Citi-Kolumne Christine Romar

Britisches Roulette

10.06.16 12:10 Uhr

Britisches Roulette | finanzen.net

Ein möglicher Brexit gilt vielen Investoren aktuell als größtes Risiko für die Finanzmärkte. Nur wenige rechnen aber damit, dass es tatsächlich dazu kommt. Genau das aber könnte die Verwerfungen noch verschlimmern, sollte es doch zum Brexit kommen.

Es ist eine Reise ins Ungewisse und könnte noch lange eine bleiben: In weniger als vier Wochen stimmen die Briten über ihren Verbleib in der Europäischen Union ab. Entscheiden sie sich für Europa, dann ließe sich das Thema, das monatelang die öffentliche Debatte und die Schlagzeilen auf der Insel bestimmte, schnell abhaken. Die Entscheidung, es beim Alten zu belassen - "Bremain" lauten Slogan und Hashtag -, wird im Gegensatz zum Brexit aller Voraussicht nach vielfach für große Erleichterung sorgen.

Votiert die britische Bevölkerung hingegen dafür, die Union zu verlassen, könnte es ungemütlich werden; wirtschaftlich wie politisch. Viel wird dann davon abhängen, wie das künftige Verhältnis der Briten zum Kontinent definiert wird - ein mutmaßlich langatmiger und schwieriger Prozess, der je nach Ergebnis mehr oder minder gravierende Folgen für die britische Wirtschaft hätte - aber nicht allein für sie.

Dass es Großbritanniens Volkswirtschaft außerhalb der EU schwerer hätte, ist unter Fachleuten nahezu unumstritten. Gleichzeitig hätte ein britischer Rückzug eine negative Signalwirkung für die EU, geriete doch ihre langfristige Stabilität in wachsenden Zweifel. Experten warnen vor einem möglichen Domino-Effekt: Je nach Ausgestaltung der künftigen Beziehungen könnten andere Länder anstreben, dem Beispiel Großbritanniens zu folgen. Und so ist kaum verwunderlich, dass ein Brexit Investoren derzeit als größtes Risiko für die Finanzmärkte gilt, größer selbst als ungünstige Entwicklungen in China.

So düster allerdings etliche Prognosen über die Folgen für Europas Volkswirtschaften, Unternehmen und Finanzmärkte ausfallen: Dass es tatsächlich zum Brexit kommt, erwartet trotz bis heute enger Umfrageergebnisse nur eine Minderheit der Finanzmarktteilnehmer. Gerade die verbreitete Zuversicht, dass sich die Briten für den Status quo entscheiden, könnte allerdings zu vergleichsweise heftigen Marktreaktionen führen, wenn es doch anders kommt.

Am härtesten träfe es aller Voraussicht nach das britische Pfund. Auch könnte der Euro gegenüber dem Dollar neuerlich nachgeben, wenn die Zukunft der Währungsunion durch das Referendum jedenfalls indirekt infrage gestellt wird. Die mit einem Brexit einhergehende Unsicherheit würde aber voraussichtlich auch viele andere Anlageklassen dieses Jahr ein weiteres Mal in Turbulenzen stürzen. Insbesondere der aktuell ohnehin nervöse und anfällige europäische Aktienmarkt könnte neuerlich unter erheblichen Druck geraten.

Angesichts des ungewissen Ausgangs und der nur wenig absehbaren Folgen des Referendums bietet sich eine direkte Positionierung pro oder contra Verbleib Großbritanniens in der EU kaum an. Viel spricht jedoch dafür, sich auf weitere Schwankungen vorzubereiten und vorsichtig zu positionieren - zumal unklar ist, ob eine Entscheidung gegen den Ausstieg überhaupt nachhaltig positive Auswirkungen auf die Aktienmärkte entfalten würde: Wie schnell andere Faktoren in den Fokus der Investoren rücken können, hat sich bereits nach dem abgewendeten Grexit vor Jahrsfrist gezeigt.

Bis auf Weiteres bleibt daher ein zumindest partielles Engagement an den europäischen Aktienmärkten ohne Alternativen. Die sogenannten Teilschutzpapiere wie Discounter und Bonuszertifikate sind dabei die zu präferierende Produktklasse. Denn mit ihnen können sich Anleger immerhin bis zu einem gewissen Maß vor möglichen Korrekturen schützen, ohne sich der Chancen zu berauben, die sich nicht zuletzt aus dem Ausgang des Referendums am 23. Juni ergeben können.

Christine Romar ist Director Warrants & Certificates bei der Citigroup Global Markets Deutschland AG. Die Produktexpertin ist für den Bereich der Anlagezertifikate bei der Citi verantwortlich. Die Citigroup ist seit dem Jahr 1989 als Emittent von strukturierten Produkten permanent am deutschen Markt vertreten und feierte 2014 ihr 25-jähriges Jubiläum.

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