100 Jahre Federal Reserve: Viel Macht, wenig Fortune
Heute, am 23. Dezember, feiert die US-Notenbank ihren 100. Geburtstag. Ihre Erfolgsbilanz fällt durchwachsen aus. Trotzdem ist sie so mächtig wie nie zuvor - und steht vor der schwierigsten Aufgabe ihrer Geschichte.
von Tobias Aigner, Euro am Sonntag
Ich kann nur sagen: Es tut mir leid, Amerika." So beginnt die Beichte von Andrew Huszar. Der Mann arbeitete 2009 und 2010 für die US-Notenbank Fed und vollstreckte, was die Finanzwelt Quantitative Easing (QE) nennt. Er betreute den Kauf von Hypothekenpapieren im Wert von 1,25 Billionen Dollar. Dafür schämt er sich heute. QE habe den Banken üppige Provisionen und steigende Aktienkurse beschert. Die Realwirtschaft und der Durchschnittsamerikaner hätten dagegen kaum profitiert, schreibt der Banker im "Wall Street Journal". Dabei geißelt er QE als "größtes Wall-Street-Hilfspaket aller Zeiten".
Huszars Bekennerschreiben war ein Aufreger. Weil die extrem lockere Geldpolitik der Fed kritisch beäugt wird. Und weil die US-Notenbank vor ihrem 100-jährigen Jubiläum im Blickpunkt steht. Am 23. Dezember 1913 unterzeichnete der demokratische Präsident Woodrow Wilson den Federal Reserve Act - die Fed war geboren. Sie überlebte zwei Weltkriege und drei heftige Wirtschaftskrisen. Und obwohl ihre Erfolgsbilanz äußerst bescheiden ausfällt, ist ihr Einfluss auf die Wirtschaft so groß wie nie zuvor.
Beim Entenjagen
Seit Ausbruch der Finanzkrise hat die Fed rund vier Billionen Dollar in die angeschlagene Wirtschaft gepumpt - das entspricht rund einem Viertel des Bruttoinlandsprodukts. Die Börsen jubeln, wenn Fed-Chef Ben Bernanke den Geldhahn aufdreht. Doch nicht nur deshalb zählt die Fed heute zu den schillerndsten Institutionen der USA. Schon die Umstände ihrer Entstehung waren so nebulös, dass sich zig Verschwörungstheorien um sie ranken.
1910 trafen sich acht Politiker und Banker in einem exklusiven Ferienklub auf Jekyll Island vor der Küste von Georgia. Offiziell waren sie beim Entenjagen. Im Geheimen heckten die Männer um den Senator und Rockefeller-Vertrauten Nelson Aldrich den Bauplan für ein Institut aus, das im Krisenfall angeschlagenen Banken mit Krediten unter die Arme greifen sollte - so die ursprüngliche Aufgabe der Fed. Kritiker monierten schon damals, dass die Wall Street das Geldmonopol an sich reiße. Und dass die beteiligten Banker die Fed schaffen wollten, um sich selbst vor einem Kollaps zu schützen - auf Kosten der Allgemeinheit.
Dazu muss man wissen: Das Federal Reserve System, so der offizielle Name, ist keine Notenbank wie jede andere. Es ist in privater Hand, besteht aus einer Zentrale in Washington und aus zwölf regionalen Zentralbanken. Deren Aktien gehören rund 3000 privaten Geschäftsbanken. Die Finanzbranche hat bei der Fed also weit mehr Einfluss als bei der Europäischen Zentralbank.
Bis heute ist die Machtfülle der Währungshüter vielen ein Dorn im Auge. Dem Republikaner und Ex-Abgeordneten Ron Paul zum Beispiel. "Befreit die Welt von der US-Notenbank!" lautet der schmissige Titel seines Buches. Auf 170 Seiten erinnert er daran, dass Pleiten von Geldhäusern zu einer freien Wirtschaft gehören. "Denken Sie sich das Sowjetsystem auf die Bankenbranche angewendet, und Sie haben die Fed." Auch von Volkswirten hagelte es Kritik. "Keine andere zentrale Institution der USA hat so lange eine so schwache Leistung abgeliefert und genießt einen so guten Ruf", urteilte der 2006 verstorbene Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman.
Die Leistung der Fed - sie ist gar nicht so leicht zu bewerten. Eine ihrer Hauptaufgaben ist es, den Geldwert stabil zu halten. So gesehen fällt die Bilanz der US-Notenbank durchwachsen aus. Im Schnitt kletterten die Preise in den USA seit 1913 um 3,25 Prozent pro Jahr. Umgerechnet heißt das: Der Dollar hat rund 96 Prozent seines Wertes verloren. Ein lausiges Ergebnis, wenn man bedenkt, dass sich die Kaufkraft von Gold verdreifacht hat.
Vergleicht man die Inflation jedoch mit der anderer Länder, dann hat sich die Fed gar nicht so schlecht geschlagen. In Großbritannien lag die mittlere Teuerung bei jährlich 4,5 Prozent. Deutschland gewinnt in dieser Disziplin nach zwei Währungsreformen sowieso keinen Blumentopf.
Nicht einstimmen in den Chor der Fed-Verächter will deshalb Jörg Krämer. "Man sollte die amerikanische Zentralbank weder hochjubeln noch verdammen", sagt der Chefvolkswirt der Commerzbank. Allerdings weist er darauf hin, dass die Fed in ihrer Geschichte drei gravierende Fehler gemacht hat: Erstens hat sie die Weltwirtschaftskrise in den 30er-Jahren durch eine allzu restriktive Geldpolitik verschärft.
Zweitens fuhr sie in den 70er-Jahren einen viel zu lockeren geldpolitischen Kurs und trieb auf diese Weise die Inflation auf Raten um 15 Prozent. Und drittens hielt sie nach dem Platzen der New-Economy-Blase die Zinsen zu lange zu niedrig und beschwor so die jüngste Schuldenkrise mit herauf.
Fed in der Falle
Viel Macht, wenig Fortune: So lassen sich die historischen Kriseneinsätze der Fed zusammenfassen. Für eine Notenbank, die gegründet wurde, um die Stabilität des Finanzsystems zu sichern, leistete sie
sich zu viele Fehltritte. Das verheißt nichts Gutes für ihren Feuerwehreinsatz im Schwelbrand der Finanzkrise. Zwar beschlossen die Währungshüter am Mittwoch, die Notenpresse mit reduzierter Geschwindigkeit laufen zu lassen. Die monatlichen Anleihekäufe von bisher 85 Milliarden Dollar sollen ab Januar auf 75 Milliarden Dollar reduziert werden. Die lockere Geldpolitik, die die Konjunktur stützen soll, setzt die Fed damit dennoch fort. Zumal Noch-Chef Ben Bernanke klarmachte, dass sich am extrem niedrigen Leitzins von null bis 0,25 Prozent vorerst nichts ändern wird.
Kritiker sehen die Fed in der Falle. "Sie schafft es nicht, aus der lockeren Geldpolitik auszusteigen", sagt Philipp Vorndran, Kapitalmarktstratege der Kölner Vermögensverwaltung Flossbach von Storch. Der Grund: Die USA werden sich weiter verschulden. Und weil sich nicht genügend Käufer für US-Treasuries finden, muss die Fed weiterhin Staatsschulden aufkaufen. Wohin das führt? Zu galoppierender Inflation? Zu einem Schuldenschnitt? Oder zu einem Dollarcrash? Auch wenn die Fed vorgibt, alles im Griff zu haben: Die Gefahren sind real. Wenn das große Experiment mit der Geldschwemme schiefgeht, müssen sich womöglich auch Bernanke und seine designierte Nachfolgerin Janet Yellen öffentlich entschuldigen.