Bankenverluste dürften bald alle Gläubiger treffen
In der Europäischen Union müssen künftig möglicherweise auch Inhaber vorrangiger Anleihen für die Verluste angeschlagener Banken gerade stehen.
Wie aus gut unterrichteten Kreisen verlautete, hat die Europäische Zentralbank hinter den Kulissen längst einen scharfen Kurswechsel vorgenommen: Ihr Präsident Mario Draghi will, dass alle Gläubiger spanischer Banken anfallende Verluste tragen und nicht nur die Inhaber nachrangiger Anleihen und Vorzugsaktien belastet werden.
Schon beim Treffen der Eurozonen-Finanzminister am vergangenen Montag soll Draghi diese Position vertreten haben, sagen Insider. Die Finanzminister aber hätten den Vorschlag des EZB-Präsidenten abgelehnt aus Angst vor einem Kursrutsch an den Börsen.
Vor zwei Jahren, als Irlands Banken nach dem Platzen einer Immobilienblase in einer ähnlich brenzligen Lage wie jetzt die spanischen Banken steckten, hatte die EZB noch ganz anders argumentiert. Damals hatte auch die Notenbank strikt darauf bestanden, dass Inhaber vorrangiger Anleihen verschont werden.
Auch der derzeitige Plan zur Rettung der spanischen Banken, mit dem die Eurozone bis zu 100 Milliarden Euro für die maroden Finanzinstitute freimacht, fordert von der Regierung in Madrid lediglich, dass sie die Bankenverluste auf Inhaber nachrangiger Anleihen und Vorzugsaktien überwälzt. "Es ist klar, dass Halter vorrangiger Anleihen die Lasten nicht mittragen müssen", bestätigte ein Sprecher der EU-Kommission jüngst.
Jetzt aber scheint sich das Blatt zu wenden. Sollte sich die EZB mit ihrem neuen Ansatz durchsetzen, könnte die Eurozone bei Bankenproblemen künftig eine komplett andere Strategie einschlagen.
Wie drei gut unterrrichtete Personen mitteilten, habe Draghi am vergangenen Montag dafür plädiert, dass sich sämtliche Investoren die bei der spanischen Bankenrettung anfallenden Verluste mit den Steuerzahlern teilen. Zwei Insider berichten aber, dass Draghi die Inhaber vorrangiger Anleihen nur beteiligen will, wenn eine Bank komplett aufgelöst würde.
Mit anderen Worten: Wenn eine Bank lediglich verkleinert wird - und das ist es, was Behörden derzeit meistens mit angeschlagenen Banken machen -, wären Inhaber vorrangiger Wertpapiere vor Verlusten sicher. In Spanien etwa werden die größeren Banken ihre Geschäfte wohl nach einer Umstrukturierung fortsetzen dürfen, sodass vorrangige Gläubiger in dem Fall nicht betroffen wären.
Eine Sprecherin der EZB wollte die Gespräche nicht kommentieren. Sie betonte, dass die Europäische Zentralbank am Rettungspakt zwischen der Eurozone und Madrid nicht direkt beteiligt sei. Entsprechend seien die Details zur Bankenrettung Sache der Regierungen. "Die nationalen Behörden regulieren die Vorgänge zur Auflösung von Banken", sagte die Sprecherin. Die EZB stehe nur beratend zur Seite, um "sicherzustellen, dass vorrangige Gläubiger im Sinne der EU-Regeln behandelt werden".
Sollten tatsächlich künftig alle Gläubiger die Verluste spanischer Banken schultern müssen, würde das die Steuerzahler entlasten. Dass die EZB ihre Haltung in dieser Sache geändert hat, habe auch damit zu tun, dass die Notenbank so wenig Steuergeld wie möglich für die Bankenrettung verbrauchen will, sagt eine mit der Sache vertraute Person. Dazu kommt, dass es im Gegensatz zur Bankenrettung in Irland vor zwei Jahren jetzt einen klaren Rahmen für die spanische Bankenrettung gebe. Zudem habe Irlands Regierung damals einen Großteil der Bankenschulden garantiert. Spaniens Regierung tut das nicht.
Die Finanzminister hätten sich gegen den Vorstoß von EZB-Präsident Draghi gestemmt, weil sie nicht inkonsequent wirken wollten, sagen die Kreise. Sie fürchten unangenehme Fragen - etwa, warum die EU in Irland damals vor allem den Steuerzahler das Bankenschlamassel habe ausbaden lassen, während vorrangige Gläubiger ihr Geld sicher nach Hause bringen konnten.
Die Regierung in Dublin musste im Jahr 2010 mehr als 60 Milliarden Euro in den Bankensektor pumpen, rund 40 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes. Derart groß war die Belastung, dass Irland anschließend von anderen EU-Staaten und vom Internationalen Währungsfonds Finanzhilfen in Höhe von 67,5 Milliarden Euro beantragen musste.
Trotzdem wächst nach dem EU-Gipfel im Juni der Druck, alle Gläubiger - auch die vorrangigen - an den Bankenschulden zu beteiligen. Die Staats- und Regierungschefs hatten bei ihrem Treffen vereinbart, dass die Rettungsfonds der Eurozone strauchelnden Banken bald auch direkt Geld geben dürfen, anstatt nur den Regierungen Finanzhilfen zu zahlen. Damit würden europäische Steuerzahler bald unmittelbar für angeschlagene Kreditinstitute aufkommen müssen.
Aber finanzstarke Staaten wie Deutschland wollen eine solche gemeinschaftliche Lastenteilung nur unterstützen, wenn dabei nicht neue riesige Finanzlöcher in den Rettungsfonds aufgerissen würden. Entsprechend groß ist der Druck, dass private Investoren künftig einen größeren Anteil der Schulden übernehmen.
Überhaupt sind die Regeln, mit denen die Europäische Union momentan Bankenprobleme zu lösen versucht, ziemlich undurchsichtig. Es gibt bisher keinen einheitlichen Rechtsrahmen, nach dem die EU kippelnde Finanzinstitute dicht machen oder restrukturieren könnte. Bestehende Gesetze, die sich mit dem staatlichen Beistand für Banken befassen, versuchen lediglich, den Einsatz von Steuergeld zu deckeln. Das soll verhindern, dass aus Staatshilfen für strauchelnde Banken nicht unfaire Subventionen werden.
Das reguläre Insolvenzrecht greift auch nicht richtig, wenn es um Banken geht, die so eng mit dem Finanzsystem verflochten sind, dass ihr Kollaps weitreichendere Folgen für die Finanzmärkte beinhalten würde. Zudem dauert es lange, bis im Rahmen eines normalen Insolvenzverfahrens alle Vermögensbestandteile auseinanderklamüsert und verkauft sind - und Zeit ist in der Regel knapp, wenn eine Bank vor der Pleite steht. In der EU gebe es ein "allgemeines Unternehmensrecht", das bei Insolvenzen greife, sagt Karel Lannoo, Chef des Zentrums für Europäische Politikstudien in Brüssel. "Aber bisher haben wir kein bankenspezifisches Gesetz", sagt er.
Diese Schieflage versucht die EU nun zu ändern. Im Juni schlug die Europäische Kommission einen neuen Rechtsrahmen vor, der bei Bankenpleiten greifen soll. Auch im Plan zur spanischen Bankenrettung wird dieser Rechtsrahmen als Modell angeführt. Wichtigste Neuerung: Die neuen Gesetze würden nationale Behörden zwingen, Verluste auf alle Gläubiger zu verteilen. Eine Regierung könnte etwa dafür sorgen, dass Schulden in Aktien umgewandelt werden, wenn eine Bank von ihrer Regierung eine Finanzspritze erhält. So müssten alle Gläubiger die Verluste mittragen.
Hätte es dieses Rahmengesetz schon früher gegeben, hätten die Steuerzahler bei den meisten Bankenrettungen in den vergangenen Jahren gar nicht zu zahlen brauchen, glaubt die EU-Kommission. Doch die Staats- und Regierungschefs haben dem Vorschlag noch nicht zugestimmt. Und selbst wenn sie das bald tun würden, würde das neue Regelwerk wohl erst 2018 in Kraft treten. Für Spanien, das seine Banken bis Ende des Jahres aufpäppeln will, dürfte das zu spät sein.
BRÜSSEL/FRANKFURT Dow Jones Newswires