Katerstimmung
Es hätte alles so schön sein können, wenn sich die Spitzen Chinas und der EU treffen, um das 50-jährige Jubiläum ihrer diplomatischen Beziehungen zu feiern. Denn eigentlich verbindet die zweit- und die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt eine ganze Menge. Beide sind wirtschaftlich eng verwoben und aufeinander angewiesen. Europa bezieht rund 70 Prozent seiner kritischen Rohstoffe aus China und Chinas exportorientierte Wirtschaft braucht den europäischen Markt dringender denn je. Trumps erratische Politik stellt Peking und Brüssel vor ähnliche Probleme. Und die großen Herausforderungen der Menschheit – vom Klimawandel über globale Gesundheit und nachhaltige Entwicklung – lassen sich nur gemeinsam lösen.Doch statt Feierlaune herrscht Katerstimmung. Dem Gipfel ging eine lange Phase europäisch-chinesischer Entfremdung seit der Corona-Pandemie und Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine voraus. Chinas anhaltend enges Verhältnis zu Russland mit seiner Unterstützung der russischen Kriegswirtschaft stößt in Brüssel ebenso sauer auf wie die Überkapazitäten der staatlich hoch subventionierten chinesischen Wirtschaft und die Exportbeschränkungen für kritische Rohstoffe, die Peking im Zuge des Zollkonflikts mit den USA auch für europäische Abnehmer erlassen hat.In China fühlt man sich unverstanden und spricht unverdrossen von der EU als einem „strategischen Partner“. Folgt man Pekings Argumentation, dann ist alles ein großes Missverständnis. Chinas Dominanz auf den Weltmärkten ist ein Erfolg innovativer und wettbewerbsfähiger Unternehmen; und Exportbeschränkungen seien keine chinesische Besonderheit, sondern entsprächen internationalen Standards. Eine direkte Unterstützung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wird bestritten und stattdessen auf die kriegsverlängernde, aber nicht kriegsentscheidende Wirkung der westlichen Ukraine-Unterstützung verwiesen. Europa rät man zu mehr „strategischer Autonomie“ vom großen Bruder in Washington. In Brüssel versteht man darunter allerdings auch die Reduzierung einseitiger Abhängigkeiten von China.Die letzten Wochen haben die Erwartungen an das Gipfeltreffen noch einmal schrumpfen lassen.Die letzten Wochen haben die Erwartungen an das Gipfeltreffen noch einmal schrumpfen lassen. Die Teilnahme von Staats- und Parteichef Xi Jinping an der Moskauer Parade zum Sieg über Nazi-Deutschland im Mai, die ergebnislose Europa-Reise von Außenminister Wang Yi Anfang Juli und die festgefahrenen Verhandlungen über EU-Ausgleichszölle auf chinesische E-Autos stehen exemplarisch für den Stand der europäisch-chinesischen Beziehungen. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat zuletzt deutliche Worte gefunden, um die Verzerrung globaler Märkte durch chinesische Überkapazitäten, den Einsatz von kritischen Rohstoffen als geopolitisches Druckmittel und Chinas „pro-russische Neutralität“ im Ukrainekrieg zu kritisieren. Die Retourkutsche folgte, als Xi eine Einladung nach Brüssel ausschlug und seine Teilnahme an dem Gipfeltreffen bis zum Schluss offenließ. Es ist daher schwer vorstellbar, dass die gravierenden Differenzen nun ausgeräumt werden. Stattdessen droht das, was einmal als Harmonie-Show gedacht war, im Streit zu versinken. Die spannendere Frage ist daher weniger, was im Abschlussdokument des Gipfels (nicht) steht, sondern wie es mittel- und langfristig mit den EU-China-Beziehungen weitergehen wird.Als Blaupause kann auch weiterhin der Dreiklang der China-Strategie der EU von 2019 dienen. Dieser dekliniert die Rolle Chinas als Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale durch und bietet gerade vor dem Hintergrund einer geopolitisch volatilen Gemengelage ein pragmatisches Analyseraster, um die Beziehungen immer wieder neu auszutarieren. Der größte Vorteil des Dreiklangs ist, dass er den unvermeidlichen Paradoxien in den Beziehungen gerecht wird, während er flexible politische Operationalisierungen und die Formulierung eigener strategischer Interessen erlaubt. Das bedeutet aber auch, dass eine Verkürzung der EU-China-Beziehungen auf einen Aspekt, sei es die Partnerschaft oder die systemische Rivalität, zu kurz greift.In der aktuellen Situation liegt die systemische Rivalität mit China auf der Hand. Die Volksrepublik steht nicht nur für ein konkurrierendes politisches System und ein alternatives Wirtschaftsmodell, das auf einen starken Staat und gelenkte Märkte setzt. Peking hat auch andere Vorstellungen von der internationalen Ordnung, die westlich dominierte Institutionen herausfordert und als Alternative zur US-geführten Weltordnung auf eine nur vage definierte Multipolarität mit bewusst unscharfen Regeln setzt, in der China eine zentrale Rolle zukommt.Und auch der Wettbewerber China ist schnell identifiziert: Chinas innovative und staatlich unterstützte Unternehmen in Schlüssel- und Zukunftsindustrien – wie der Automobilindustrie, Künstlicher Intelligenz und Grünen Technologien – sichern sich mit teils ruinösen Preiskämpfen aggressiv Marktanteile nicht nur in China, sondern auch auf dem europäischen Markt und auf globalen Drittmärkten. Chinas erfolgreiche Industriepolitik stellt für die industrielle Basis des Kontinents eine existentielle Herausforderung dar.Es ist daher klar, dass Europa seine wirtschaftliche Abhängigkeit von China schnellstmöglich und umfassend reduzieren muss. Das verlangt, die Zusammenarbeit mit Wertepartnern und aufstrebenden Volkswirtschaften auszubauen und das Faustpfand des größten Binnenmarktes der Welt strategischer einzusetzen. Doch klar ist auch, dass Europa und China weiterhin aufeinander angewiesen sind, wenn sie Wohlstand und Arbeitsplätze sichern wollen. Für die EU-China-Beziehungen bedeutet dies, dass Handels- und Industriepolitik kein Selbstzweck sind, sondern einen fairen Wettbewerb mit klar definierten Regeln zum Ziel haben sollten.Auch in schwierigen Zeiten gibt es jedoch Bereiche, in denen China heute schon ein Partner sein kann.Auch in schwierigen Zeiten gibt es jedoch Bereiche, in denen China heute schon ein Partner sein kann. Nach dem Rückzug der Trump-Regierung aus den internationalen Klimaverhandlungen richtet sich im Globalen Süden der Blick auf China und die EU. Sie sollen gemeinsam der internationalen Klimadiplomatie neues Leben einhauchen. Dafür müssten sie jetzt ambitionierte heimische Einsparziele für Treibhausgasemissionen vorlegen und den Rest der Welt beim Kampf gegen den Klimawandel und der Bewältigung seiner Folgen unterstützen.Doch auch beim Klima werden die Erwartungen nicht erfüllt. Gegenseitiges Belauern statt vertrauensvoller Kooperation ist angesagt, frei nach dem Motto: Legst du keine ehrgeizigen Ziele vor, leg ich auch keine vor. Und auch hier treten grundsätzliche Gegensätze zu Tage. China verlangt von der EU mehr Geld für Klimamaßnahmen in Entwicklungsländern. Selbst möchte Peking sich aber nicht binden, sondern weiterhin eigenständig über die Höhe und konkrete Verwendung solcher Mittel entscheiden. Die EU verlangt dagegen von China entsprechend seiner wirtschaftlichen Stärke eine höhere verbindliche Beteiligung an der Klimafinanzierung. Den Status als Entwicklungsland pflegen und gleichzeitig mit marktführenden Technologien und milliardenschweren Subventionen den Industrieländern den Rang ablaufen, das passt in den Augen Europas nicht zusammen. Ein Durchschlagen dieses gordischen Knotens scheint derzeit allerdings unwahrscheinlich.Dass China und die EU Vorreiter und dadurch zugleich Wettbewerber beim Übergang zu sauberer Energie und Industrie sind, macht die Sache eher noch komplizierter. Dabei könnte ein fairer Wettbewerb zwischen der EU und China zu einer funktionierenden Arbeitsteilung bei sauberen Technologien führen. Doch hierfür ist die geopolitische Großwetterlage ungünstig, insbesondere was Europas Sandwich-Position zwischen den konkurrierenden Großmächten betrifft. Denn Brüssel ist in zweifacher Hinsicht erpressbar. Von China bei seltenen Erden und wichtigen Technologien, von den USA in der Sicherheitspolitik und bei LNG-Lieferungen. Unter diesen Voraussetzungen fällt es Europa schwer, seine Interessen eigenständig zu vertreten – zumal Washington europäische Unterstützung für eine harte China-Politik einfordert.Die Gründe für diese schwache Position sind zum Teil hausgemacht. Seit zwei Jahrzehnten verfolgt China konsequent eine Strategie, die Industriepolitik, Klimaziele und geopolitische Interessen eng miteinander verzahnt. Darauf hätte Europa früher und entschlossener reagieren müssen. Die laute Klage über chinesische Subventionen und Überkapazitäten hilft nicht weiter. Auch handelspolitische Schutzmaßnahmen sind kein Allheilmittel – sie entfalten ihre Wirkung nur im Zusammenspiel mit einer klugen, langfristig angelegten Industriepolitik. Doch statt entschlossen in saubere Technologien zu investieren, wird in Europa aktuell darüber debattiert, bereits beschlossene Klimamaßnahmen zurückzunehmen und den Ausbau von Erneuerbaren und Clean Tech auszubremsen.Es drängt sich der Eindruck auf, dass der Ernst der Lage noch immer nicht erkannt wird. Dabei wächst Chinas Vorsprung mit jedem Monat. Europa muss endlich eine kohärente Strategie verfolgen, in der Forschung, Marktanreize und industrielle Produktion für saubere Technologien systematisch zusammengeführt werden. Von China kann man hierbei die Formel Patente plus Skalierung plus Export lernen, um in Zukunft aus einer Position der Stärke heraus über Partnerschaften in der Klimapolitik und anderswo zu verhandeln. Doch das ist angesichts der verfahrenen Ausgangslage für den EU-China-Gipfel Zukunftsmusik. Für die Welt sind das schlechte Nachrichten. Auch wenn die Gemeinsamkeiten zwischen der EU und China schwinden, nimmt die Größe der Herausforderungen bei globalen Fragen zu.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal
Quelle: IPG Journal