Camerons mögliche Nachfolger und ihr "Brexit-Potenzial"

Nach dem Rücktritts-Reigen in der Tory-Partei, gibt es neue Favoriten auf das Amt des britischen Premiers. Ganz vorne mit dabei: Zwei "eiserne Ladys" - eine aus dem "Bremain"-, die andere aus dem "Brexit"-Lager. Auch die Interessen der EU stehen dabei auf dem Spiel.
Der Brexit-Entscheid der Briten hat nicht nur die Märkte kräftig durchgeschüttelt. Auch in der Politik hat das Brexit-Beben für hastiges Stühlerücken gesorgt. Nachdem Noch-Premierminister David Cameron nach der Entscheidung zum "EU-Aus" seinen Hut nahm, wurde Tory-Politiker und vehementer Brexit-Befürworter Boris Johnson als heißer Nachfolger gehandelt - voreilig, wie sich zeigte. Denn auch Johnson warf kurz darauf das Handtuch, dicht gefolgt vom Chef der EU-feindlichen Ukip-Partei Nigel Farage. Nun müssen die gebeutelten Konservativen bis zum 9. September einen Nachfolger für Cameron finden und wie sich zeigt, könnte wohl zum ersten Mal nach Margaret Thatcher wieder eine Lady in die Downing Street 10 einziehen.
Der nächste Premierminister hat einiges vor sich
Die Aufgabe, vor der unter anderem Boris Johnson zurückscheute, ist keine leichte. Der nächste britische Premier dürfte alle Hände voll zu tun haben: Die Brexit-Verhandlungen mit Brüssel müssen in Gang gebracht und vor allem geführt werden, Schottland ist weiterhin willens, ein neues Unabhängigkeitsreferendum zu starten und auch die Wirtschaft in Großbritannien gilt es zu stabilisieren. Dieser Mammut-Aufgabe sahen sich zunächst fünf Kandidaten aus der konservativen Partei gewachsen - im Rennen sind aktuell noch drei davon.Theresa May - eisern beim Thema "Migration", doch pro EU
Sie hat im ersten Wahlgang die meisten Stimmen der Tories abgeräumt: Theresa May. Die amtierende britische Innenministerin musste sich bereits einigen kniffligen Themen, wie Terrorbekämpfung, Kindesmissbrauch und Migration stellen. Besonders beim Thema "Migration" fährt die konservative Politikerin eine harte Linie und scheut sich auch generell nicht davor, Kritik an der EU zu üben. "Wenn zu viele Einwanderer kommen, dann gefährdet das den Zusammenhalt der Gesellschaft", äußerte sich May unlängst. Dennoch positionierte sich Theresa May im Vorfeld des Referendums auf der "Bremain"-Seite, auf der auch Cameron stand. Innerhalb der Partei gilt May als streng und unnahbar. Auch aus den Querelen zwischen den beiden Lagern vor dem Referendum hielt sich die Innenministerin weitestgehend heraus. Dies könnte sich nun als Erfolgsgeheimnis herausstellen. Sie wird in den Medien bereits als ideale Vermittlerin zwischen der Brexit-Front und dem Pro-EU-Lager gehandelt. Im ersten Wahlgang bestätigte sich ihre Favoritenrolle prompt: 165 Abgeordnete votierten für sie als künftige Premierministerin - damit vereinigte sie eine Stimme mehr auf sich als die übrigen vier Kandidaten zusammen genommen.Andrea Leadsom - Ex-Bankerin mit Brexit-Ambitionen
Theresa Mays größte Konkurrenz Andrea Leadsom kommt aus dem Brexit-Lager und hat inzwischen auch Unterstützung von der Brexit-Gallionsfigur Boris Johnson bekommen. Sie habe "den nötigen Schwung und die Entschlossenheit" für die Cameron-Nachfolge twitterte Boris Johnson am Montagabend. Auch ihre Kandidatur verkündete Leadsom bereits euphorisch auf Twitter mit dem Hashtag #FreshStart und der Aufforderung, man müsse "Das Beste aus den Möglichkeiten des Brexit machen". Kühle Zurückhaltung war auch im Vorfeld des Referendums nicht Leadsoms Sache. Nach dem Votum am 23. Juni rief sie leidenschaftlich zur Feier der "Unabhängigkeit" Großbritanniens auf. Abseits von ihren euphorischen Tweets, wird Leadsom jedoch auch von der Zeitung "The Independent" ein "Hauch von Thatcher-Stahl" attestiert. Gegenüber Theresa May kann Leadsom außerdem auf eine breite Basis der Tories zählen, die mehrheitlich auf der Brexit-Seite stehen. Die endgültige Entscheidung für die Nachfolge Camerons fällt nämlich im Rahmen einer Urwahl aller 150.000 Parteimitglieder, die zu zwei Dritteln für den EU-Ausstieg gestimmt haben. Im ersten Wahlgang am Dienstag erhielt sie jedoch lediglich 66 Stimmen der Tory-Abgeordneten.Michael Gove - erst Camerons, dann Johnsons Freund
Die Chancen des aktuellen britischen Justizministers auf die Nachfolge Camerons scheinen bereits zu schwinden, denn Michael Gove ist nicht sonderlich populär. Als langjähriger Weggefährte und Freund David Camerons hätte Grove vor dem Referendum eigentlich auf der Seite des "Bremain"-Lagers stehen müssen - doch er wechselte die Seiten und bildete im Wahlkampf ein Zweiergespann mit dem Brexit-Wortführer Boris Johnson. Auch Johnson fiel er nach dem Wahlkampf jedoch in den Rücken - um selbst die Cameron-Nachfolge anzutreten und erklärte: "Boris ist nicht in der Lage, für die kommenden Aufgaben die Führung zu übernehmen oder ein Team aufzubauen." Johnson erklärte daraufhin seinen Rücktritt. Dieses Verhalten hat Gove wenig Sympathiepunkte eingebracht und wurde auch im ersten Wahlgang prompt abgestraft: Er landete mit 48 Abgeordnetenstimmen hinter Konkurrentin Leadsom.Bereits aus dem Rennen: Fox und Crabb
Direkt aus dem Rennen war nach der ersten Wahlrunde Ex-Verteidigungsminister Liam Fox - er erhielt lediglich 16 Stimmen und war damit gleichzeitig ausgeschieden. Auch der britische Arbeitsminister Crabb warf kurz darauf das Handtuch - er hatte 34 Stimmen auf sich vereinigen können. Er schloss sich daraufhin dem Lager von Theresa May an.Welcher Premier wäre am besten für die EU?
Der Schluss liegt nahe, dass Theresa May als Mitglied der "Bremain"-Fraktion um David Cameron die beste Wahl aus der Sicht der Europäischen Union wäre. Doch dies wäre wahrscheinlich zu kurz gegriffen, denn unter anderem in der Migrationspolitik - einem der aktuell brisantesten Themen in der EU - fährt May einen harten Kurs und wird voraussichtlich darauf dringen, die Migration einzudämmen. Damit unterscheidet sich May signifikant vom Kurs, den etwa Angela Merkel eingeschlagen hat. Dennoch tritt May bereits als potenzielle Vermittlerin zwischen den Fronten auf und wird als Premierministerin wahrscheinlich auf einen Abbau der Spannungen hinarbeiten. Weit radikaler dürfte ein möglicher Premier Gove auftreten. "Von Gove würde ich erwarten, dass er radikaler auf Reformen drängt und sich dabei weniger um den Marktzugang sorgt", vermutete Politökonom Iain Begg, den "Bild" zum Thema befragte. Leadsom hingegen dürfte energischer auf einen baldigen Austritt drängen. Den Brexit-Anhängern erklärte sie bereits, der Brexit sei final, sie wolle den Ausstieg so schnell wie möglich abhandeln - dies dürfte wiederum der EU gefallen, die auf einen schnellen Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union dringt. Wer nun weiterhin im Rennen um die Cameron-Nachfolge bleibt, entscheidet sich voraussichtlich am Donnerstag. Dann findet der nächste Wahlgang statt.Redaktion finanzen.net
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