder mitgestalten kann. Putins Sicht der Dinge basiert auf einer Nullsummenlogik: Er ist überzeugt, dass er Russlands weltweiten Einfluss nur stärken kann, indem er Amerikas Einfluss schwächt.Noch wichtiger ist: Ein Verhandlungsfrieden, der Russland neuen Mut schöpfen lässt, würde Europa verwundbar machen und könnte andere Herausforderungen verschärfen, mit denen die Vereinigten Staaten schon jetzt rund um den Globus zu kämpfen haben. Die Trump-Regierung steht also vor der Wahl: Sie kann dem Kreml entweder jetzt in der Ukraine die Stirn bieten oder wird dies zu einem späteren Zeitpunkt tun müssen. Doch wenn die USA abwarten, werden sie einen immer höheren Preis zahlen.Der Kreml hat wiederholt unmissverständlich klargemacht, dass er Russland wieder zur Weltmacht machen will.Bevor die russische Führung im Februar 2022 ihre Panzer über die Grenze in die Ukraine schickte, stellte sie einen Katalog von Forderungen auf. Unter anderem verlangte sie eine Rückverlagerung der NATO-Grenzen. Der Kreml hat wiederholt unmissverständlich klargemacht, dass er Russland wieder zur Weltmacht machen will, und die Umsetzung dieses Projekts beginnt in Europa. Nachdem alle vorherigen Interventionen – 2008 der Krieg in Georgien, 2014 Russlands erste Invasion in der Ukraine und 2015 die Entsendung russischer Truppen nach Syrien – stillschweigend hingenommen wurden, wurde Putin unverfrorener. Das Resultat war der Großangriff auf die Ukraine. Wenn der Friedensprozess jetzt aufgegeben wird, wird es weder einfacher noch billiger, Russland Widerstand zu leisten.Schon jetzt ist Moskau dabei, den Boden für einen zukünftigen Konflikt in Europa zu bereiten. Russland greift deutlich häufiger zu Mitteln wie Sabotage, der Instrumentalisierung von Migranten als Waffe sowie Mordanschlägen. Es wird zudem hinter Cyberangriffen und anderen gezielten Angriffen auf zentrale Infrastrukturanlagen wie etwa auf kritische Unterseekabel in der Ostsee vermutet. Diese Taktik soll Europas Möglichkeiten zur Gegenwehr gegen Russland schwächen und die Europäer glauben machen, es sei zu schwer und zu kostspielig, dem Kreml die Stirn zu bieten. Rhetorisch findet diese Absicht ihren Ausdruck neuerdings darin, dass Moskau Europa mit zunehmend kriegerischem Vokabular zu Russlands Hauptfeind und zur „Kriegspartei“ erklärt.Gleichzeitig hat die Trump-Regierung mehrfach deutlich gemacht, dass nach ihrem Willen Amerika sich aus seiner Rolle für die europäische Sicherheit stärker zurückziehen soll. Im Februar ließ Verteidigungsminister Pete Hegseth die Verbündeten der USA wissen, dass Europa für die Vereinigten Staaten keine Priorität mehr habe. Das Pentagon stellt derzeit seine Militäreinsätze in der ganzen Welt auf den Prüfstand und denkt Berichten zufolge darüber nach, seine Präsenz in Osteuropa zurückzufahren, was die Länder an der NATO-Ostflanke größeren Gefahren aussetzen würde. Die Europäer sind dabei, die eigenen Rüstungsausgaben rasch aufzustocken, aber der Ausbau ihrer Verteidigungsfähigkeit wird Zeit brauchen. Diese könnte Putin, der seine Wirtschaft bereits kriegstauglich gemacht und seine Rüstungsindustrie hochgefahren hat, für sich als Chancenfenster erkennen, das sich schon bald wieder schließen kann.Amerika würde einen weiteren, womöglich größeren Konflikt in Europa nicht unbeschadet überstehen. Wirtschaftlich sind Europa und die USA eng verflochten. Rechnet man Waren, Dienstleistungen und Investitionen zusammen, ist Europa Amerikas größter Handelspartner, der größte Markt für amerikanische Produkte und ein Kraftmultiplikator für Amerikas Macht. Instabilität auf der anderen Seite des Atlantik hätte für die USA schmerzhafte Folgen.Nicht alle Regierungsmitglieder Donald Trumps teilen die Auffassung, dass seine Herangehensweise an die Ukraine andere Rivalen wie China dazu ermutigen wird, forscher zu agieren. Doch abgesehen von dieser sehr realen Gefahr, könnte ein Verhandlungsfrieden, durch den die Ukraine verwundbar bleibt und Russland gestärkt und ermutigt wird, die weltweiten Herausforderungen vergrößern, vor denen Washington steht. Russland unterstützt Gruppierungen in der Sahelregion, im Sudan sowie im Jemen wie die Huthi-Milizen, die US-Schiffe im Roten Meer angreifen und die globale Schifffahrt stören.Amerika würde einen weiteren, womöglich größeren Konflikt in Europa nicht unbeschadet überstehen.Wenn eine Einigung in der Ukraine zum Beispiel bedeutet, dass die militärischen Kapazitäten der Ukraine beschränkt werden, würde das Russland in die Lage versetzen, seine militärischen Energien umzulenken und verstärkt für solche destabilisierenden Operationen einzusetzen, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit amerikanischen Interessen schaden.Ein ermutigtes Russland wäre auch ein stärkerer Partner für China, Iran und Nordkorea und der „Achse des Umbruchs“, die sich seit der russischen Invasion der Ukraine zu formieren beginnt, den Rücken stärken. Die Waffenlieferungen an diese Länder, mit denen Russland sich für ihre Unterstützung in der Ukraine revanchiert, stärken deren Kampfkraft – und die Kooperation zwischen diesen Ländern schwächt die Wirkung von Instrumenten wie den Sanktionen, mit denen Washington und seine Partner ihnen Paroli bieten kann. Moskau lässt zum Beispiel mehr politische Unterstützung für Chinas Ambitionen im Hinblick auf Taiwan erkennen, und seine militärische Koordination mit Peking trägt zu Chinas wachsender Durchsetzungskraft im indopazifischen Raum bei.Putin weiß, dass Trump nicht für immer Präsident bleiben wird. In den russischen Medien wird Trump als Pragmatiker dargestellt, als eine Führungsfigur, die Deals ohne Gesichtsverlust aushandeln und der erkennbar belasteten russischen Wirtschaft Entlastung verschaffen kann. Nur wenige in Moskau glauben allerdings, dass ein einziger Präsident es schaffen kann, die in Jahrzehnten gewachsene außenpolitische Feindseligkeit der USA gegenüber Russland vergessen zu machen.Dem Kreml ist bewusst, dass viele oder sogar die meisten Leute in der amerikanischen Regierung russlandfeindlich eingestellt sind und Trumps Pläne entweder torpedieren oder nach seiner Amtszeit kurzerhand rückgängig machen würden. Putin wird davon ausgehen, dass Russland auch weiterhin in Opposition zu den USA stehen wird. Deshalb wird Moskau zusehen, dass es jetzt den Moment nutzt und sich Erfolge sichert, die ein zukünftiger US-Präsident schwer wird rückgängig machen können – zum Beispiel eine unterjochte Ukraine oder die Fähigkeit, die Glaubwürdigkeit des NATO-Bekenntnisses zur kollektiven Verteidigung zu unterminieren.Der Krieg in der Ukraine findet zwar auf der anderen Seite des Ozeans statt, aber wenn die Trump-Regierung sich nicht dazu entschließt, jetzt in den Widerstand gegen Russland zu investieren, werden die Amerikaner später einen höheren Preis dafür zahlen.Aus dem Englischen von Andreas BredenfeldDieser Artikel erschien ursprünglich in der New York Times.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal

Quelle: IPG Journal