Zu viele Köche
Pünktlich zum 17. BRICS-Gipfel in Brasilien wandte sich US-Präsident Donald Trump mit einer Drohung an das Bündnis: „Jedes Land, das sich der antiamerikanischen Politik der BRICS anschließt, wird mit einem zusätzlichen Zoll von zehn Prozent belegt.“ Worin der vorgebliche Antiamerikanismus besteht, führte Trump nicht weiter aus. Die meisten der aktuellen zehn Mitglieder und auch die assoziierten Länder reagierten mit Trotz und Gelassenheit, aber auch mit Unverständnis auf die Trump’sche Einschüchterung.Es lohnt der Blick auf vier Länder und deren Reaktion: Brasilien, China, Indien und die Türkei. Für Brasilien hat Trump neben den erwähnten zehn Prozent zusätzliche Zölle von 50 Prozent angedroht, weil dem früheren Präsidenten Jair Bolsonaro der Prozess wegen seines Putschversuchs im Januar 2023 gemacht wird. „Dieser Prozess sollte nicht stattfinden“, schrieb Trump. „Es ist eine Hexenjagd, die SOFORT beendet werden sollte!“ Brasiliens Präsident Lula zeigte sich unbeeindruckt und warf Trump vor, sich wie ein „Kaiser“ aufzuführen. Er kündigte unverzüglich Maßnahmen nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit an und wies Trumps Forderung als „unannehmbare Erpressung“ zurück. In Brasilien wächst die Wut auf die US-Politik. Mit welchem Recht mischt sich der US-Präsident in die brasilianische Politik ein? Nach wie vor sind die USA ein wichtiger Handelspartner für Brasilien. Deshalb plädierte Lula für Verhandlungen, allerdings nur auf der Basis von Respekt und Gleichberechtigung. Aber Brasiliens politische und wirtschaftliche Beziehungen zu China werden immer wichtiger. Man versucht, sich vor Einschüchterung und Erpressung zu schützen, indem man nach anderen Partnern sucht.China ist das wirtschaftliche und politische Schwergewicht in der BRICS-Gruppe.China ist das wirtschaftliche und politische Schwergewicht in der BRICS-Gruppe. Das Land stand schon lange vor dem BRICS-Gipfel im Fokus der US-Zollpolitik und reagierte mit einer Kombination aus Widerstand und Gegenmaßnahmen, wie sie nach den WTO-Vereinbarungen erlaubt sind. Die klare Zurückweisung der US-amerikanischen Strafzölle, die China als „Mobbing-Verhalten“ bezeichnete, führte zur vorübergehenden Bereitschaft zu Verhandlungen mit den USA. Jedoch veranlasste die erwartete ökonomische Disruption die Trump-Administration, sich auf eine „Waffenruhe“ einzulassen. Die spiegelbildlichen chinesischen Gegenmaßnahmen, die mit Unerschrockenheit initiiert werden, sind aufgrund des chinesischen Wirtschaftspotenzials für die USA ein ernst zu nehmender Faktor. Beide Seiten senkten ausgewählte Zollsätze befristet für 90 Tage. Der Ausgang ist offen. Die chinesische Regierung betonte, dass sie Verhandlungen über eine Zollregelung nur auf Augenhöhe führen werde. Gleichzeitig hat China, wie viele andere Länder, gezielt vorhandene Exportkanäle forciert und neue Handelspartner gesucht.Indien ist vermutlich der wichtigste Sonderfall im BRICS-Bündnis. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern ist Indien nicht daran interessiert, seine Beziehungen zu China weiter auszubauen, um nicht in Abhängigkeit zu geraten. Das indisch-chinesische Verhältnis ist von Konkurrenz und Konflikten gekennzeichnet. Im Himalaya existiert eine ungeklärte Grenzziehung zwischen Indien und China, die zuletzt 2020 zu militärischen Auseinandersetzungen mit Toten auf beiden Seiten geführt hat.Das Verhältnis zu den USA ist in den letzten beiden Jahrzehnten dagegen immer enger geworden, und Indien wird von den USA als Partner in der Konkurrenz zu China gesehen. Selbst in der Sicherheitspolitik und in der Rüstung kooperieren die USA und Indien. Als sich Trump ärgerte, die BRICS könnten die Abhängigkeit vom US-Dollar reduzieren, versicherte Indiens Außenminister Jaishankar, Indien habe „absolut kein Interesse daran, den Dollar zu unterminieren“. Denn Indien ist keinesfalls daran gelegen, den Dollar durch den chinesischen Renminbi zu ersetzen. Bislang haben die ursprünglichen BRICS-Ambitionen zur Einführung einer eigenen Währung keine Früchte getragen. Zu gering ist das Vertrauen der BRICS-Mitglieder in die Währungen der Partnerländer. Die Position der indischen Regierung ist kompliziert. Sie setzt im Zollkonflikt mit den USA einerseits auf eine Verhandlungslösung, möchte andererseits aber auch die BRICS-Partner nicht entfremden, zumal Indien im kommenden Jahr Gastgeber des BRICS-Gipfels sein wird.Die Türkei ist weder BRICS-Mitglied noch Partnerland, hat aber im September 2024 einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt. Gleichzeitig aber bleibt die Türkei in westlichen Bündnissen engagiert, insbesondere als NATO-Mitglied. Würde die Türkei als Mitglied der BRICS aufgenommen, wäre sie das erste NATO-Land mit einer BRICS-Mitgliedschaft. Diese politische Ambivalenz ist von der türkischen Regierung durchaus gewollt. Sie entspricht der strategischen Positionierung zwischen dem Westen und dem Osten bzw. dem globalen Süden. Durch eine geschickte, geopolitisch orientierte Außenpolitik ist es der Türkei in den letzten Jahren gelungen, international an Einfluss und Ansehen zu gewinnen. In den letzten Jahren sind insbesondere die Beziehungen zu China intensiver geworden und seit 2016 besteht bereits eine Währungsvereinbarung zwischen China und der Türkei – mit dem Ziel, die jeweils eigene Währung gegenüber dem Dollar zu stärken. Die Türkei verfolgt mithin sowohl politische Ziele, um ihren Handlungsspielraum zu erweitern, als auch wirtschaftliche Interessen. Das Land ist wirtschaftlich angeschlagen und sucht durch die Kooperation mit BRICS neue Exportmöglichkeiten. Gleichzeitig wirbt die türkische Regierung durchaus erfolgreich für Investitionen. Sie macht damit westlichen Partnern wie NATO und EU deutlich, dass sie Alternativen hat. Zwar ist die formelle BRICS-Mitgliedschaft der Türkei noch nicht beschlossen, aber bereits jetzt nutzt die Türkei dieses Format, um die Unabhängigkeit der eigenen Außen- und Handelspolitik zu demonstrieren.Dennoch bleibt vom BRICS-Narrativ einer neuen Weltordnung nicht viel übrig.Der Westen, repräsentiert durch die G7-Länder, fällt wirtschaftlich immer weiter hinter den BRICS-Ländern zurück. Dennoch bleibt vom BRICS-Narrativ einer neuen Weltordnung nicht viel übrig. BRICS ist alles andere als ein kohärentes Bündnis. Die eindeutig antiamerikanische Ausrichtung teilen von den zehn BRICS-Ländern lediglich Russland, China, der Iran und möglicherweise Äthiopien. Brasilien und Südafrika sind ebenso wie Indien darauf bedacht, gute wirtschaftliche und politische Beziehungen zu den USA zu pflegen, wenn auch nicht zu jedem Preis. Die Neumitglieder Ägypten und Vereinigte Arabische Emirate sind in sicherheitspolitischen Fragen eng mit den USA liiert. Indonesien verfolgt, ähnlich wie Indien, eine Balancepolitik der Blockfreiheit, die darauf ausgerichtet ist, weder gegenüber den USA noch gegenüber China in eine Abhängigkeit zu geraten.Ausdruck des nachlassenden Schwungs der politischen Agenda der BRICS ist das Fernbleiben des chinesischen Präsidenten Xi Jinping und des russischen Präsidenten Wladimir Putin beim jüngsten Gipfel. Ein Sprecher Putins erklärte sein Fernbleiben mit „gewissen Schwierigkeiten“. Gemeint war damit die Gefahr für Putin, in Brasilien verhaftet zu werden; denn nach wie vor liegt gegen Putin ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vor. Die Absage Xi Jinpings war ein klares politisches Signal. Es war das erste Mal seit seinem Amtsantritt, dass der chinesische Präsident einen BRICS-Gipfel versäumte. China war bislang aufgrund seiner politischen Präsenz und seiner wirtschaftlichen Macht der Taktgeber des BRICS. Hat jetzt Chinas Interesse nachgelassen, da bislang weder eine gemeinsame BRICS-Währung verabredet werden konnte noch das antiwestliche Gegenmodell zustande kam? Oder wird Trumps brachiale Zollpolitik gegenüber den BRICS-Ländern möglicherweise zu deren Solidarisierung führen? Die BRICS-Erweiterung im vergangenen Jahr hat zwar einerseits das Potenzial des BRICS-Blocks erweitert, gleichzeitig aber auch die unterschiedlichen Zielvorstellungen deutlich gemacht. So ist es nicht verwunderlich, dass in den deutschen Medien nach dem BRICS-Gipfel vom „Treffen der Uneinigen“ die Rede war.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal
Quelle: IPG Journal