Börse Frankfurt-News: Zur Kapitulation nicht bereit (Marktstimmung)

FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - 22. Juli 2020. FRANKFURT. Die Meinungen der Anleger gehen auseinander. Für
die einen sind Aktien bereits viel zu teuer, andere sehen Luft nach oben. Das
stützt den Markt.
Nun macht der DAX längst nicht mehr so große Fortschritte wie in den ersten
drei Monaten nach dem Corona-Tief von Mitte März. Aber auch wenn die Schritte
kleiner geworden sind, hat das Börsenbarometer während der vergangenen vier
Wochen in der Spitze noch einmal mehr als 1.000 Punkte ansammeln können. Und
der am Ende doch noch beeindruckende Sprung über die 13.000er Marke verdankt
sich wohl dem nach mehr als vier Tagen positiven Abschluss des EU-
Sondergipfels und dem gemeinsam beschlossenen Wiederaufbaupaket in Höhe von
insgesamt 750 Milliarden Euro - einem Kompromiss, der allerdings in zweierlei
Hinsicht ein wichtiges Signal an die Finanzmärkte gesendet haben mag. Zum
einen wurde mit dem Rettungspaket ein Grundstein für eine gemeinsame
Fiskalpolitik der EU geschaffen. Und zum anderen dürften diejenigen, die die
EU bisweilen als dysfunktional angesehen hatten, eines Besseren belehrt
worden sein.
Hohe Kurse zur Absicherung genutzt
Dennoch ist es unter den von uns befragten institutionellen Investoren mit
mittelfristigem Ausblick trotz des dritten DAX-Anstiegs hintereinander -
zuletzt ein Plus von 2,4 Prozent im Punktvergleich - nicht zu einer
Kapitulation der Pessimisten gekommen. Im Gegenteil: Unser Börse Frankfurt
Sentiment-Index ist im Vergleich zur Vorwoche um 6 Punkte gefallen - wir
notieren nun einen Stand von -26. Im gleichen Zuge hat sich die Gruppe der
neutral gestimmten Investoren noch einmal verringert. Hatten in der Vorwoche
die Optimisten von diesem Rückgang profitiert, sind es nun die Pessimisten,
deren Gruppe sich vergrößert und nun 53 Prozent aller Befragten und damit
eine absolute Mehrheit auf sich vereinigt. Die dahinterstehenden neuen
Abgaben dürften wohl in erster Linie aufgrund des als hoch empfundenen
Kursniveaus getätigt worden sein.
Bei den Privatanlegern konnten wir indes eine Stimmungsveränderung in die
entgegengesetzte Richtung feststellen. Der Börse Frankfurt Sentiment-Index
dieses Panels ist im Vergleich zur Vorwoche um 6 Punkte auf einen Stand von
-4 gestiegen. Der Großteil bei dieser Wanderung geht auf das Konto vormals
neutral gestimmter Akteure und nur in ganz geringem Maße auf das von
Pessimisten, die das Handtuch geworfen haben. Per Saldo hat sich die
Stimmungskluft zu den institutionellen Pendants deutlich vergrößert.
Starke Meinungspolarisierung
Die heutige Stimmungserhebung verrät einiges. Zum einen ist die Bereitschaft
zur Kapitulation bei vielen Pessimisten trotz der mittlerweile aufgelaufenen
Buchverluste oder entgangenen Gewinne nach wie vor ausgesprochen gering. Auf
der anderen Seite scheint auch bei den Optimisten der Appetit zu auf
Gewinnmitnahmen erstaunlicherweise ebenfalls nicht ausgeprägt zu sein.
Drittens: Obwohl sich die pessimistische Stimmung bei den institutionellen
Investoren vertieft hat, konnte sich der DAX abermals befestigen. Da der Euro
gegenüber dem US-Dollar ebenfalls im Vergleich zur Vorwoche einen deutlichen
Gewinn verbucht hat, spricht vieles dafür, dass die Aktienmärkte hierzulande
noch einmal von ausländischen Kapitalzuflüssen profitiert haben.
Unter dem Strich vermittelt die Entwicklung der Sentiment-Indizes eine
deutliche Polarisierung unter den Investoren. Zum einen die Pessimisten -
fast doppelt so stark vertreten wie die Optimisten -, die eisern an ihrem
skeptischen Ausblick festhalten, vermutlich auch aus der Überzeugung heraus,
dass sich die Aktienmärkte angesichts der Covid-19-Krise zu weit von der
fundamentalen Realität entfernt haben und eine Abwärtskorrektur längst
überfällig sei. Auf der anderen Seite die Optimisten, die wahrscheinlich auch
langfristig der Ansicht sind, dass der Aufwärtstrend der Aktienmärkte noch
nicht ausgereizt und mindestens für ein neues Allzeithoch (bislang rund
13.795 Zähler) gut sein dürfte.
Die derzeitige Konstellation ist damit im großen Bild nicht ungünstig für den
DAX. Im Falle eines Rücksetzers ist mit stärkerem Kaufinteresse der teils
deutlich schiefliegenden Pessimisten wahrscheinlich jedoch nicht vor 12.400
Zählern zu rechnen. Auf der anderen Seite dürfte es spätestens bei Erreichen
neuer Allzeithochs selbst dem eingefleischten Pessimisten schwerfallen,
diesem Treiben noch weiter tatenlos zuzusehen.
22. Juli 2020, © Goldberg & Goldberg für boerse-frankfurt.de
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)