Sex sells: Erotik-Branche sorgt für technologischen Fortschritt
Vom Buchdruck bis zum Internet: Die Erotik- und Pornobranche hat sich schon immer technologische Fortschritte zu eigen gemacht — und häufig deren Entwicklung sogar beschleunigt.
von Nele Husmann, Euro am Sonntag
Anthony Weiner will Bürgermeister von New York werden. Zu dumm, dass der frühere US-Kongressabgeordnete 2010 an eine junge Frau einen Link sandte, der zu einem Foto von seinem erigierten Penis in Boxershorts führte. Der schamlose Fehltritt kostete ihn seinen Job als Volksvertreter in Washington. Und vermiest ihm noch heute die Aussichten auf einen Wahlerfolg im Big Apple — vor allem weil er kürzlich zugeben musste, der Obsession der erotischen Bildnachrichten immer noch nicht abgeschworen zu haben.
Hätte es vor zwei Jahren Snapchat gegeben, Weiner wäre einiges erspart geblieben. Denn mit dieser neuen App für Smartphones können Fotos und Nachrichten verschickt werden, die sich zehn Sekunden nachdem der Adressat sie angeschaut hat, von selbst zerstören. Die kostenlose Foto-App wird in Amerika nach Youtube am meisten aus dem Internet heruntergeladen.
Während normale Kunden fürs Snappen einfach nur eine Grimasse ziehen, wird die App längst von einer sehr speziellen Branche für ganz besondere Dienste genutzt: fürs Verschicken anzüglicher Fotos. Längst gibt es dafür sogar einen eigenen Begriff: Sexting.
Snapchat ist nicht das erste Phänomen in der langen Geschichte der Kommunikationstechnologie, bei dem die sexuelle Begierde eine technologische Neuerung zur Massenware macht. „Der Trieb, Erotik zu konsumieren, hat die Verbreitung bahnbrechender Neuerungen extrem beschleunigt“, sagt der kanadische Autor Patchen Barss, der unter dem Titel „The Erotic Engine“ ein Buch zu diesem Thema verfasste.
Neu ist das alles nicht. „Schon auf den prähistorischen Felsmalereien, der allerersten überlieferten Form von Kommunikation, sind regelmäßig riesige erigierte Penisse zu sehen“, erklärt Barss. Und Gutenberg mag seine Druckmaschine erfunden haben, um Bibeltexte zu verbreiten — doch es waren deftigere Druckerzeugnisse, die zur raschen Verbreitung der neuen Technik in ganz Europa führten.
Im 19. Jahrhundert sorgte die Lust aufs andere Geschlecht für eine rasende Verbreitung der Fotografie. Bis dato gab es Erotik nur auf Gemälden. Dank Fotos wurde klar, dass es sich bei den Darstellungen um echte Menschen handelte und der Akt nicht nur der Fantasie eines Malers entsprungen war. Das machte die Technik äußerst reizvoll. Entsprechend wuchs die Zahl der Fotoateliers in Paris von 1848 bis 1868 von 13 auf 350 — und in jedem entstanden Aktfotos.
„Ohne Porno kein Internet“
Auch das Internet ist als Massenphänomen erst durch die Lust auf nackte Bilder groß geworden. „Ohne Starwars und Porno gäbe es kein Internet“, sagt der US-Produzent Rick Berman. Erst wurde es vom US-Militär erfunden, dann von Unis weiterentwickelt. Doch zu seiner medienreichen kommerziellen Form, wie wir sie heute kennen, bedurfte es der Innovationskraft der Schmuddelbranche. Laut einer Statistik aus dem Jahr 2000 entfielen damals, zum Höhepunkt des Dot-Com-Booms, 70 Prozent des amerikanischen E-Commerce-Umsatzes von 1,4 Milliarden Dollar auf Pornografie.
„In den 90ern war das Internet nur etwas für sehr technophile Menschen“, sagt Barss. „Pioniere wie das Nacktmodell Danni Ashe machten es für den Massenmarkt komfortabler.“ Schon vor dem Internet hatte es Usenet gegeben, einen textbasierten Chatroom auf einem Netzwerk von Servern. Hier tauschten sich Nutzergruppen über Tausende von Themen aus. Acht Prozent des Gesamtverkehrs fielen auf eine einzige Gruppe: Erotica. Die technologiebegeisterte Ashe fand ihre eigenen Aktfotos auf Usenet kostenlos zum Herunterladen. Das war allerdings mühsam und dauerte selbst für geübte Hacker stundenlang. Ashe ahnte die Marktlücke: 1995, im selben Jahr, als Amazon sein erstes Buch verkaufte, veröffentlichte sie eine eigene Internetseite, wo sie gegen Gebühr Fotos von sich bereitstellte. Fünf Jahre später kam das Nacktmodel als erster Mensch über eine Milliarde Downloads.
Auch beim Streaming von Filmen aus dem Web war die Sexbranche von Anfang an ganz vorn mit dabei. Bereits 1994 lancierte der holländische Pornovertrieb Red Light District die erste Streaming-Seite im Internet — mehr als zehn Jahre, bevor Youtube die Technik für die breite Masse bereitstellte.
Ob sichere und einfache Bezahlsysteme, Videostreaming, Bannerwerbung oder Klickratenverfolgung, all diese Internettechniken wären ohne die Pornoindustrie viel später gekommen. Oder gar nicht.
Dass ausgerechnet diese Branche als technologischer Innovationstreiber gilt, liegt an den enormen Gewinnen, die in diesem Dark Room der Weltwirtschaft erzielt werden. Konkrete Zahlen gibt es zwar kaum, ein interessanter Vergleich lässt aber die ökonomische Größe erahnen: Eine Studie der Internetmarktforschungsfirma Top Ten Revenues ergab, dass 2006 die US-Pornoindustrie 13,3 Milliarden Dollar erwirtschaftete — mehr als die nationalen Football-, Baseball- und Basketballligen zusammen.
Dass Technologie und Porno so nah beieinanderliegen, mag auch mit der Natur vieler Hacker zu tun haben, vermutet Barss: „Es handelt sich vielleicht häufig um Eigenbrötler, die sich bei einer digitalen Interaktion in einem anonymen Chatroom wohler fühlen als bei einem romantischen Abenteuer in einer Bar.“
Neue Qualität
Auch der gefallene deutsche Pornokönig Fabian Thylmann, der wegen mutmaßlicher Steuerhinterziehung in die Schlagzeilen kam, hat beruflich eigentlich gar nichts mit Sex und Striptease zu tun: Der zurückhaltende Familienvater ist Softwareprogrammierer. Mit Manwin, einem in Luxemburg angesiedelten Imperium von Porno-Internetseiten, hat Thylmann jedoch einen wahren Internetgiganten gezimmert.
Während die Sexfilmer vor ihm in der Regel aus dem Zuhältermilieu stammten, brachte Thylmann eine neue Professionalität ins Geschäft — vor allem kümmerte er sich um die technisch einwandfreie Übertragung auf alle Computer weltweit. Das Resultat: Mit mehreren Milliarden Klicks auf allen Webseiten hat Manwin eine ähnliche Bedeutung wie Amazon oder Wikipedia.
Apropos Amazon. Auch das Internetkaufhaus profitiert von der Lust auf Erotisches: Der Bestseller „Fifty Shades of Grey“ verkaufte sich anfangs als elektronisches Buch sechsmal besser als in der gedruckten Ausgabe. Viele bestellten sich eigens für dieses Buch erstmals einen E-Book-Reader wie den Kindle von Amazon. Die grauen Lesegeräte sind im Zug nun mal weniger auffällig als ein Buch mit Umschlag und Titel.
Und die Branche bleibt innovativ: Die neue Internetbrille Google Glass war nur wenige Wochen auf dem Markt, als es die erste spezifische Porno-App dazu gab. Das Unternehmen Mikandi aus Seattle gestaltete die App so, dass Träger sich selbst beim Sex filmen und die Bilder dann auf eine öffentliche Website hochladen könnten. Allein am ersten Tag besuchten 10.000 Nutzer die Website, 17 Google-Glass-Tester luden die App herunter. Dann aber beendete Google den Spaß und verbot nach wenigen Stunden pornografische Inhalte.
Die nächste virtuelle Grenze der Kommunikation könnte künftig im Bereich der taktilen Technologie überschritten werden — wo Reize nicht mehr nur sicht- und hörbar, sondern auch spürbar werden. Noch sind Ganzkörperanzüge aus Latex und Leder eine Leidenschaft für wenige. Doch längst wird geforscht, wie sich sogenannte Bodysuits auch anders einsetzen ließen.
„Eines Tages kann man vielleicht mit ihrer Hilfe seine Kinder umarmen, wenn man Tausende von Kilometern entfernt auf Geschäftsreise ist, ein Auto Probe fahren oder sogar beim virtuellen Einkauf prüfen, ob eine Avocado reif ist“, sagt Barss. Der Fantasie scheinen hier keinen Grenzen gesetzt — was auch für die Erotikbranche gelten dürfte, wenn die Forscherträume einmal wahr werden.
Zurück zu Snapchat. Am 8. Mai gab das Unternehmen Decipher Forensics bekannt, dass es einen Weg gefunden hat, die sich selbst zerstörenden Nachrichten wiederherzustellen. Der Spaß kostet zwischen 300 und 500 Dollar pro Telefon. Insofern gibt es für Typen wie Weiner nur einen Tipp: sich einfach mal zusammenreißen.