Euro am Sonntag-Interview

Jochen Schweizer: Worauf es im Leben ankommt

27.10.15 20:50 Uhr

Jochen Schweizer: Worauf es im Leben ankommt | finanzen.net

Nach einer Karriere als Stuntman ist der Abenteurer heute Unternehmer und Investor. Einen Ansatz verliert der 58-Jährige dabei nie aus den Augen.

von Florian Westermann, Euro am Sonntag

In der VOX-Sendung "Die Höhle der Löwen" wurde Jochen Schweizer als Juror und Investor einem breiten Publikum bekannt. Als Stuntman und Abenteurer ist der 58-Jährige Action-Fans schon lange ein Begriff. Als Extremkanute bezwang Schweizer die schwierigsten Flüsse Europas und verlor dabei fast sein Leben. Als Stuntman stürzte er sich für Filmemacher und Designer Willy Bogner an einem Bungee-Seil aus schwindel­erregenden Höhen. Schweizer gilt auch als Wegbereiter des Bungee-Jumpings in Deutschland.

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Aus seiner Berufung wurde ein Beruf und schließlich eine florierende Unternehmensgruppe. Mit seiner Firma Jochen Schweizer setzt er heute rund 70 Millionen Euro mit Erlebnissen um. Über seine Venture-Capital-Firma ist der Abenteurer an zahlreichen Firmen beteiligt. Mit dem Titel "Der perfekte Augenblick - Leben mit mehr Glück, Erfolg und Stärke" ist seit Anfang Oktober sein zweites Buch im Handel erhältlich.

€uro am Sonntag: Herr Schweizer, als Juror in der VOX-Sendung "Die Höhle der Löwen" helfen Sie innovativen Start-ups auf die Beine - mit Ihrem eigenen Kapital. Wie würden Sie sich denn vor der Jury schlagen?
Jochen Schweizer: Ich bin 2004 in meiner persönlichen "Höhle der Löwen" gescheitert. Ich habe damals dringend Kapital gesucht, um meine Geschäftsidee, Erlebnisse zu einem Handelsprodukt zu machen, zu verwirklichen. Ich präsentierte meine Idee in einer Suite im Mandarin Oriental Hotel in New York vor fünf Private-Equity-Investoren. Nach 20 Minuten sagten diese zu mir: "Wissen Sie Herr Schweizer, wir glauben nicht daran, dass man Erlebnisse handeln kann. Im Übrigen werden Sie auf Ihrer Suche nach dieser verrückten Idee auf jede Menge Leute treffen, die zwei Dinge haben, die Sie nicht haben - nämlich Zeit und Geld." Von solchen Rückschlägen darf man sich aber nicht unterkriegen lassen.

Heute stehen Sie auf der Seite der Geldgeber. Nach welchen Kriterien investieren Sie?
Es gibt für mich vier investmentrelevante Faktoren. Drei davon sind variabel. Erstens Markt und Wettbewerb. Zweitens Produkt oder Dienstleistung und drittens der Businessplan. Die einzige stabile Komponente ist der Gründer oder das Gründerteam. Wenn es ein Mensch ist, der Energie hat, der einen Willen hat, der ernsthaft etwas erreichen will, dann investiere ich, wenn die anderen drei investmentrelevanten Parameter nicht völlig dagegen sprechen. Ich investiere immer in den Gründer oder in ein sich heterogen ergänzendes Gründerteam - das war in jedem einzelnen Investment der Fall.

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Im vergangenen Jahr haben Sie in der "Höhle der Löwen" in Hip Trips, einen Spezialreiseveranstalter, investiert. Ihr Jury-Kollege Vural Öger hatte arge Zweifel. Bereuen Sie Ihre Entscheidung heute?
Bei Hip Trips hatte Vural tatsächlich gesagt, das kann nicht funktionieren, die haben keine Chance. Ich habe trotzdem investiert, weil ich die beiden Gründer so stark fand. Hinterher habe ich festgestellt, Vural hatte in allen Punkten recht. Und trotzdem sind sie heute erfolgreich. Warum? Geschäftsmodell und Dienstleistungen kann man umbauen, einen Businessplan realistischer schreiben. Man kann die erforderlichen Investitionen tätigen und das führt dann zum Erfolg - aber einen schlechten Gründer, den kann man auf Rosen betten, der wird nie erfolgreich sein.

Ihre Philosophie steht im Gegensatz zu Warren Buffetts Ansatz: "Investiere nur in Firmen, die auch ein absoluter Voll­idiot leiten kann, denn eines Tages wird genau das passieren."
Buffett investiert in sogenannte No-Brainer, also in Geschäftsmodelle, die von allein laufen. Ich investiere in Menschen, in Gründer. Die Firmen, in die ich einsteige, die brauchen richtig gute Leute. Im Gegensatz zu Herrn Buffett bringe ich aber nicht nur Geld, sondern auch immer mein Know-how und die beratende Unterstützung durch meine Unternehmensgruppe mit ein.

Bei der Mathe-App "Math42", die schwierige Mathe-Formeln in Windes­eile Schritt für Schritt erklärt, sind Sie "In der Höhle der Löwen" gar nicht in die Verhandlungen eingestiegen - warum nicht? Im Silicon Valley würden die Investoren wohl Schlange stehen.
Weil ich davon keine Ahnung habe. Ich muss verstehen, in was ich investiere, und ich muss eine Möglichkeit sehen, wie ich das Start-up aus meiner Gruppe heraus weiter unterstützen kann. Insofern wäre eine 20-Prozent-Beteiligung eine Zwei-Millionen-Wette auf zwei jugendliche Gründer geworden, die allerdings sehr überzeugend aufgetreten sind.

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Die Chance auf einen enormen Gewinn hat Sie nicht gereizt?
Ich kann mein Geld nur einmal investieren. Dabei wäge ich zwischen Chance und Risiko sorgfältig ab, so wie ich es in meinem Vorleben als Stuntman auch immer getan habe. Offensichtlich habe ich etwas richtig gemacht.

Andere Gründer rufen in der "Höhle der Löwen" für weniger innovative Ideen ebenfalls Millionenbeträge auf. Haben viele Teilnehmer völlig unrealistische Vorstellungen?
Oftmals ja. Als Venture-Capital-Geber investiere ich mit der Zielsetzung, ein Mehrfaches meines Geldes zurückzubekommen. Damit muss ich alle die Fälle abdecken, bei denen ich mich geirrt und mein Geld verloren habe.

Kann man das beziffern?
Man kann als Faustregel sagen, bei zehn Investments sieht man bei der Hälfte der Fälle das Geld nicht wieder. Wenn man gut investiert, laufen zwei oder drei Start-ups richtig gut, zwei oder drei machen nur eine Seitwärtsbewegung.

Was bleibt am Ende unter dem Strich stehen?
Wenn Sie gut gewirtschaftet haben mit ihrem Kapital und eine Jahresrendite von nicht unter 20 oder 30 Prozent erzielen, dann sind Sie gut dabei.

An der Börse wäre schon eine Rendite von 20 Prozent ganz ansehnlich.
Das ist etwas anderes, an der Börse habe ich ja keinen Einfluss. Meine Investments berate ich hingegen aktiv. Die Gründer profitieren auch vom Know-how und der beratenden Unterstützung durch meine Unternehmensgruppe, insbesondere im Bereich PR und Netzwerk.

Eines Ihrer jüngsten Investments ist Babo Blue, der Produzent eines Biermix’ aus Bier und blauer Beerenlimonade. Was hat Sie überzeugt?
Die fünf Gründer.

Nichts weiter?
Doch sicher. Babo Blue ist was Besonderes und die Gründer sind vertrauenswürdig. Man könnte aber natürlich auch sagen: fünf Greenhorns im hart umkämpften Biermarkt. Aber Babo Blue hat jetzt erst wieder 50 000 Flaschen übers Internet verkauft, aktuell brauen sie weitere 100 000 Flaschen und sind bei der Metro gelistet. Mir macht es Freude zu sehen, dass die Gründer Erfolg haben, dass harte Arbeit und intelligenter Einsatz belohnt werden.

Im Silicon Valley schmeißen die Investoren mit Millionen um sich, Start-ups wie der Online-Fahrvermittler Uber werden mit zig Milliarden Dollar bewertet. Unternehmen wie Google, Facebook und Co kommen fast ausschließlich aus den USA - ist so etwas bei uns nicht möglich?
Deutschland ist natürlich ein kleinerer Markt, aber grundsätzlich ist hier alles möglich. Deutschland ist ein wunderbares Land für Gründer. Wir haben Rechtssicherheit und eine gute Infrastruktur. Wir haben auch genügend Kapital für Frühphaseninvestments. Allerdings gibt es einen Mangel an Kapital für A- und B-Runden, wenn also Start-ups eine Nachfinanzierung benötigen. Das geht in den USA etwas leichter.

Warum?
Bei einem Frühphaseninvestment nimmt man nicht so viel Geld in die Hand, das sind in der Regel 50 000 bis 200 000 Euro, vielleicht auch einmal 300 000 Euro. Da kann man einen Verlust eher verschmerzen. Bei einem A- oder B-Investment reden wir von 300 000 Euro bis zehn Millionen Euro. Das ist für die Großen noch zu klein und für die Business-Angels ist es zu groß.

Sie haben Ihre Firma mit eigenen Händen aufgebaut. Über welche Umsatz­dimension sprechen wir?
Wir setzen 70 Millionen Euro um und wachsen aktuell mit über 30 Prozent zum Vorjahr. Das ist deutlich schneller als der Wettbewerb. Das ist so, weil wir in den vergangenen fünf Jahren überwiegend die richtigen Entscheidungen getroffen haben und über eine starke Marke verfügen.

Das ist eine Größenordnung, mit der Sie auch einem Börsengang ins Auge fassen könnten. Reizt Sie das?
Natürlich kann man ein hochprofitables Unternehmen mit 100 Millionen Euro Jahresumsatz und gleichzeitig großem Wachstum an die Börse bringen mit dem Ziel, ausreichend Liquidität für eine Internationalisierung dieses Geschäftskonzepts zu generieren. Aus Jochen Schweizer würde dann eine internationale Lifestylemarke und noch mehr ein Synonym für das Erlebnis. Man kann es aber auch einfach lassen, ich bleibe alleiniger Eigentümer der Unternehmensgruppe und wir schaffen es aus eigener Kraft, die Marke zu internationalisieren. Mit der Jochen Schweizer Projects AG haben wir überdies die Kompetenz "on-hand", große Erlebnisimmobilienprojekte wie die Jochen Schweizer Arena zu realisieren.

... die nun südlich vor den Toren Münchens entsteht. Was planen Sie?
Gemeinsam mit Airbus bauen wir auf 15 000 Quadratmetern für einen achtstelligen Betrag ein freizeit-wirtschaftliches Technologieprojekt. Es wird ein Ort, an den sich Menschen begeben, um Authentisches zu erleben. In einem vertikalen Windkanal erfüllen wir den Urtraum der Menschheit, frei zu fliegen, in einer der größten stehenden Surfwellen der Welt vermitteln wir den Flow des Wellenreitens, zahlreiche Erlebnis­attraktionen und eine besondere Gastronomie mit Eventzone vervollständigen dieses Konzept.

Und Ihr Businessplan?
Wir erwarten 180 000 Gäste im ersten Jahr nach der Eröffnung. Sie sind nicht nur Unternehmer, sondern auch Abenteurer. Welches Ihrer Erlebnisse hat bei Ihnen besonders bleibende Eindrücke hinterlassen? Als ich als Halbstarker nach dem Abi­tur mit meinem Motorrad - zusammen mit meinem Freund Caspar - in Heidelberg losgefahren bin und die Sahara durchquert habe.

In Ihrem gerade erschienen Buch "Der perfekte Augenblick" geht es um Glück, Erfolg und Stärke. Geben Sie uns doch einen kurzen Einblick.
Es geht darum, wie man sein Leben sinnvoll meistern und Irrwege vermeiden kann. Kurzum: Wie kann ich zum Unternehmer meines eigenen Lebens werden? Jeder hat die Möglichkeit, mehr aus seinem Leben zu machen.

Und was genau ist das Geheimnis Ihres Erfolgs?
Nicht fürs Anfangen wurde ich belohnt, sondern fürs Durchhalten. Ich habe mich von Rückschlägen nie entmutigen lassen. Ich bin überzeugt, dass es Scheitern eigentlich gar nicht gibt, sondern lediglich neue Situationen, die man als Herausforderungen annehmen kann. An diesen Herausforderungen können wir wachsen. Am Ende des Tages geht es darum, einmal mehr aufzustehen, als man hingefallen ist. Und sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Aber ich habe auch verstanden, dass bei all meiner eigenen Entschlossenheit die Zeit selbst das Ihre dazu beitragen muss, damit eine Sache gelingt. Mitunter müht man sich vergeblich, das Momentum ist bei allem Einsatz nicht auf meiner Seite. Dann heißt es, durchhalten und geduldig sein, denn erst im Miteinander von Aktivität und Geduld kommt es zum Erfolg.

Was würden Sie einem jungen Menschen mit auf den Weg geben?
Take all, give all - alles mitnehmen, alles erleben, aber auch alles geben. Das ist immer mein Lebensmotto gewesen. Und man muss immer versuchen, ein anständiger Mensch zu sein. Das ist eine ethische Grundlage, die ich verteidige, weil sie für einen selbst und für die Mitmenschen für mehr Glück und Gelassenheit sorgt.

Kurzvita

Tausendsassa
Mit dem Motorrad durchquerte Jochen Schweizer Afrika, als Extrem-Kanute machte er sich in der Szene einen Namen und als Stuntman spielte er in diversen Actionfilmen mit. Mitte der 80er-Jahre gründete er die Event- und Werbeagentur Kajak Sports, aus der die Jochen Schweizer Unternehmensgruppe hervorging. 1989 eröffnete Schweizer die erste stationäre Bungee-Anlage in Deutschland und machte den Sport hierzulande populär. Heute ist der 58-Jährige mit Leib und Seele Unternehmer.

Rekorde über Rekorde
Als Stuntman hat Schweizer mehrere Weltrekorde auf­gestellt und es ins "Guinness Buch der Rekorde" geschafft. Sein spektakulärster Stunt war der 1000-Meter-Bungee­-Sprung aus einem Helikopter in 2500 Metern Höhe. Kein Mensch zuvor hatte sich so einen Sprung zugetraut.

Bildquellen: Jochen Schweizer