Nagel: Inflationäre Wirkung von US-Zöllen unklar
Von Hans Bentzien
DOW JONES--EZB-Ratsmitglied Joachim Nagel hat um Verständnis dafür geworben, dass die Europäische Zentralbank (EZB) wegen der hohen Unsicherheit keinen Ausblick auf den weiteren geldpolitischen Kurs geben kann. "Der derzeit größte Unsicherheitsfaktor für unseren zukünftigen geldpolitischen Kurs ist - neben der Entwicklung im Nahen Osten - zweifellos die unberechenbare US-Handelspolitik", sagte Nagel laut veröffentlichtem Redetext in Freiburg. Dabei sei nicht nur unklar, wie stark die Effekte ausfallen könnten. "Es ist letztlich sogar ungewiss, ob die US-Handelspolitik auf den Euroraum inflationär oder disinflationär wirken wird."
Die EZB hat ihren Leitzins acht Mal gesenkt - zuletzt auf 2,00 Prozent - und zugleich angedeutet, dass sie nun eine Pause einlegen könnte. Nagel wies darauf hin, dass sich der Leitzins nun bei aller Unsicherheit auf einem neutralen Niveau befinden dürfte.
Der Abbau der Wertpapierbestände der EZB wirkt Nagel zufolge zwar tendenziell straffend auf die Geldpolitik, diesen Effekt berücksichtige die EZB aber indirekt, weil die mittel- und langfristigen Zinsen direkt in die Inflationsprognosen des Eurosystems einflössen. Der Bundesbankpräsident äußerte sich generell kritisch zu großvolumigen Anleihekäufen als geldpolitisches Instrument. Nagel verwies darauf, dass im Euroraum Ankäufe im Umfang von rund 150 Milliarden Euro das Preisniveau um nur 11 Basispunkte erhöht hätten, während auf der anderen Seite hohe bilanzielle Kosten entstanden seien. "Angesichts der jüngsten Erfahrungen sollten wir... das Instrument umfangreicher Wertpapierankäufe an der Zinsuntergrenze in Zukunft nur im absoluten Ausnahmefall einsetzen", sagte er.
Nagel zufolge rechnet die Bundesbank damit, dass im Rahmen der neuen geldpolitischen Strategie der strukturelle Liquiditätsbedarf der Banken über Refinanzierungsgeschäfte abgedeckt werden kann. "Sinnvoll begrenzte Laufzeiten der strukturellen Refinanzierungsoperationen würden es ermöglichen, zeitgerecht auf mögliche Rückgänge des Liquiditätsbedarfs reagieren zu können", sagte er. Ein Zinstenderverfahren würde einen Beitrag dazu leisten, den Wettbewerb bei Bankfinanzierungsinstrumenten aufrechtzuerhalten und Subventionselemente zu vermeiden. "Denn dann würden sich die Nachfrage der Banken und deren alternative Finanzierungskosten im gebotenen Zins widerspiegeln", erläuterte er.
Auf diese Refinanzierungsgeschäfte könnte später ein strukturelles Wertpapierportfolio folgen. Zu diesem machte Nagel zwei Anmerkungen: "Aus ordnungspolitischer Perspektive könnte eine Frage sein, ob Anleihen von Unternehmen überhaupt in ein strukturelles Portfolio gehören", sagte er. Und in Bezug auf Anleihen des öffentlichen Sektors wäre zu berücksichtigen, dass die EZB die Anreize für solide Haushaltsführung nicht mehr als unvermeidlich mindere.
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June 23, 2025 11:56 ET (15:56 GMT)