Forscher bewerten aktuelle Bankenkrise im historischen Kontext: Wir sind "mitten in einem systemischen Ereignis"
Die Turbulenzen im Bankensektor der USA und der Schweiz haben sich mittlerweile wieder etwas gelegt. Doch zwei Wissenschaftler glauben, dass es für Anleger noch zu früh ist um aufzuatmen. Sie haben zahlreiche historische Krisen untersucht und die dabei gefundenen Parallelen zur aktuellen Situation lassen darauf schließen, dass "wir uns bereits mitten in einem systemischen Ereignis befinden", das womöglich noch schlimmere Ausmaße annehmen könnte.
Werte in diesem Artikel
• Forscher untersuchten Daten zu staatlichen Interventionen aus rund 800 Jahren
• Von insgesamt 880 Krisenereignissen im Bankensektor gleichen nur sehr wenige der aktuellen Situation
• Deutliche Mehrheit der ähnlichen Fälle systemisch und mit weitreichenden Auswirkungen
"Eine langfristige Betrachtung durch das Prisma von Interventionsmustern kann die Identifizierung einer 'systemischen' Bankenkrise ermöglichen, lange bevor die makroökonomischen Daten dieses Zeitraums vollständig sind", schreiben die beiden Wissenschaftler Andrew Metrick und Paul Schmelzing in einem Arbeitspapier, das Ende März vom National Bureau of Economic Research veröffentlicht wurde. Die beiden Experten, die an der Yale School of Management beziehungsweise an der Carroll School of Management des Boston College tätig sind, haben sich für ihre Studie angesehen, wie Regierungen und Märkte in den vergangenen rund 800 Jahren auf Bankturbulenzen reagiert haben. Dafür stellten sie eine Datenbank zusammen, die Angaben zu rund 2.000 Interventionen in 880 Krisen und 138 Ländern enthält, darunter unter anderem Informationen zur Schwere der Krisen und der Bandbreite der Aktionen, die unternommen wurden, um sie wieder in den Griff zu bekommen. Ihr Ziel war es dabei, die Bankturbulenzen aus dem März 2023 zu kontextualisieren und zu bewerten. Tatsächlich fanden sie vergangene Ereignisse, die deutliche Parallelen zu der jüngsten Krise aufweisen - und laut ihrer Datenbank entwickelte sich die "überwiegende Mehrheit der Ereignisse mit dem gleichen Interventionsmuster letztendlich zu 'systemischen' Bankennotfällen".
Historische Daten lassen Wahrscheinlichkeit einer aktuellen systemischen Krise steigen
Von den 880 Krisen in der Datenbank weisen laut Metrick und Schmelzing 57 Ereignisse eine Ähnlichkeit zur aktuellen Situation auf. Konkret bedeutet dies, dass Einlagegarantien und Notkredite als Werkzeug benutzt wurden, um die Lage zu beruhigen. Dieser Strategie-Mix sei somit relativ selten und sehr speziell - und lasse nicht viel Gutes hoffen. Denn 45 der 57 relevanten Krisen - also 80 Prozent davon - seien in der Literatur später als systemisch bezeichnet worden, so die Studienautoren. Insgesamt gesehen seien von den 880 gefundenen Krisen hingegen nur 52 Prozent systemisch mit weitreichenden Auswirkungen gewesen. Dass sich von den Episoden, die der aktuellen Situation am ähnlichsten sind, allerdings nur rund 20 Prozent als relativ harmlos herausgestellt hätten, sei somit "nicht gerade vertrauenserweckend", sagte Studienautor Paul Schmelzing gegenüber "MarketWatch".
In der Studie kommt er mit seinem Co-Autor zu dem Fazit, dass "ein erheblicher Anteil der Krisenfälle in der Vergangenheit, die das sich derzeit entfaltende Interventionsmuster zeigen, schließlich 'systemische' Krisendimensionen angenommen haben, ein Ergebnis, das mit erheblich höheren finanziellen und realwirtschaftlichen Kosten und Verwerfungen verbunden ist". Daher würden auch die Kombination und der Umfang der Interventionen im März 2023 stark darauf hindeuten, "dass wir uns bereits mitten in einem systemischen Ereignis befinden".
Interventionen in ungewöhnlicher Kombination und Größe
"Wir wissen nicht direkt, wie schlimm es im Bankensystem derzeit wirklich steht. Aber wir können uns das Verhalten der Aufsichtsbehörden ansehen, die vermutlich viel mehr als wir darüber wissen, wie schlimm es ist. Und das Muster ihrer Reaktionen entspricht am ehesten dem von 57 früheren Krisen, die tendenziell schwerer als der Durchschnitt waren", sagte Schmelzing laut "MarketWatch". Da die "Kombination von Kontogarantien und Notkrediten, zusätzlich gekoppelt mit einer Beteiligung des Privatsektors" laut dem Arbeitspapier ein "eher ungewöhnliches Reaktionsmuster" sei, schließen die beiden Wissenschaftler daraus, dass die Aufsichtsbehörden diese Schritte wohl eher nicht unternommen hätten, wenn die Krise im Bankensystem nicht schon systemische Ausmaße angenommen hätte. Die Bankturbulenzen dürften daher ihrer Meinung nach ernster sein, als es momentan aussehe - worauf auch die Größenordnung der unternommenen Maßnahmen hindeuten würde.
So sei laut der Studie nicht nur der Strategie-Mix, sondern auch der Umfang der jüngsten Maßnahmen ungewöhnlich. "Einige der jüngsten Interventionen stellen im langfristigen Kontext bereits beträchtliche Interventionen dar", heißt es dort. So hätten sich etwa die kombinierten "Ad hoc Notfallkredite" der Schweiz für Credit Suisse und UBS auf mehr als 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Landes belaufen. Die Interventionen der US-Bankenaufseher, mit denen Einlagen garantiert wurden, seien in Relation zum BIP zwar nicht annähernd so groß gewesen, würden aber dennoch die zweithöchsten Garantien der Geschichte darstellen.
Wissenschaftler mit Warnung an Anleger
Trotz aller durch die Studie zu Tage geförderten Parallelen und Wahrscheinlichkeiten, bleibe es laut Schmelzing zum jetzigen Zeitpunkt dennoch unsicher, wie sich die Bankenkrise weiter entwickeln werde. Der Experte warnte jedoch laut "MarketWatch", dass sich ernsthafte Bankenkrisen über mehrere Monate oder sogar Jahre abspielen würden und es daher für Investoren "viel zu früh ist, um zu sagen, dass die Krise vorbei ist".
Redaktion finanzen.net
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