Günstigere Energie

Inflation in Deutschland sinkt im Juni leicht

30.06.25 15:20 Uhr

Inflation in Deutschland fällt im Juni - Entlastung für Verbraucher? | finanzen.net

Günstigere Energie und geringere Preissteigerungen bei Lebensmitteln: Die Inflationsrate in Deutschland ist überraschend auf den niedrigsten Stand seit über einem halben Jahr gesunken.

Im Juni lagen die Verbraucherpreise um 2,0 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilt. So niedrig war die Teuerung zuletzt im Oktober 2024. Im Mai hatte die Rate noch 2,1 Prozent betragen.

Wer­bung

Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater sieht die Inflation gebändigt: "Die Zinsen sind gefallen, die akute Inflationsbedrohung ist vorbei." Zum Sinken der Inflationsrate trug erneut billigere Energie als im Vorjahresmonat bei (-3,5 Prozent), allerdings flacht der Rückgang langsam ab.

Iran-Konflikt ohne große Folgen

Auch der Konflikt zwischen Israel und Iran, der die Preise für Rohöl und Sprit zeitweise kräftig nach oben getrieben hatte, blieb weitgehend folgenlos. Denn der starke Euro, der zum Dollar aufgewertet hat, verbilligt Importe. Lebensmittel verteuerten sich noch um 2,0 Prozent nach einem Plus von 2,8 Prozent im Mai.

Hartnäckig bleibt die Inflation bei Dienstleistungen, zu denen Versicherungen, Pauschalreisen und Autoreparaturen zählen. Im Juni kletterten die Preise für Dienstleistungen um 3,3 Prozent - eine Folge gestiegener Löhne. "Die Urlaubszeit bringt keine Erholung von der Teuerung", sagt Michael Heise, Chefvolkswirt beim Vermögensverwalter HQ Trust. "Wer verreist, spürt es bei der Buchung vom Hotelzimmer - wer daheim bleibt, in der Eisdiele."

Wer­bung

Preiswelle mit Ukraine-Krieg

Trotz der moderaten Teuerungsrate spüren Verbraucher in Deutschland die deutlich gestiegenen Preise beim Einkaufen im Alltag. Butter, Schokolade, Obst und Gemüse etwa haben sich stärker verteuert als der gesamte Warenkorb.

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 war die Inflation nach oben geschossen, die Preise für Energie und Lebensmittel kletterten rasant. 2022 lag die Inflation im Schnitt bei 6,9 Prozent und 2023 bei 5,9 Prozent, bevor sie im vergangenen Jahr auf 2,2 Prozent abflaute. Viele Verbraucher haben daher Kaufkraft verloren. Sie können sich für einen Euro weniger leisten.

Commerzbank (Commerzbank)-Chefvolkswirt Jörg Krämer sieht trotz der erneuten Abnahme weiterhin hohe Inflationsrisiken. "Ohne die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Nahrungsmittel ist die Inflation im Juni kaum gefallen und liegt nach wie vor über dem EZB-Ziel von zwei Prozent." Diese "Kerninflation" lag laut Statistik im Juni bei 2,7 Prozent - nach 2,8 Prozent im Vormonat.

Wer­bung

Risikofaktor Zollstreit

Wie es mit der Inflation weitergeht, ist mit der aggressiven Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump ungewisser geworden. So könnten Zölle auf die Preise von Industriegütern durchschlagen und auf Umwegen Verbraucher treffen. Die EU versucht in Verhandlungen mit Washington einen Handelskrieg abzuwenden. Ein erneuter Zollschock könnte die Inflation in der Eurozone wieder antreiben.

Auch die geplanten Milliarden für Verteidigung und Infrastruktur könnten die Inflation in Deutschland beeinflussen. Manche Ökonomen erwarten, dass die Teuerung steigt, weil mit den zusätzlichen Mitteln eine zusätzliche Nachfrage geschaffen wird.

2,0 Prozent auch im Gesamtjahr?

Die Bundesbank geht davon aus, dass die Inflationsrate in Deutschland in den kommenden Monaten um die Zwei-Prozent-Marke schwanken wird. Das würde der Zielmarke der Europäischen Zentralbank entsprechen, die bei diesem Wert eine Preisstabilität annimmt. Ökonomen, darunter der Sachverständigenrat ("Wirtschaftsweise"), rechnen damit, dass ein Wert um zwei Prozent auch im Jahresschnitt 2025 herauskommen wird.

Wie handelt die EZB?

Die Entwicklung der Inflation in Europas größter Volkswirtschaft ist ein wichtiger Indikator für die EZB, die sich im Kampf gegen die Inflation alle Mittel offen hält. Angesichts von Sorgen um die Konjunktur und einer abflauenden Teuerung hat die Notenbank den für Sparer und Banken relevanten Einlagenzins zum achten Mal sei dem vergangenen Sommer gesenkt - zuletzt auf 2,0 Prozent.

Beim nächsten EZB-Entscheid am 24. Juli rechnen die meisten Ökonomen mit einer Zinspause. "Die EZB dürfte sich in ihrem Kurs bestätigt fühlen", sagt Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der Liechtensteiner VP Bank. Der noch immer deutliche Anstieg der Dienstleistungspreise dürfte seiner Ansicht nach die EZB vorerst von weiteren Zinssenkungen abhalten.

Ökonomen-Stimmen zur Inflation in Deutschland

Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust:

"So wie die Außentemperaturen bleibt auch das Preisklima in Deutschland auf hohem Niveau. Mit einem Anstieg von 2,0 Prozent ist kaum Abkühlung gegenüber dem Mai eingetreten. Die Urlaubszeit bringt keine Erholung von der Teuerung. Vor allem im Dienstleistungsbereich steigen die Preise weiter. Wer verreist, spürt es bei der Buchung vom Hotelzimmer - wer daheim bleibt, in der Eisdiele. Der Preisanstieg zeigt dabei die gleichen Muster: Energiepreise haben im Vorjahresvergleich zur Entlastung der Verbraucher beitragen, Nahrungsmittel und Dienstleistungen sind deutlich teurer als vor einem Jahr, auch wenn die Inflationsraten hier allmählich zurückgehen."

Ulrich Kater, Chefvolkswirt Dekabank:

"Die Inflation ist weiterhin auf Schmusekurs. Die hohen Rohölpreise während der Eskalation des Israel-Iran-Konflikts haben die Inflationsrate hierzulande nicht beeinträchtigt, denn mittlerweile sind die Ölpreise bereits wieder deutlich gefallen. Die Europäische Zentralbank wird in den kommenden Monaten genau hinschauen, ob die gerade wieder gebändigte Inflation auch weiterhin so zahm bleibt. Ihre Geldpolitik hat sie bereits wieder auf den Normalbetrieb umgestellt. Die Zinsen sind gefallen, die akute Inflationsbedrohung ist vorbei."

Ralph Solveen, Volkswirt Commerzbank:

"Die deutsche Inflationsrate ist im Juni auf 2,0 Prozent gefallen und lag damit genau auf dem EZB-Ziel. Die Kernrate ohne die häufig sehr volatilen Preise für Nahrungsmittel und Energie ist leicht gefallen, war mit 2,7 Prozent aber immer noch höher. Auch für die kommenden Monate ist hier nur mit einem allmählichen Rückgang zu rechnen."

Ralf Umlauf, Volkswirt Landesbank Hessen-Thüringen, Helaba:

"Sowohl die monatliche Veränderungsrate als auch die Jahresrate liegen im Juni den vorläufigen Daten zufolge unterhalb der Erwartungen. Zwischenzeitliche Benzinpreisanstiege wurden durch einen schwachen Preisdruck in den Kernpreisen überkompensiert. Die Kerninflation ist um ein Zehntel auf 2,7 Prozent gesunken. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte sich zuletzt in einer eher abwartenden Haltung gezeigt. Sollte sich der schwache Preisanstieg auch auf europäischer Ebene zeigen, dürften die Zinssenkungserwartungen aber wieder forciert werden."

Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der Bank ING:

"Zumindest auf kurze Sicht dürfte die deutsche Inflation ihren Abwärtstrend fortsetzen und in den kommenden Monaten wahrscheinlich unter 2 Prozent fallen. Diese Einschätzung wird durch die jüngsten Verkaufspreiserwartungen sowohl in der Industrie als auch im Dienstleistungssektor bestätigt, die auf den niedrigsten Stand seit mehr als einem Jahr gefallen sind. Es versteht sich von selbst, dass die aktuelle Inflationsprognose zu einem großen Teil von den künftigen Ölpreisen abhängt. Strukturell gesehen wird die künftige Entwicklung der zugrunde liegenden Inflation von zwei gegenläufigen Trends geprägt sein: Einerseits dürfte die Abkühlung auf dem Arbeitsmarkt den Lohndruck und damit den Inflationsdruck verringern, andererseits dürften die staatlichen Konjunkturmaßnahmen den Inflationsdruck gegen Ende des Jahres und darüber hinaus erhöhen."

Thomas Gitzel, Chefvolkswirt VP Bank:

"Die Europäische Zentralbank dürfte sich in ihrem Kurs bestätigt fühlen. Die Zinssenkung im Juni erwies sich rückblickend als richtig. Der noch immer deutliche Anstieg der Dienstleistungspreise dürfte die EZB aber vorerst vor weiteren Zinssenkungen abhalten. Für einen weiteren geldpolitischen Lockerungskurs müssten auch im Bereich der Service-Preise die Ampeln auf Grün stehen. Auf der nächsten Zinssitzung wird es eine Pause im Zinssenkungszyklus geben."

WIESBADEN (dpa-AFX) / FRANKFURT (dpa-AFX)

Bildquellen: pryzmat / Shutterstock.com, RAGMA IMAGES / Shutterstock.com