Tsipras droht am Athener Parlament zu scheitern

Alexis Tsipras gerät nach der jüngsten Annäherung im Schuldenstreit in Erklärungsnot und sieht sich Kritik aus den eigenen Reihen ausgesetzt.
Die konservative Zeitung "Kathimerini" schreibt am Dienstag, Tsipras müsse jetzt seinem Parlament und seiner Partei erklären, warum er von seinen Wahlversprechen so sehr abweiche. Einen "Crash-Test für die Regierung" erwartet das Blatt.
Nach dem EU-Sondergipfel am Montagabend in Brüssel zeigte sich die griechische Regierung optimistisch. "Die Zeichen deuten darauf hin, dass wir ganz nahe an eine Übereinkunft sind", sagte Regierungssprecher Gabriel Sakellaridis am Dienstagmorgen in Athen.
TSIPRAS VOR KONFRONTATION MIT PARTEI SYRIZA
Die griechische Zeitung "Ta Nea" kritisierte, dass noch immer kein Wort über die Umstrukturierung des Schuldenberges gefallen sei. Tsipras stehe vor einer Konfrontation mit seiner Partei Syriza. Der Ministerpräsident muss für seine einschneidenden Sparmaßnahmen eine Mehrheit im griechischen Parlament finden.
Vize-Parlamentssprecher Alexis Mitropoulos, der die regierende Syriza-Partei vertritt, warnte am Dienstag bereits, viele Abgeordnete könnten der Vorschlagsliste von Regierungschef Alexis Tsipras die Unterstützung verweigern. "Ich glaube, dieses Programm (...) wird Schwierigkeiten haben, bei uns durchzukommen."
Auch Vassilis Chatzilamprou, Abgeordneter von Tsipras' radikal linker Partei Syriza, ist nach eigener Aussage nicht in der Stimmung, sich einem Machtwort zu beugen. "Wir können keine strikten rezessionären Maßnahmen akzeptieren", warnte Chatzilamprou erst jüngst auf einer Veranstaltung der extremen Linken. "Die Menschen haben ihre Grenzen erreicht."
Syriza ist keine traditionelle Partei, sondern eine Koalition aus mehreren linksorientierten Gruppen, die sich wegen abweichender ideologischer Meinungen von anderen Linksparteien absplitterten. Diese viele Splitterfraktionen in seiner eigenen Partei müsste Tsipras noch von einem potenziellen Rettungs- und Sparprogramm der internationalen Geldgeber überzeugen. Chatzilamprou beispielsweise ist Mitglied einer kommunistischen Organisation in Griechenland, die aus einer marxistisch-leninistischen Organisation hervorging.
Diese ungewöhnliche Zusammensetzung erschwert es Tsipras, mit Euro-Vetretern und Offiziellen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu einer Einigung zu gelangen. "Die Menschen, die mit den Geldgebern verhandeln, bewegen sich in einem Rahmen, der ihnen vom Zentralkomitee der Partei vorgegeben ist", erläutert der langjährige Gewerkschaftsvertreter Alekos Kalyvis. Die Verhandlungsführer hätten einige Spielräume für Entscheidungen. "Aber das darf nicht so interpretiert werden, als dass sie einen Blankoscheck von der Partei bekommen - weder sie noch Tsipras haben den."
Viele der Syriza-Gruppierungen sehen den Aufstieg ihrer Partei als epochalen Moment für die Linke des Landes an. Jeglicher Kompromiss bei dem Rettungsprogramm wäre ein Verrat an deren Prinzipien. Deutschland und die anderen Gebernationen seien darauf gepolt, Syriza zu besiegen, mutmaßt der Syriza-Abgeordnete Stathis Leoutsakos. Die Botschaft sei, dass es keine vom Mainstream abweichende Meinung oder Politik in der Eurozone geben dürfe.
Weiterhin unklar und wohl Tsipras' größte Sorge ist, wie weit Syriza für ein Rettungspaket gehen würde. "Eine Trennung ist nicht ein solches Synonym für 'Katastrophe', als das sie präsentiert wird", gibt der einstige Metallarbeiter Leoutsakos zu bedenken.
Völlig offen ist, wo die Schmerzgrenze für den linken Flügel von Syriza liegt. Das gebetsmühlenartig wiederholte Argument der Partei, dass die Sparanstrengungen mit tiefen Budgeteinschnitten und Steuererhöhungen die Krise in Griechenland verschärft hätten, war die ganze Zeit über Treibstoff für den Erfolg von Syriza. Die meisten Vertreter des linken Parteiflügels lehnen jegliche zusätzliche Einschnitte bei Pensionen und Gehältern rundherum ab. Griechische Arbeitnehmer hätten in den Jahren der schweren Wirtschaftskrise seit dem ersten Rettungsprogramm genug gelitten.
Leoutsakos besteht - wie viele andere Radikallinke auch - darauf, dass zumindest ein Teil von Griechenlands Schulden erlassen werden muss. "Um diese Kredite zu bedienen, müssten wir das griechische Volk exekutieren."
Unsicher ist sogar Tsipras' Zukunft als Premierminister, falls er einem Kompromiss zustimmt. Jeder griechische Politiker ist sich des Schicksals der früheren griechischen Premierminister George Papandreou und Antonis Samaras nur zu bewusst. Beide unterzeichneten mit dem Rest Europas Rettungsabkommen - und verloren ihre Posten. Papandreous Partei wurde in der Folge an der Wahlurne praktisch ausgelöscht.
Seine linken Prinzipien aufzugeben wäre politischer Selbstmord für Tsipras, warnt Chatzilamprou. "Er würde damit auch austauschbar. Jederzeit ließe er sich durch jemand anders ersetzen." Für Tsipras geht es um alles. Das meint auch der selbstständige Heizungs- und Klimaanlageninstallateur Periklis Koumpouris, der sich letztlich zu einem weiteren schmerzhaften Rettungsprogramm für sein Land durchringen könnte. Falls es eines gäbe, käme die Parteispitze um einen politischen Preis nicht herum. "Das würde wahrscheinlich bedeuten, dass über kurz oder lang Syriza von der Bildfläche verschwindet."
Beim EU-Sondergipfel waren sich Griechenland und seine Geldgeber nähergekommen, eine Einigung steht aber noch aus. Die Beteiligten hoffen, dass es in dieser Woche zu einem Durchbruch kommt.
MERKEL ERHÖHTE NOCH EINMAL DEN DRUCK
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte am Montag in Brüssel, sie hoffe, dass das für Mittwochabend anberaumte weitere Treffen der Finanzminister der Eurogruppe Ergebnisse verkünden könne. Am Donnerstag und Freitag kommt dann der reguläre EU-Gipfel mit 28 Staats- und Regierungschefs zusammen.
Merkel erhöhte noch einmal den Druck auf die Regierung in Athen. Sie sah in den Brüsseler Verhandlungen zwar einen "gewissen Fortschritt", "aber es ist auch klar geworden, dass noch sehr viel Arbeit zu leisten ist, und dass die Zeit dafür sehr kurz ist".
Tsipras hatte praktisch in letzter Minute neue Vorschläge für harte Steuererhöhungen und Einsparungen vorgelegt. Die Maßnahmen sollen in den kommenden eineinhalb Jahren fünf Milliarden Euro einbringen. Tsipras sagte nach den Beratungen: "Unser Vorschlag ist akzeptiert worden als Basis für Gespräche." Notwendig sei ein umfassendes Programm, das Griechenland wirtschaftlich "lebensfähig" mache.
ATHENER REFORMPLÄNE
Athen ist laut Regierungskreisen nun bereit, die Mehrwertsteuer im Bereich Tourismus zu erhöhen, die meisten Frührenten abzuschaffen und die Reichen im Land mit einer Sondersteuer zu belegen. Unternehmen, die 2014 mehr als 500 000 Euro Gewinn machten, sollen Sondergewinnsteuer zahlen. Eine Immobiliensteuer, die die linke Regierung eigentlich abschaffen wollte, soll bestehen bleiben. Die Regierung will die Rüstungsausgaben zudem um 200 Millionen Euro zusammenstreichen. Rentenkürzungen soll es aber nicht geben.
Der Grünen-Finanzexperte im Europaparlament, Sven Giegold, begrüßte den Fortschritt. "Das schlimmste Szenario wäre natürlich gewesen, dass die Verhandlungen gescheitert sind. Das wäre für Griechenland und für Europa die schlechteste Lösung gewesen", sagte Giegold nach dem Gipfel in einem Interview des Deutschlandfunks. "Dass sich jetzt eine Vereinbarung abzeichnet, ist gut." Zugleich habe er die Sorge, dass die Sparmaßnahmen zu einem neuen Einbruch der griechischen Wirtschaftskraft führen.
BRÜSSEL/ATHEN (dpa-AFX, Dow Jones Newswires und Reuters)
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